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ZurückDie EU-Kommission hat am 7. September 2022 ihren Vorschlag für eine umfassende europäische Pflege- und Betreuungsstrategie vorgestellt. Ziel des Vorhabens ist es, die Situation der Pflegebedürftigen und der Pflegeleistenden zu verbessern. Im Mittelpunkt stehen dabei die Gewährleistung des Zugangs zu Pflege- und Betreuungsleistungen in der gesamten EU sowie die Verbesserung der Arbeitsbedingungen von in diesem Bereich Beschäftigten.
Das Paket der EU-Kommission umfasst neben einer Mitteilung zur Europäischen Strategie für Pflege und Betreuung auch einen Vorschlag für Ratsempfehlungen über die Überarbeitung der Barcelona-Ziele zur frühkindlichen Betreuung, Bildung und Erziehung sowie einen weiteren Vorschlag für Ratsempfehlungen über den Zugang zu bezahlbarer und hochwertiger Pflege.
Die bei der Präsentation genannten Zahlen verdeutlichen einmal mehr die Dringlichkeit einer Umgestaltung des derzeitigen Pflege- und Betreuungssektors. Die Anzahl der Menschen mit potenziellem Langzeitpflegebedarf in der EU liegt zurzeit bei 30,8 Millionen und wird, unter anderem aufgrund des demographischen Wandels, bis 2050 auf mehr als 38,1 Millionen Menschen ansteigen. Doch bereits jetzt, und damit noch ohne Berücksichtigung der steigenden Lebenserhaltungskosten, können sich EU-weit etwa ein Drittel der Haushalte mit Langzeitpflegebedarf keine Pflegedienste leisten. Auch bei der Betreuung von Kindern unter drei Jahren ist man mit 35 % weit von der erwünschten Betreuungsquote von 50 % entfernt. Bei armutsgefährdeten Kindern sind es gar bloß 27 %.
Die Geschlechterdimension nimmt im Pflege- und Betreuungssektor nach wie vor eine wesentliche Rolle ein. So sind knapp 90 % aller formell Beschäftigten im Pflegebereich Frauen. Gleichzeitig sind europaweit auch 7,7 Millionen Frauen aufgrund von informeller Pflege von nahen Angehörigen oder Freund:innen gänzlich oder teilweise an einer Teilnahme am Arbeitsmarkt gehindert. Gepaart mit den schlechten Arbeitsbedingungen im Pflege- und Betreuungsbereich sind Frauen somit die Hauptbetroffenen der derzeitigen Lage in diesem Sektor.
Die EU-Kommission plant nun die Sicherstellung von angemessener Bezahlung und eine bessere Vereinbarkeit von Pflegeberufen und Familie. Außerdem soll das Angebot an Langzeitpflegediensten erhöht und ein Qualitätsrahmen für Pflegedienste eingeführt werden. Um dem Qualifikations- und Arbeitskräftemangel entgegenzuwirken, wird der Ausbau von Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen vorgeschlagen. Ebenso sollen legale Migrationswege geschaffen werden, um Arbeitskräfte von Nicht-EU Mitgliedsstaaten in den europäischen Pflegesektor zu integrieren. Im Bereich der frühkindlichen Betreuung sieht die Strategie der EU-Kommission einen Rechtsanspruch vor, der nahtlos an das Ende des bezahlten Urlaubs aus familiären Gründen anknüpft.
Reaktionen auf das Vorhaben der EU-Kommission
Die S&D-Fraktion begrüßt die Ankündigung der Pflegestrategie, fordert aber gleichzeitig auch die Einführung verbindlicher Instrumente und starke öffentliche Investitionen. Die Vizepräsidentin des EU-Parlaments, Evelyn Regner, strich besonders die vorherrschenden schlechten Arbeitsbedingungen im Pflegebereich und die Geschlechterungleichheit hervor. Auch der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) betont die Notwendigkeit einer umfassenden Reform des Pflegesektors, sieht aber gerade in Bezug auf die allgemein gehaltenen Ausführungen der EU-Kommission hinsichtlich der Leistbarkeit von Pflege noch Konkretisierungsbedarf.
Position der AK
Die AK hat bereits in der Vergangenheit regelmäßig auf den dringenden Handlungsbedarf im Pflege- und Betreuungssektor hingewiesen. Dementsprechend ist der Vorschlag der EU-Kommission über eine europäische Pflege- und Betreuungsstrategie zu begrüßen. Es bedarf nun in einem nächsten Schritt eines raschen Beschlusses über die vorgeschlagenen Ratsempfehlungen, wobei neben einer aktiven Rolle der EU auch die Umsetzung dieser Strategie durch die Mitgliedsstaaten erforderlich ist, um eine tatsächliche Verbesserung der Bedingungen für Bedürftige und Bedienstete in diesen Bereichen herbeizuführen. Diesbezüglich ist aus Sicht der AK eine nachhaltige Finanzierung der öffentlichen Investitionen in Pflege und Betreuung unerlässlich, um einerseits den Zugang zu diesen Dienstleistungen zu erleichtern und bezahlbar zu machen, andererseits aber auch bessere Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten zu schaffen. Im Bereich der Hauspflege plädiert die AK bereits seit Längerem für die Einführung einer europäischen Rahmenrichtlinie. Nur so können die grundlegenden Rechte und Verpflichtungen aller involvierten Akteur:innen ausreichend gewahrt und EU-weit einheitlich geregelt werden.
Weiterführende Informationen:
AK Europa Policy Brief: Towards a gender sensitive and sustainable European Care Strategy
AK Europa Policy Brief: Improving Conditions for Health Professionals and Live-in Care Workers
Europäische Kommission: Mitteilung zur Europäischen Strategie für Pflege und Betreuung