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ZurückDie EU-Kommission hat am Mittwoch den lange erwarteten Gesetzesentwurf für das Klimaziel 2040 vorgelegt. Wie sich in den letzten Wochen bereits abgezeichnet hatte, wurde die Aufrechterhaltung des geplanten Zielwerts – eine Reduktion der Treibhausgasemissionen um 90 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 – durch mehr Flexibilität bei der Zielerreichung erkauft. Die letzten drei Prozentpunkte sollen auch durch Emissionsgutschriften in Drittstaaten erzielt werden können, so der Vorschlag der EU-Kommission. Doch wird das reichen, um die notwendige Transformation zu bewältigen?
Während Brüssel wie die meisten Regionen Europas von einer massiven Hitzewelle heimgesucht wurde, ging es Anfang der Woche auch im Hauptgebäude der EU-Kommission heiß her. Bis zum Schluss rangen die Spitzen der Kommission um den Vorschlag, der wohl trotz breiter Unterstützung in der Bevölkerung derzeit in der Politik nur wenig Anklang finden dürfte: Während eine aktuelle Eurobarometer-Umfrage zeigt, dass mehr als 80 Prozent der befragten Bürger:innen hinter dem Ziel der Klimaneutralität bis 2050 stehen und sich knapp zwei Fünftel bereits persönlich klimabedingten Risiken ausgesetzt fühlen, gab es seitens der politischen Entscheidungsträger:innen zuletzt wenig Unterstützung für allzu ambitionierte neue Zwischenziele.
Eine komplizierte Mehrheitsfindung im Vorfeld
Tatsächlich haben in den letzten Monaten nur noch sechs Mitgliedstaaten das von der letzten EU-Kommission in einer Mitteilung vom Februar 2024 vorgeschlagene Ziel für 2040 explizit mitgetragen: Dänemark, das soeben den Ratsvorsitz übernommen hat, Finnland, Luxemburg, die Niederlande, Slowenien und Spanien als einziger vergleichsweise bevölkerungsreicher Staat. Gemeinsam vertreten sie nicht einmal ein Fünftel der EU-Bevölkerung. Ihnen stand eine Opposition aus Italien, Polen und Tschechien gegenüber, die das 90 Prozent-Ziel ablehnte. Dem Vernehmen nach war die Opposition des bisherigen Ratsvorsitzenden Polen war auch der Grund dafür, dass mit der Veröffentlichung des nun präsentierten Verordnungsvorschlags so lange gewartet wurde. Die politischen Schwergewichte Deutschland und Frankreich signalisierten – wie auch einige andere Mitgliedstaaten – hingegen ihre Bereitschaft, das Ziel im Wesentlichen mitzutragen, sofern die EU-Kommission ihnen mit Flexibilitätsinstrumenten entgegenkäme. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat dann beim Europäischen Rat Ende Juni allerdings noch einmal aufhorchen lassen, als er dafür plädierte, sich zunächst auf das Zwischenziel für 2035 zu konzentrieren.
Der lange Weg zum neuen Verordnungsvorschlag
Mit dem im Juli 2021 in Kraft getretenen Europäischen Klimagesetz hat sich die EU dazu verpflichtet, bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen und die Netto-Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 zu reduzieren. Konkretisiert wurden die Maßnahmen zur Erreichung des Zwischenziels bis 2030 im Gesetzespaket Fit for 55, dem bisher größten EU-Klimapaket. Wie eine Ende Mai veröffentlichte Bewertung der nationalen Energie- und Klimapläne (NEKP) zeigt, sind die Mitgliedstaaten auf einem guten Weg. In Übereinstimmung mit dem Europäischen Klimagesetz hat die EU-Kommission jedoch bereits nach der ersten globalen Bestandsaufnahme, die im Dezember 2023 im Rahmen der COP28 in Dubai stattfand, im Februar 2024 eine Zielempfehlung für 2040 vorgelegt, um den Weg zur Klimaneutralität bis 2050 zu konkretisieren. Die schon Anfang 2024 vorgeschlagene Reduktion um 90 Prozent basierte auf einer detaillierten Folgeabschätzung, bewegte sich aber an Untergrenze der vom EU-Klimabeirat vorgeschlagenen 90 bis 95 Prozent.
Flexibilisierte Ambitionen. Europa setzt auf internationale Kooperation
Entgegen der jüngsten Empfehlung dieses Expert:innengremiums, dem European Scientific Advisory Board on Climate Change, ist man im vorliegenden Vorschlag den Forderungen nach mehr Flexibilität nachgekommen. Wie die EU-Kommission in ihrer Presseaussendung betont, erfolgte die Annahme im Anschluss an einen intensiven Austausch mit den Mitgliedstaaten, dem EU-Parlament und weiteren Stakeholdern. Im Zentrum der vorgeschlagenen Flexibilitätsinstrumente stehen die hochwertigen internationalen Emissionsgutschriften nach Artikel 6 des Pariser Klimaabkommens Diese sollen ab 2036 im Ausmaß von bis zu drei Prozentpunkten der geplanten Gesamtreduktion zum Einsatz kommen, aber nicht im EU-Emissionshandelssystem (EU-ETS) handelbar sein. Darüber hinaus sollen dauerhafte CO2-Entnahmen künftig ins ETS integriert und den Mitgliedstaaten eine größere Flexibilität bei der Zielerreichung in unterschiedlichen Sektoren eingeräumt werden. Angesichts des aktuellen Gegenwinds bei den Politiken des European Green Deal betonte EU-Vizekommissionspräsidentin Teresa Ribera, dass die vorgeschlagenen Flexibilitäten in erster Linie als Sicherheitsnetz dienen und sicherstellen, dass sich an der grundsätzlichen Verpflichtung zum Klimaschutz nichts ändert.
Gewerkschaften und Klimabewegung sehen entscheidende Lücken
Aus gewerkschaftlicher Sicht sind ambitionierte Klimaziele nach wie vor von zentraler Bedeutung. So betont EGB-Generalsekretärin Esther Lynch, dass in einer Zeit, in der immer mehr Menschen aufgrund der Arbeit bei extremer Hitze sterben, die ernsthafte Bekämpfung des Klimawandels für die EU unbedingt Priorität haben muss. Gleichzeitig dürfe aber auch die Krise der europäischen Industrie nicht außer Acht gelassen werden. Angesichts der hohen Arbeitsplatzverluste müsse sichergestellt werden, dass ambitionierte klimapolitische Ziele nicht durch Deindustrialisierung, sondern durch einen tatsächlich gerechten Übergang in eine grüne Wirtschaft erreicht werden. Dazu seien nicht zuletzt eine verbindliche Richtlinie für einen gerechten Übergang, die gemeinsame Schuldaufnahme zur Unterstützung der Dekarbonisierung und Reindustrialisierung sowie klare soziale Konditionalitäten bei der Vergabe öffentlicher Mittel erforderlich.
Chiara Martinelli, Leiterin des Climate Action Network Europe, problematisiert nicht nur das unzureichende Ambitionsniveau aus wissenschaftlicher Sicht, sondern ebenso Gerechtigkeitsaspekte des aktuellen Vorschlags. So würde Europa, das historisch betrachtet zu den größten Emittenten von Treibhausgasen zählt, nun versuchen, sich aus der Verantwortung freizukaufen und die Last auf ärmere Länder abzuwälzen. Auch die AK unterstützt, dass sich die EU im internationalen Vergleich besonders ambitionierte Klimaziele setzt. Bei deren Umsetzung muss in erster Linie auf die Wirkung auf die Menschen Bedacht genommen werden. Die nächsten Monate werden zeigen, wie sich die europäischen Gesetzgeber schlussendlich zu dem Vorschlag positionieren.
Weiterführende Informationen:
EU-Kommission: Das EU-Klimagesetz bietet einen neuen Weg bis 2040
AK EUROPA: Klimaziel 2040 - EU-Kommission empfiehlt 90 Prozent Emissionsreduktion
AK EUROPA: ETS II und Klima-Sozialpläne. Wo stehen die Vorbereitungen?
AK EUROPA: „Fit for 55“ – Europas Weg zur Klimaneutralität
AK EUROPA: Klimaziel 2040 - Soziale Dimension ins Zentrum stellen
European Scientific Advisory Board on Climate Change: Staying the course on climate action essential to EU security and competitiveness (nur Englisch)
ETUC: Decarbonisation must not become deindustrialisation, unions warn (nur Englisch)
CAN Europe: EU’s 2040 Climate Target - A pivotal step for climate action comes at a costly compromise (nur Englisch)