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ZurückBei einer hochkarätig besetzten Veranstaltung des wissenschaftlichen Dienstes des Europäischen Parlaments wurden Recherchen über die soziale Mobilität in Europa vorgestellt und die damit einhergehenden Probleme und Lösungsansätze diskutiert. Dabei wurde festgehalten, dass sozialer Status und Bildung in Europa auch heute noch vererbt werden.
Um den gesellschaftlichen Auf- und Abstieg der Kinder im Vergleich zu ihren Eltern auszudrücken, wurde der Begriff „Soziale Mobilität“ geschaffen. Die Aspekte, die einen Auf- oder Abstieg fördern, sind zahlreich und machen politische Maßnahmen schwierig. Daher fokussierte die Veranstaltung zunächst auf einen Problemaufriss durch drei renommierte ForscherInnen, die ihre Arbeiten zum Thema vorstellten. Anschließend diskutierten VertreterInnen des Europäischen Parlaments, von Eurofound, die Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingung, und der Europäischen Kommission, welche politischen Lösungen möglich sind.
Der soziale Status definiert die Zukunft der Kinder
Professor Fabrizio Bernardi aus Italien stellte die Frage, ob und wie die Institution Schule soziale Ungleichheit ausgleichen kann. Seine Feststellung: Die Schule alleine reicht nicht. Die Unterschiede der Kinder je nach Bildungsschicht sind schon beim Schuleinstieg sehr groß. Zwar schließt sich der Abstand über das Schuljahr hinweg leicht, aber in den langen Sommerferien bricht er wieder auf. Das liegt an den außerschulischen Aktivitäten, die Kinder aus einkommensstärkeren Haushalten besuchen können. Auch in Österreich wird damit Bildung weiterhin vererbt und führt zu einer Schere in der Vermögensverteilung. Zu diesem Schluss kommt auch der Ausschuss für Sozialschutz in seinem diesjährigen Bericht: Österreich muss beim Thema Chancengleichheit für Kinder aus benachteiligtem Umfeld dringend nacharbeiten.
Helen Russell vom Trinity College Dublin zeigte auf, wie vorschulische Erziehung Einfluss auf die Bildung und Aufstiegschancen haben. Die soziale Klasse, die Anzahl der Bücher zuhause und insbesondere das Stresslevel der Eltern haben eine große Auswirkung auf die Entwicklung der Kinder. Dem stimmte auch Julia Fionda von der Europäischen Kommission zu: „Die Chancen eines Kindes definieren sich auf Grund der bestehenden sozialen Ungleichheit bereits in der Schwangerschaft.“ Die Schule kann ihrer Ansicht nach einen großen Beitrag dazu leisten dem entgegen zu wirken – sie alleine reicht aber nicht aus. Die Förderung der Eltern von Babys und Kleinkindern sowie die Nutzung der Digitalisierung würden ebenfalls ihren Teil leisten.
Anna Ludwinek von Eurofound konstatierte ebenfalls, dass die Chancenungleichheit bereits vor Beginn der formalen Bildungsinstitutionen festgelegt wird. Ihrer Ansicht nach wäre der Plan des Europäischen Parlaments, eine Garantie gegen Kinderarmut einzuführen, ein erster Schritt, um die soziale Mobilität zu fördern. Bernardi schlug vor, die Berufe KindergärtnerIn und VolkschullehrerIn aufzuwerten, außerschulische Aktivitäten zu fördern und Schulferien auf das Jahr besser zu verteilen. Dies würde Ungleichheiten stärker ausgleichen. Fionda machte zudem deutlich, dass es ein grundsätzliches Umdenken in der Bildung braucht, um die Chancen für einen sozialen Aufstieg durch Bildung tatsächlich möglich zu machen.
Weiterbildung wird nicht ausreichend anerkannt
Darüber hinaus wurde das Thema der Anerkennung von Fähigkeiten niedrig qualifizierter ArbeitnehmerInnen angesprochen. Die Studie von Soziologin Heike Solga ergab, dass diese viel mehr Fertigkeiten haben als durch formelle Qualifikationsdokumente dargestellt. Diese Nichtdarstellung erschwert die Jobsuche und lässt die erworbene berufliche Aus- und vor allem Weiterbildung weniger relevant erscheinen als sie tatsächlich ist. Die AK fordert ebenfalls, dass die Aus- und Fortbildung von Erwachsenen besser finanziert und umgesetzt werden muss. Die Arbeitsmarktpolitik muss wieder einen Fokus auf die berufliche Weiterbildung legen. Dies könnte nach Sicht der ExpertInnen der AK und der Veranstaltung die soziale Mobilität fördern.
Abschließend stellte die sozialdemokratische EU-Abgeordnete Estrella Durá Ferrandis fest, dass auf europäischer Ebene die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Politikfeldern das größte Problem sei. Denn die Frage der sozialen Gerechtigkeit und Mobilität betrifft den Bildungsbereich, Familienpolitik, Frauenpolitik und Gleichberechtigungsfragen ebenso wie Arbeitsmarkt und grundlegende wirtschaftliche Fragen. Nur wenn wir die Chancen der Kinder verbessern, können wir die bestehenden Ungleichheiten beseitigen und eine faire Gesellschaft schaffen.
Weitere Informationen
AK EUROPA Präsentation „Inheritances and Social Mobility"
A&W Blog: Warum es soziale Mobilität in der Realität kaum gibt
A&W Blog: Vermögensverteilung in Österreich: Neue Daten, beständige Ungleichheit