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ZurückAm Mittwoch, 12. Februar 2020, hat das EU-Parlament für das umstrittene Handels- und Investitionsabkommen mit Vietnam gestimmt. Zeitgleich zeigt sich am Beispiel Kambodschas, wie zaghaft die EU bei der Umsetzung von Sanktionen als Reaktion auf Menschenrechtsverletzungen agiert. Währenddessen plädieren 847.000 EuropäerInnen für ein Ende des ISDS-Systems und der damit verbundenen Sonderklagerechten für Konzerne.
Das EU-Parlament hat am 12. Februar 2020 für die Umsetzung des Handels- und Investitionsabkommen mit Vietnam gestimmt. Die Kommission bewirbt das Abkommen mit dem Abbau von Zollbarrieren, der Harmonisierung von Standards bezüglich Lebensmittelsicherheit und Pflanzengesundheit sowie der stärkeren handelspolitischen Bindung von Vietnam an Europa. Gleichzeitig steht das Abkommen stark in der Kritik. In einem Brief an die Mitglieder des EU-Parlaments forderten AK und ÖGB diese dazu auf, der Ratifizierung des Abkommen erst zuzustimmen, wenn gewisse Mindestvoraussetzungen erfüllt sind. Zu diesen Mindestanforderungen gehört der grundlegende Schutz von Menschen- und Umweltrechten sowie das Verhindern von Sonderprivilegien für Unternehmen. Neben der AK, die bereits in der Vergangenheit auf diese Problematiken hingewiesen hat, bekräftige auch SPÖ-EU-Delegationsleiter Andreas Schieder am Mittwoch noch einmal das Nein der SPÖ-Delegation zum Abkommen. Das Investitionsschutzabkommen muss nun noch von den nationalen Parlamenten ratifiziert werden.
Von Seiten der Europäischen Kommission wird unablässig betont, dass sich Vietnam mit der (geplanten) Ratifizierung der bisher ausständigen ILO-Kernarbeitsnormen auf einem guten Weg befände und das Nachhaltigkeitskapitel des Abkommens (TSD – Trade and sustainable development) in Bezug auf ArbeitnehmerInnenrechte besonders umfangreich sei. Hinsichtlich der Ratifizierungen der ILO-Kernarbeitsnormen kommen Teile der S&D Fraktion zu einer ähnlichen Einschätzung, weshalb diese im Parlament mehrheitlich für das Abkommen stimmte. Die Sorge vieler NGOs und ArbeitnehmerInnenvertreterInnen, dass wichtige Punkte des Nachhaltigkeitskapitels aufgrund der fehlenden Anwendbarkeit von Sanktionsmechanismen nicht umgesetzt werden könnten, konnte sie damit jedoch nicht zerstreuen.
Konfrontiert mit diesen Sorgen wird von Seiten der Kommission gern auf den Mediationsmechanismus verwiesen, der in solchen Fällen in Gang gesetzt werden könne. Wie zahnlos dieser Mechanismus der „sanktionslosen Streitbeilegung“ allerdings ist, zeigt das Beispiel Südkorea. Als Reaktion auf die Verfolgung von GewerkschafterInnen und die fehlende Umsetzung von zugesicherten Kernarbeitsnormen wurde Ende 2018 durch die Kommission der Streitbeilegungsmechanismus aktiviert. Bis heute fehlen nennenswerte Ergebnisse.
Im Gegensatz dazu bietet die EBA-Initiative („Everything but Arms“) sehr wohl die Möglichkeit, handelspolitische Sanktionen gegen Länder zu ergreifen, etwa wenn diese durch massive Schädigung der Umwelt oder Menschenrechtsverletzungen auffallen. Ein negatives Beispiel für Letzteres ist Kambodscha, wo das autokratische Regime seit einiger Zeit zunehmend vehementer gegen OppositionspolitikerInnen vorgeht.
Im Rahmen der EBA-Initiative ermöglicht die EU ausgewählten Entwicklungsländern, nahezu sämtliche Waren zollfrei in den europäischen Markt zu exportieren – Waffen und Munition ausgenommen. Kambodscha gilt als einer der größten Profiteure dieser Initiative. Als Reaktion auf die anhaltenden Missstände und die fehlende Kooperationsbereitschaft des kambodschanischen Regimes hat die EU-Kommission zu Beginn 2019 deshalb einen Prozess eingeleitet, der nun in der (teilweisen) Aufhebung der Zollfreiheit für gewisse kambodschanische Produkte – unter anderem ausgewählte Kleidungsstücke und Schuhe, Reiseartikel und Zucker – gipfelte. Dieser Schritt wird wohl auch die rund 800.000 – überwiegend weiblichen – ArbeiterInnen in der Textilindustrie treffen. Trotzdem könne es so nicht weitergehen, konstatiert der Vorsitzende des Handelsausschusses im EU-Parlament, SPD-Europaabgeordneter Bernd Lange. „Wenn man die Arbeitsbedingungen dort als frühkapitalistisch bezeichnet, ist das womöglich noch zu nett formuliert“, ließ er recht deutlich ausrichten.
Während die EU bezüglich der Rechte von Menschen und Natur nach wie vor eher zögerlich agiert, kämpft AK EUROPA gemeinsam mit ca. 200 europäischen Organisationen, Gewerkschaften und sozialen Bewegungen für eine Globalisierung im Zeichen des globalen Wohlstandes und gegen die rücksichtslose Durchsetzung von Konzerninteressen. Mit ihrer Unterschrift für die Petition „Konzernklagen stoppen – Menschenrechte schützen!“ haben 847.000 EuropäerInnen ein starkes Ausrufezeichen gegen ein paralleles Rechtssystem und die uneingeschränkte Macht der Konzerne gesetzt. Die Kampagne richtet sich gegen die privilegierte Klagemöglichkeit privater InvestorInnen durch das sogenannte ISDS-System (Investor State Dispute Settlement/Investor-Staat-Streitbeilegung). Dieses System ermöglicht es international tätigen Konzernen – exklusiv – Staaten zu verklagen, die Gesetze im Sinne der Bevölkerung erlassen, welche den konkreten Profitinteressen der Konzerne entgegenstehen. So wurde der deutsche Staat als Reaktion auf den Atomausstieg vom Energiekonzern Vattenfall verklagt, der französische Konzern Veolia verklagte den Staat Ägypten wegen der Einführung eines Mindestlohns. Umgekehrt können die Konzerne nicht geklagt werden, wenn sie für Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschäden verantwortlich sind. Im Rahmen der Petition forderten deshalb 847.000 Menschen die EU und nationale Regierungen dazu auf, das ISDS-System komplett abzuschaffen und stattdessen eine Alternative zu etablieren, in deren Rahmen Konzerne für ihr Handeln zur Verantwortung gezogen werden können.
Weiterführende Informationen:
AK EUROPA: AK kritisiert EU-Vietnam Handels- und Investitionsschutzabkommen