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ZurückIn Umsetzung der Europäischen Säule sozialer Rechte (ESSR) wurde im Auftrag von EU-Sozialkommissar Nicolas Schmit von einer hochrangigen Expert:innen-Gruppe ein Bericht über die Zukunft des Sozialschutzes und des Wohlfahrtsstaates erstellt. Der Bericht gibt 21 konkrete Empfehlungen für zukünftige Initiativen, wie die EU inklusiv und nachhaltig auf längerfristige Trends wie den demographischen Wandel, die Globalisierung, neue Arbeitsformen und den digitalen und grünen Wandel reagieren kann.
Die Coronapandemie hat viele Schwachstellen und Fehlentwicklungen in unserem Wirtschaftssystem verdeutlicht und insbesondere auch im Sozialbereich Schutzlücken und strukturelle Probleme nationaler sozialer Sicherungssysteme aufgezeigt. Im Zuge der Pandemie hat die Europäische Kommission zahlreiche temporäre Maßnahmen vorgeschlagen, zum Beispiel SURE, ein Instrument zur Minderung temporärer Arbeitslosigkeitsrisiken in den Mitgliedstaaten. Dennoch zeigt sich anhand aktueller Daten, dass es in verschiedenen Feldern Defizite gibt: 40% der arbeitenden EU-Bevölkerung ist in neuen oder alternativen Formen der Arbeit beschäftigt und verfügt über keinen ausreichenden sozialen Schutz. 2021 waren außerdem 16,5% der 20-34-Jährigen weder beschäftigt, noch in Ausbildung.
Empfehlungen der hochrangigen Gruppe
Der Bericht der hochrangigen Expert:innen-Gruppe wurde am 7. Februar 2023 von der Vorsitzenden der Gruppe und früheren Sozialkommissarin Anna Diamantopoulou vorgestellt. Zu begrüßen ist, dass der Bericht ein starkes Plädoyer für ein hohes Maß an sozialer Absicherung und für soziale Investments mit vielen guten Empfehlungen enthält. Die hochrangige Gruppe konstatiert, dass es zwar keine Einheitslösung für die unterschiedlichen wohlfahrtsstaatlichen Systeme der EU gibt. Sie formuliert jedoch 21 strategische Empfehlungen zu deren Modernisierung und Stärkung in sechs Bereichen:
- Unterstützung von Kindern, jungen Menschen und Familien
Gefordert wird ein stärkerer Fokus auf frühkindliche Betreuung im Sinne der 2022 überarbeiteten Barcelona-Ziele für Kinderbetreuung: Bis 2030 sollte eine Betreuungsquote von 45 % für Kinder unter 3 Jahren und 96 % für Kinder zwischen 3 und 6 Jahren erreicht werden. Wie auch der Bericht betont, ist frühkindliche Betreuung eine grundlegende Voraussetzung, um die Erwerbsbeteiligung von Frauen zu fördern und wichtig für die soziale und kognitive Entwicklung der Kinder. Die Mitgliedstaaten werden weiters dazu aufgerufen, die Umsetzung der verstärkten Jugendgarantie von 2020 zu priorisieren.
- Gewährleistung von integrativem Sozialschutz und lebensbegleitendem Lernen
Höhere, robustere Arbeitsmarktbeteiligung solle – so der Bericht – etwa durch höhere Beschäftigungsfähigkeit, Qualifikationen im Sinne von lebenslangem Lernen sowie Einkommensunterstützung erreicht werden. Dabei fordern die Expert:innen Maßnahmen zur Förderung der Wiederbeschäftigung und zum Erhalt von Arbeitsplätzen, damit Arbeitslose und vulnerable Gruppen nicht zurückbleiben.
- Angemessene Einkommen im Alter und hochwertige Langzeitpflege
Großer Wermutstropfen im Vergleich zur sonstigen, hohen Qualität des Berichts stellt der Abschnitt zu Pensionen und den wirtschaftlichen Auswirkungen der Demographie dar. Hier werden einmal mehr bereits in der Vergangenheit festgestellte analytische Defizite und Widersprüche wiederholt, welche im Bericht wieder mit Forderungen nach einem höheren Erwerbsaustrittsalter einhergehen. Positiv zu sehen ist der Verweis auf die EU-Pflegestrategie und die Bedeutung des Sozialschutzes für die Langzeitpflege, wobei deren Kosten von der Gesellschaft als Ganzes durch beitrags- und/oder steuerfinanzierte öffentliche Leistungen getragen werden sollten.
- Gewährleistung eines inklusiven Dienstleistungsangebots
Benötigt würden – so die hochrangige Expert:innen-Gruppe – erschwingliche, energieeffiziente und universell einsetzbare Wohnungen und energieeffiziente öffentliche Verkehrsmittel, die für alle zugänglich sind. Wichtig sei hierbei auch eine bessere Einbeziehung von NPOs und der Sozialwirtschaft.
- Gewährleistung einer nachhaltigen Finanzierung des Sozialstaates
Der Bericht hält zudem fest, dass soziale Investitionen auch eine Dividende für den Sozialstaat sind und fordert eine „Goldene Regel für soziale Investitionen“. Auch eine wirkungsvolle Politik des lebenslangen Lernens trage zu einem höheren Beschäftigungs- und Gehaltsniveau bei und erhöhe dadurch die Einnahmen aus Steuern und Sozialbeiträgen. Äußerst positiv ist auch, dass die Expert:innengruppe sich für höhere Unternehmenssteuern und Vermögensbesteuerung zur Finanzierung des Sozialstaates ausspricht. Bekämpft werden müssten insbesondere auch Steuerhinterziehung und -betrug.
- Weiterer Ausbau der EU-Kapazitäten zur Sicherung des Sozialschutzes
Schließlich fordert der Bericht, weitere Gesetzesinitiativen zu prüfen, um alle Grundsätze der Europäischen Säule sozialer Rechte zu erfüllen, eine einheitliche Durchsetzung in der EU zu gewährleisten und einen unlauteren Wettbewerb bei den Sozialschutzstandards zu begrenzen.
EU-Kommissar Nicolas Schmit unterstrich die Notwendigkeit, diese Empfehlungen so rasch wie möglich in die Praxis umzusetzen, um die soziale Agenda der EU ambitioniert voranzutreiben: „Gut konzipierte Sozialschutzsysteme spielen eine Schlüsselrolle, wenn es darum geht, Bürger:innen vor Armut zu bewahren, Übergänge zu unterstützen und Einkommensschwankungen zu glätten, und sie wirken als makroökonomischer Stabilisator.“
Weiterführende Informationen:
AK EUROPA: Fortschritte bei EU-Sozialthemen zum Jahresende
AK EUROPA: Aktionsplan Europäische Säule sozialer Rechte: Erwartungen nicht übertroffen
AK EUROPA: Policy Brief: Aktionsplan zur Säule sozialer Rechte und EU Sozialgipfel: Notwendige soziale Neuausrichtung der EU
AK EUROPA: Konkrete Maßnahmen im Pflegebereich dringend notwendig!