Nachrichten
ZurückDiese Woche (14. Mai 2018) befasste sich der Beschäftigungsausschuss des EU-Parlaments in einem Hearing mit dem Thema Digitalisierung und die Konsequenzen für Arbeitsmärkte und die Sozialversicherungssysteme. Mehrere aktuelle Studien und thematisch relevante Arbeiten wurden vorgestellt.
Ausgangspunkt des Hearings war eine neue STOA-Studie, die Bernhard Dachs vom Austrian Institute of Technology (AIT) präsentierte. Derzeit – so die Analyse des Autors – findet, bedingt durch die neuen Informationstechnologien, ein Wettrennen zwischen der Schaffung neuer Jobs und der Zerstörung von Arbeitsplätzen statt. Auch bei technologischen Entwicklungsschritten der Vergangenheit haben solche Wettrennen stattgefunden, diese wurden jedoch beinahe immer durch die Schaffung neuer Jobs gewonnen. Ob es auch im jetzigen Fall der Digitalisierung gelingen kann, dass Wettrennen im Sinne der ArbeitnehmerInnen zu entscheiden, wird von manchen ForscherInnen verneint. In einem positiven Narrativ, welchen auch der Studienautor teilt, würden die Maschinen Routineaufgaben übernehmen und neue Aufgaben und Berufsbilder für ArbeitnehmerInnen entstehen. Um dieses Szenario zu erreichen, empfiehlt die Studie Investitionen in Bildung, Infrastruktur sowie Forschung und Entwicklung, die Stärkung des UnternehmerInnengeistes in Europa, eine Reform der Steuersysteme sowie neue Finanzierungsquellen für die Sozialversicherungssysteme.
Samuel Engblom vom schwedischen ArbeitnehmerInnenverband TCO analysierte den digitalen Wandel aus gewerkschaftlicher Perspektive. Soziale Sicherheitsnetze und eine aktive Arbeitsmarktpolitik spielten aus seiner Sicht in doppelter Hinsicht eine wichtige Rolle: Es gehe darum, den digitalen Wandel zu ermöglichen, aber auch seine negativen Folgen abzuschwächen. Die Politik sei dazu aufgerufen, neue Formen der Arbeit in bestehende Regulierungen miteinzubeziehen, beispielsweise im Fall von Taxis und Verkehrsunternehmen. Der Anwendungsbereich von Rechtsvorschriften, etwa aus den Bereichen ArbeitnehmerInnenschutz und Weiterbildung, sollten ausgeweitet werden. Engblom appellierte zudem für eine stärkere Rolle der Gewerkschaften und der Kollektivvertragsverhandlungen.
Arbeit neu zu definieren, erachtete Valerio de Stefano, Professor für Arbeitsrecht an der Universität Leuven, für notwendig. Tarifverträge, gewerkschaftliche Vertretung, Antidiskriminierung und weitere Arbeitsrechte müssten auf einen jenen Kreis von Schutzbedürftigen, die derzeit oftmals vom Arbeitsrecht ausgenommen sind, ausgeweitet werden. Zudem wies Prof. de Stefano auch auf das Problem der Disziplinierung von ArbeitnehmerInnen über Algorithmen hin. Diese würden auch dazu genutzt, Personen von Arbeit auszuschließen. Kritisch sah er aktuelle Gerichtsurteile aus Frankreich und Italien, welche lediglich aufgrund der (vermeintlich) flexiblen Arbeitszeiten ArbeitnehmerInnen der Plattformwirtschaft den ArbeitnehmerInnen-Status absprachen.
Gerlind Wisskirchen, Co-Autorin der Studie „Artificial Intelligence and Robotics and Their Impact on the Workplace“ des Global Employment Institute der International Bar Association, hält Massenarbeitslosigkeit für ein nicht unrealistisches Szenario: Innerhalb der kommenden 10 Jahre – so ihre Einschätzung – werden 15% aller Jobs ersetzt werden, weitere 20% stark unter den Auswirkungen der Digitalisierung leiden. Das bestehende Arbeitsrecht – so Wisskirchen – hinkt auf europäischer wie nationaler Ebene weit hinter der Realität her. Die Lücke zwischen Arbeitsrecht und Realität sei in den vergangenen Jahren sogar noch größer geworden. Die Rechtsanwältin warnt vor einem herannahenden „Tsunami“ und fordert die Politik auf zu handeln: Aktuell vorliegende Gesetzesvorschläge seien bei weitem nicht ausreichend genug.
Franca Salis Madinier stellte als EWSA-Berichterstatterin zwei aktuelle Stellungnahmen zu neuen Formen der Arbeit und der Rolle der Sozialpartner sowie zu EU Konzepten zum Übergang in eine digitale Arbeitswelt vor. Sie diagnostizierte Ungleichheiten auch innerhalb der EU. Unterschiedliche Digitalisierungsrisiken bestünden zwischen Mitgliedstaaten und Branchen. Von bereits umgesetzten Lösungen in einzelnen Mitgliedstaaten könnte man lernen. Hier nannte sie etwa die Verankerung des „Rechts auf Abschalten“ in Frankreich, die Ausverhandlung eines Tarifvertrages im Rahmen der Plattformwirtschaft in Dänemark sowie ArbeitnehmerInnen-Beteiligungsmodelle als Beispiel für inklusive künstliche Intelligenz in den Niederlanden.
Schließlich berichtete Co-Studienautor Chris Forde über die Ergebnisse einer vom EP-Beschäftigungsausschuss in Auftrag gegebenen Studie zum Sozialschutz der ArbeitnehmerInnen in der Plattformwirtschaft. Im Rahmen der Studie wurde eine Umfrage unter 1.200 ArbeitnehmerInnen der Plattformwirtschaft (u.a. Amazon Mechanical Turk, Clickworker, Crowdflower, Microworkers) sowie 50 Interviews in 8 EU-Staaten durchgeführt. Nur 26% der Befragten zeigten sich in der Umfrage zufrieden mit ihrer Bezahlung, noch niedriger war die Zufriedenheit (20%) im Hinblick auf Karrieremöglichkeiten. Gerade ArbeitnehmerInnen, die stark von der Plattform abhängig seien, verfügten oft über wenig bis keinen Sozialschutz. Auch die AutorInnen dieser Studie appellierten daher für einen Ausbau des sozialen Schutzes sowie (neue) gewerkschaftliche Formen der Vertretung.
Im Anschluss an die Diskussion forderte MEP Agnes Jongerius (S&D) – mit Verweis auf eine aktuelle Studie der Friedrich Ebert Stiftung – die Schaffung einer eigenen EU-Richtlinie für die Plattformwirtschaft.
Zum Weiterlesen:
STOA-Studie „The impact of new technologies on the labour market and the social economy“
Studie „Artificial Intelligence and Robotics and Their Impact on the Workplace“
EMPL-Studie: The Social Protection of Workers in the Platform Economy
Präsentationsunterlagen zum EP-Hearing
A&W Blog: Digitalisierung: So kommen wir als Gesellschaft da durch
A&W Blog: Qualifizierung und Weiterbildung im Kontext der Digitalisierung
AK EUROPA: Digitaler Markt oder Digitale Sklaverei?
AK EUROPA: Digitalisierung der Arbeitswelt: Mehr Fragen als Antworten?