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ZurückDie EU-Kommission hat im September 2022 die Europäische Pflegestrategie präsentiert, welche einen Beitrag leisten soll, die Situation der Pflegenden und die Qualität in der Langzeitpflege und der frühkindlichen Erziehung zu verbessern. AK EUROPA hat diese Strategie gemeinsam mit dem ÖGB Europabüro, der EPSU und den Social Employers zum Anlass genommen, im Rahmen einer Veranstaltung über die Bedeutung der Pflegestrategie und die Frage, welche weiteren Lösungsansätze und Maßnahmen für eine Verbesserung der Situation im Pflegebereich benötigt werden, zu diskutieren.
Am Podium dieser Veranstaltung diskutierte AK-Präsidentin Renate Anderl mit der Vizepräsidentin des EU-Parlaments Evelyn Regner, dem EPSU-Generalsekretär Jan Willem Goudriaan sowie dem Präsidenten von Social Employers Gregor Tomschizek. Außerdem hielt der österreichische Volksanwalt Bernhard Achitz zu Beginn ein Impulsreferat.
In seinem Vortrag rückte Volksanwalt Bernhard Achitz besonders die Rechte der Pflegebedürftigen in den Vordergrund, welche aufgrund der Personalnot im Pflegesektor zunehmend eingeschränkt werden. Eine würdevolle und den Menschenrechten entsprechende Pflege könne unter den aktuellen Bedingungen nicht mehr flächendeckend gewährleistet werden. Die Arbeitsbedingungen der in der Pflege Beschäftigten müssen deshalb schleunigst verbessert werden, um die Attraktivität dieser Berufsgruppe zu steigern und damit dem akuten Personalmangel entgegenzuwirken. Die öffentliche Hand hat in diesem Zusammenhang neben ihrer Rolle als Aufsichtsorgan auch als maßgebliche Finanzierungsquelle Unterstützung zu leisten.
Erfreut über den Vorschlag der EU-Kommission zeigte sich AK-Präsidentin Renate Anderl, als das Thema „Care“ dadurch endlich in einem europäischen Kontext Beachtung findet. Die hinlänglich bekannten Probleme des Pflegesektors bestanden bereits vor der Pandemie und sind seitdem verstärkt in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. An erster Stelle hat die Verbesserung der Arbeitsbedingungen des Pflegepersonals und eine faire Entlohnung zu stehen. Hinsichtlich der Finanzierung der notwendigen Reformen im Pflegebereich gibt es neben der Einrichtung eines europäischen Care-Fonds nach Vorbild der Aufbau- und Resilienzfazilität (RRF) auch zahlreiche Möglichkeiten auf nationaler Ebene. In diesem Zusammenhang ist besonders die Einführung einer Erbschafts- und Vermögenssteuer in Österreich zu nennen, welche angesichts der immer größer werdenden Ungleichheiten unbedingt notwendig ist. Dadurch generierte Einnahmen könnten umgehend in den Pflegesektor investiert werden und somit finanzielle Abhilfe schaffen.
MdEP Evelyn Regner unterstrich die Bedeutung der Pflegestrategie, kritisierte aber gleichzeitig den Mangel an verbindlichen Elementen. Außerdem werden mit der Langzeitpflege und der frühkindlichen Erziehung bloß einzelne Teile von Care-Arbeit abgedeckt. Besonderes Augenmerk ist im Rahmen der Diskussion über die Pflegestrategie auf die Rolle von Frauen zu richten, welche den Großteil der Beschäftigten im Pflegebereich und in der frühkindlichen Erziehung ausmachen. Aus diesem Grund sind sie die Hauptbetroffenen der derzeitigen Lage und leiden besonders unter den schlechten Arbeitsbedingungen und der geringen Entlohnung. Ein ähnliches Ungleichgewicht zeigt sich im Bereich der informellen Pflege, die überproportional von Frauen geleistet wird und diese häufig in die Teilzeit zwingt oder ganz an der Teilnahme am Arbeitsmarkt hindert und damit einen wesentlichen Anteil am Gender Pay Gap hat.
Im Rahmen der Diskussion über den Stellenwert von Pflegeleistungen sprach sich Jan Willem Goudriaan (EPSU) entschieden für die Einordnung von Pflege als öffentliche Dienstleistung aus. Die derzeitigen Arbeitsbedingungen und Löhne des Pflegepersonals seien nicht zufriedenstellend und müssen erheblich verbessert werden. Dazu bedarf es eines umfassenden Netzes an Kollektivverträgen in Europa, welches nur in Kombination mit starken Gewerkschaften und einer Ausweitung des Sozialen Dialogs erreicht werden kann. Im Lichte des ORPEA-Skandales in Frankreich bzw der Missstände bei Senecura in Österreich äußerte sich Goudriaan einmal mehr kritisch gegenüber Privatisierung und Kommerzialisierung im Pflegebereich. In Bezug auf die finanziellen Hürden sei festzuhalten, dass prinzipiell genügend Mittel vorhanden wären. Profite aus dem Pflegebereich müssten bloß konsequent in das Pflegesystem reinvestiert werden.
Für Gregor Tomschizek (Social Employers) kann die Pflegestrategie einen wichtigen Beitrag bei der Verbesserung der Situation im Pflegebereich leisten. Was es nun braucht, seien konkrete Maßnahmen der Mitgliedstaaten, da die Strategie in vielen Bereichen bloß allgemeine Vorgaben beinhaltet. Der dringende Personalmangel und die damit zusammenhängende Suche nach Arbeitskräften im Pflegebereich sollte als große Chance angesehen werden, um durch gezielte Aus- und Weiterbildungen Menschen für diesen Bereich zu gewinnen. Da höhere Löhne für das Pflegepersonal zu höheren Preisen für Pflegedienstleistungen führen würden, seien Zuschüsse der öffentlichen Hand notwendig, um diesen Effekt auszugleichen.
Weiterführende Informationen:
AK EUROPA: EU-Kommission stellt europäische Pflegestrategie vor
AK EUROPA Positionspapier: Europäische Strategie für Pflege und Betreuung
AK Wien: Europäische Care-Strategie – Erster Schritt, vieles offen, zu unverbindlich