Nachrichten

Zurück

Das Thema Brexit wird in Brüssel derzeit im Rahmen zahlreicher Veranstaltungen heiß diskutiert. Bislang noch wenig belichtet war jedoch die Frage, welche Auswirkung der Brexit auf die ArbeitnehmerInnen im Vereinigten Königreich und in der EU haben wird. Daher widmeten AK EUROPA und ÖGB Europabüro diesem Thema eine Veranstaltung, welche am 11.4.2018 stattfand. Es diskutierten Prof. Michael Ford, QC von der Universität Bristol, Frances O’Grady, Generalsekretärin des britischen Gewerkschaftsbundes TUC, ÖGB-Präsident Erich Foglar sowie Barbara Spinelli, Abgeordnete zum EU-Parlament (GUE/NGL). Moderiert wurde die Diskussion von der politischen Sekretärin des Europäischen Gewerkschaftsbundes, Esther Lynch.

 

Michael Ford, Professor an der Universität Bristol, hat für den britischen Gewerkschaftsbund TUC ein Rechtsgutachten erstellt, in welchem er sich mit den potentiellen Auswirkungen des Brexit auf das Arbeitsrecht befasst. Viele arbeitsrechtliche Standards des Vereinigten Königreichs haben ihren Ursprung im Europarecht. Das europäische Recht hat insbesondere einen signifikanten Einfluss auf die Entwicklung des britischen Rechts in den Bereichen Nicht-Diskriminierung, Schutz schwangerer Arbeiternehmerinnen, Schutz in Teilzeit-Arbeit, bei befristeten Arbeitsverhältnissen sowie bei Leiharbeit, Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz sowie kollektiven Rechten. So wurde zum Beispiel der Anspruch auf bezahlten Urlaub in Großbritannien erst in den späten 1990er Jahren in Nachvollziehung des Europarechts auf gesetzlicher Basis eingeführt. Auch haben die britischen Gerichte eine wichtige Funktion übernommen und schrittweise die Judikatur des EuGHs nachvollzogen. Obwohl der britische Gesetzgeber oftmals nur eine Minimalstumsetzung des Europarechts vorgesehen hat, handelt es sich dennoch um wichtige Schutzgarantien für die britischen ArbeitnehmerInnen.

 

Aufgrund des Brexit besteht nun die Befürchtung, dass sobald der Schutz durch das Europarecht und den EuGH entfällt, wichtige Schutzbestimmungen im Arbeitsrecht verwässert oder gänzlich gestrichen werden. Aufgrund des verfassungsrechtlichen Situation im Vereinigten Königreich, ist der zukünftige Gesetzgeber fast vollkommen frei, arbeits- und sozialrechtliche Standards abzusenken. Zwar lässt sich nicht definitiv vorhersagen, welche Bereiche Deregulierung erfahren werden. Aufgrund der Stoßrichtung hochrangig radikaler Brexit-BefürworterInnen und historischer Erfahrungen sieht Prof. Ford insbesondere das Arbeitszeitrecht, Rechte von LeiharbeiterInnen und kollektive Rechte besonders gefährdet.

 

Vor dem Hintergrund der Verhandlungen über ein Abkommen zur zukünftigen Zusammenarbeit zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich, und gerade im Falle eines „harten Brexits“, erhöht sich zudem die Gefahr eines Wettlaufes um die niedrigsten Arbeitsrechtsstandards.

 

Frances O´Grady, Generalsekretärin des britischen Gewerkschaftskongresses (TUC), sieht das Verbleiben Großbritanniens im Europäischen Binnenmarkt und in der Zollunion als die bislang bestmögliche Lösung, um sozialrechtliche Standards zu wahren. Denn jene, die für den Brexit gestimmt haben, stimmten nicht für schlechtere Arbeits- und Sozialstandards. Vielmehr führte laut O'Grady der Abbau sozialer Standards in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten zum bekannten Abstimmungsergebnis. Außerdem warnte sie vor einer harten Grenze zwischen Nordirland und Irland, die die Errungenschaften des vor 20 Jahren geschlossenen Karfreitagsabkommens zunichtemachen würde.

 

Barbara Spinelli, Abgeordnete der GUE/NGL-Fraktion im EU-Parlament, machte darauf aufmerksam, dass die EU von Anbeginn an kein vorrangig soziales Projekt gewesen sei. Dementsprechend fand sie es bemerkenswert, dass gerade das neoliberal geprägte Großbritannien für den Austritt stimmte und nun die vier Grundfreiheiten der Union, die vorwiegend Instrumente der Marktliberalisierung sind, nicht mehr anerkennen will, weil daran gewisse Mindeststandards gebunden sind.

 

ÖGB-Präsident Erich Foglar, wies darauf hin, dass der Austritt des Vereinigten Königreiches erstmals die Umkehr des europäischen Projekts bedeute. Dementsprechend bezeichnete er den Brexit als den größten Rückschlag des europäischen Integrationsprozesses seit 45 Jahren. Der Aufwand, der jetzt in die wirtschaftliche und soziale Schadensbekämpfung investiert werden müsse, sei immens. Das Nein der Briten stehe auch für das Scheitern eines Modells der EU, das einseitig auf die wirtschaftlichen Prinzipien des Binnenmarktes fixiert ist. Daher bedarf es bei den laufenden Brexit-Verhandlungen nicht nur einer Diskussion um die zukünftige Gestaltung der Handelsbeziehungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich. Es muss auch um die Zukunft der EU selbst gehen. Die Interessen von ArbeitnehmerInnen sowie soziale und ökologische Ziele müssen – so Foglar – ins Zentrum der Politik gerückt werden.

 

Weiterführende Informationen:

Rechtsgutachten “Workers’ rights from Europe the impact of Brexit” (Prof. Michael Ford)

EGB: Positionspapier für die zukünftige Zusammenarbeit EU-Vereinigtes Königreich

AK Europa: Brexit: Halbzeit bis zum Austritt des Vereinigten Königreichs

AK Europa: Nächste Meilensteine in den Brexit-Verhandlungen

A&W Blog: BREXIT: Welche Folgen für britische Beschäftigte zu erwarten wären

A&W-Blog: Großbritannien Post-Brexit – Neuordnung der industriellen Beziehungen

A&W-Blog: Brexit – Europa vor dem Zerfall oder Weckruf für ein neues, sozialeres Europa

Fotos der Veranstaltung