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ZurückIm Rahmen des Allgemeinen Präferenzsystems ermöglicht die EU ökonomisch schwächeren Drittstaaten einen erleichterten Zugang zum europäischen Binnenmarkt. Im Austausch dafür sollen die Länder Menschenrechte, Nachhaltigkeit und eine verantwortungsvolle Staatsführung vorantreiben. An diesem Instrument und seiner Umsetzung gibt es aber auch immer wieder Kritik.
Das Allgemeine Präferenzsystem (APS, engl. GSP) der EU ist ein unilaterales (also einseitiges) Handelsinstrument, das 1971 eingeführt wurde. Die drei unterschiedlichen Schemata des APS stehen prinzipiell allen Ländern offen, deren Bruttonationaleinkommen laut Weltbank unterhalb des „oberen mittleren Einkommens“ (zwischen 4.045 und 12.535 US-Dollar pro Kopf) liegt und ermöglichen die Reduktion oder die komplette Abschaffung von EU-Einfuhrzöllen auf bestimmte Waren. Voraussetzung für eine Begünstigung ist die Unterzeichnung von 15 „wesentlichen Übereinkommen der Vereinten Nationen und der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO, engl. ILO) zu Menschenrechten und Arbeitnehmerrechten.“
Die umfassendsten Zollerleichterungen werden im Rahmen des APS+ gewährt. Dieses wird besonders vulnerablen Entwicklungsländern gewährt, wenn sie weitreichende Anforderungen hinsichtlich einer nachhaltigen Entwicklung und ökologischen Mindeststandards erfüllen.
Prekäre Lage für ArbeitnehmerInnen
Wie sich am Globalen Rechtsindex des Internationalen Gewerkschaftsbunds (IGB) ablesen lässt, ist die arbeits- und menschenrechtliche Situation in vielen der begünstigten Länder allerdings äußerst kritisch. So sind ArbeitnehmerInnenrechte aufgrund des „Zusammenbruchs der Rechtsstaatlichkeit“ in nicht weniger als sechs der Länder – unter anderem in Syrien, Somalia und dem Sudan – überhaupt nicht garantiert. Die meisten der begünstigten Länder haben außerdem zwar alle acht Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation ratifiziert, trotzdem kommt es auch hier immer wieder zu Verletzungen der darin festgeschriebenen Standards.
Im Gegensatz zu den Nachhaltigkeitskapiteln in den Handelsabkommen der EU bietet das APS als unilaterales Instrument allerdings Sanktionsmöglichkeiten. So entschloss sich die EU-Kommission im Februar 2020, einen Teil der Zollfreiheiten für Kambodscha wieder aufzuheben. Das autokratische Regime war zuvor zunehmend vehementer gegen OppositionspolitikerInnen und GewerkschafterInnen vorgegangen und hatte gegenüber der EU keine Bereitschaft zur Kooperation erkennen lassen. Der Entzug der Zollpräferenzen trifft jedoch auch die einfachen ArbeiterInnen, im Fall von Kambodscha vor allem in der Textilindustrie tätige Frauen. „Wenn man (Zoll-)Präferenzen entzieht, geht man mit dem Rasenmäher auf alle Produzenten los und trifft damit auch die einfachen Näherinnen und Arbeiter“, wie der SPD-Europaabgeordnete und Vorsitzende des Handelsausschusses, Bernd Lange, festhält. Ein klares Signal der EU sei im Falle Kambodschas jedoch unvermeidlich gewesen. KritikerInnen machen hingegen die zögerliche Haltung der EU für Menschenrechtsverletzungen im Land mitverantwortlich. Die Zollbegünstigungen für Kambodscha hätten dazu beigetragen, dass sich zahlreiche Investor*innen aus dem asiatischen Raum dort niederließen, Land in Beschlag nahmen und darauf Produkte für den Export in die EU anbauten, um als TrittbrettfahrerInnen von den garantierten Zollbegünstigungen zu profitieren. Dies habe regelmäßig zur Vertreibung, Zwangsenteignung oder Umsiedelung der lokalen Bevölkerung geführt, ohne dass hier von Seiten der EU Konsequenzen ergriffen worden wären.
Mehr Beteiligung, Transparenz und Konsequenz gefordert
Anlässlich des Auslaufens der aktuellen Verordnung zum APS mit dem 31. Dezember 2023 hat die EU im Mai 2019 einen Konsultationsprozess eingeleitet, auf dessen Basis sie über die Zukunft des Instruments entscheiden will. Bereits anlässlich der Halbzeitbewertung der Verordnung im Jahr 2019 hat die GSP Platform, ein Zusammenschluss aus Gewerkschaften und zivilgesellschaftlichen Organisationen, an dem auch der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) beteiligt ist, für eine konsequente, dynamische und umfassende Anwendung des Instruments plädiert. In diesem Zusammenhang wurde die EU-Kommission dazu aufgerufen, die Verordnung mit den Zielen der EU-Verträge in Einklang zu bringen und stärker an menschen- und arbeitsrechtlichen Vorgaben auszurichten. Ebenfalls aus diesem Anlass verabschiedete auch das EU-Parlament eine Resolution, in der es sich unter anderem für mehr Transparenz, eine stärkere Einbindung der Zivilgesellschaft und einfachere Ursprungsregeln für vulnerable Länder aussprach.
Viel Raum für Verbesserungen
Das selbsterklärte Ziel der EU, im Rahmen ihrer Handelspolitik eine nachhaltige Entwicklung in den Ländern des globalen Südens zu fördern, ist prinzipiell begrüßenswert. Trotzdem zeigen sich beim APS in der Praxis noch zahlreiche Schwachstellen. So kritisiert etwa das Südwind Institut die Unfähigkeit des Instruments, die asymmetrischen Handelsbeziehungen zwischen den afrikanischen, karibischen und pazifischen (AKP) Staaten einerseits und der EU andererseits auszugleichen ebenso wie die in manchen der begünstigten Ländern nach wie vor prekäre Situation für Gewerkschaften – etwa in Indonesien. Um zu verhindern, dass sich das APS nicht oder sogar negativ auf die begünstigten Länder und deren Bevölkerung auswirkt, braucht es deshalb unbedingt mehr Transparenz und eine stärkere Einbindung von Zivilgesellschaft, Gewerkschaften und MenschenrechtsaktivistInnen. Neben der Möglichkeit von Sanktionen bei Nichteinhaltung der Vereinbarungen sollte auch der Aufbau von Kapazitäten für lokale Akteure wie Gewerkschaften und Arbeits- bzw. Umweltinspektorate gefördert werden.
Zollerleichterungen alleine werden außerdem nicht ausreichen, um eine nachhaltige Entwicklung in diesen Ländern zu garantieren. Vielmehr müssen auch europäische Unternehmen in die Pflicht genommen werden, die von ihnen zu verantwortenden Menschenrechtsverletzungen und die Zerstörung der Umwelt entlang ihrer Lieferketten zu unterbinden. In diesem Sinne ist der für Anfang 2021 angekündigte Entwurf zu einem EU-Lieferkettengesetz zu begrüßen, auch wenn es abzuwarten gilt, wie ambitioniert dieser schlussendlich ausfallen wird.
Weiterführende Informationen:
AK EUROPA: Handelsabkommen, Menschenrechte und der Kampf gegen Sonderklagerechte für Konzerne
AK EUROPA: Immer mehr Unterstützung für ein EU-Gesetz zu unternehmerischen Sorgfaltspflichten
A&W Blog: Handel mit dem globalen Süden: Nachhaltigkeit durch Zollerleichterungen?
Internationaler Gewerkschaftsbund: Globaler Rechtsindex 2020