Nachrichten
ZurückDas EU-Parlament ist das einzige direkt gewählte Organ der EU. Es wird daher zurecht als das Herzstück der europäischen Demokratie bezeichnet. In seiner Geschäftsordnung sind seine Organisation und Arbeitsweise festgelegt. Diese wurde überarbeitet mit dem Ziel, die europäische Demokratie zu stärken.
Pünktlich zu Beginn der neuen Legislaturperiode ist die neue Geschäftsordnung des EU-Parlaments am 16. Juli 2024 in Kraft getreten. Die Konferenz der Präsident:innen hatte eine parteienübergreifende Arbeitsgruppe zur Ausarbeitung von Reformvorschlägen eingerichtet. Im April 2024 beschloss das Plenum des Parlaments die Neuerungen.
Aufgaben des EU-Parlaments: Gesetzgebung, Kontrolle, Haushalt
Als Ko-Gesetzgeber verhandelt und beschließt das EU-Parlament gemeinsam mit dem Rat Gesetze (Richtlinien, Verordnungen) auf der Grundlage von Vorschlägen der EU-Kommission und wirkt beim Abschluss internationaler Abkommen mit. Es kontrolliert darüber hinaus die anderen EU-Organe und kann beispielsweise Kommission und Rat um Rechenschaft ersuchen. Weiters erstellt es gemeinsam mit dem Rat den Haushaltsplan der EU und genehmigt den mehrjährigen Finanzrahmen. Eine wichtige Rolle kommt dem EU-Parlament auch bei der Zusammenstellung der neuen Kommission nach den EU-Wahlen zu: Es wählt den/die Kommissionspräsident:in und erteilt seine Zustimmung (oder Ablehnung) zur Kommission als Ganzes nach Anhörung aller Personen, die als zukünftige Kommissar:innen kandidieren. Die Aufgaben des EU-Parlaments sind in den Verträgen der EU festgelegt, die Regeln zu seiner Arbeitsweise und Organisation in der Geschäftsordnung enthalten. Dass das EU-Parlament im EU-Gesetzgebungsprozess kein Initiativrecht hat, wird von vielen als demokratisches Defizit gesehen. Die AK spricht sich für ein Initiativrecht des EU-Parlament aus; dazu bräuchte es allerdings eine Änderung der Verträge.
Gesetzgebungsverfahren und Belebung der Plenarsitzungen
Ein neues Instrument in der Geschäftsordnung sind Erklärungen des Parlaments. Mit diesen kann es künftig ähnlich wie mit Entschließungen seinen Standpunkt darlegen, aber ohne dabei auf Bemerkungen des Rates oder der Kommission reagieren zu müssen.
Auch im Gesetzgebungsverfahren gibt es Neuerungen. Sind für ein Thema zwei oder mehrere parlamentarische Ausschüsse zuständig, so kann wie bisher entweder eine Ko-Zuständigkeit vorliegen oder das Stellungnahmeverfahren (Hauptzuständigkeit eines Ausschusses, Stellungnahmen durch weitere Ausschüsse) angewendet werden. Zusätzlich gibt es nun darüber hinaus die Möglichkeit, einen nichtständigen Gesetzgebungsausschuss eigens einzurichten, wenn ein umfassendes Thema in die Zuständigkeit von mehr als drei Ausschüssen fällt.
Verstärkte Kontrollrechte
Eine erwähnenswerte Neuerung ist auch die Möglichkeit des EU-Parlaments, kurzfristig besondere Kontrollanhörungen von einem oder mehreren Kommissionsmitgliedern zu Fragen von großer politischer Bedeutung einzuberufen. Im Normalfall müssen Fragen, zu denen eine Aussprache mit der Kommission im EU-Parlament stattfinden soll, bereits eine Woche im Voraus übermittelt werden. Darüber hinaus wird es künftig zusätzlich zu den themenspezifischen Fragestunden in der Regel einmal pro Plenartagung eine Sitzung zur besonderen Kontrolle ohne vorher festgelegtes Thema mit der Kommissionspräsidentin oder ausgewählten Kommissar:innen geben. Die Kontrollrechte des EU-Parlaments werden somit gestärkt.
Die von der S&D Fraktion gestellte Forderung nach einer Befugnis, Geschäftsführer:innen von Unternehmen zu parlamentarischen Befragungen vorzuladen, fand hingegen keine Mehrheit und wurde somit nicht in die neue Geschäftsordnung aufgenommen. In der Vergangenheit hat das EU-Parlament mehrfach erfolglos Vertreter:innen von Amazon zu einer Anhörung über die im Unternehmen herrschenden Arbeitsbedingungen eingeladen. Als Reaktion auf die mangelnde Kooperationsbereitschaft wurde Amazon-Lobbyist:innen bis auf weiteres der Zutritt zum EU-Parlament verwehrt.
Rolle des Parlaments im Krisenfall
Als Antwort auf die Coronavirus-Pandemie hat die EU in der vergangenen Legislaturperiode unter anderem den Aufbauplan NextGenerationEU im Umfang von 750 Milliarden Euro (zu Preisen von 2018) eingerichtet, finanziert durch eine gemeinsame EU-Schuldenaufnahme. Als Rechtsgrundlage wurde der sogenannte „Notstandsartikel“ des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (Artikel 122 AEUV) herangezogen. Die Beschlussfassung erfolgt in diesem Fall durch den Rat auf Vorschlag der EU-Kommission, ohne Beteiligung des EU-Parlaments. Eine vom EU-Parlament beauftragte Studie kommt zu dem Ergebnis, dass diese Rechtsgrundlage zurecht herangezogen wurde. In Zukunft wird das EU-Parlament in solchen Fällen aber stärker einzubinden sein. Bereits im Jahr 2020 wurde ein zusätzlicher Verfahrensschritt zur Einrichtung von Krisenmechanismen gemäß Artikel 122 AEUV eingeführt (das Haushaltskontrollverfahren). Künftig muss der/die EU-Kommissionspräsident:in zu Rechtsakten gemäß Artikel 122 AEUV Erklärungen im EU-Parlament abgeben.
Wahl der Kommission
Last but not least ist eine Neuerung im Zusammenhang mit der Wahl der EU-Kommission zu erwähnen. Im Vorfeld der Anhörungen im EU-Parlament zur Bestätigung der designierten Kommissionsmitglieder wird die/der Kommissionspräsident:in aufgefordert, Einzelheiten über die geplante Struktur, die Ressorts, die Zuständigkeiten und die ausgewogene Vertretung von Frauen und Männern mitzuteilen, um das Verfahren transparenter zu gestalten. Die EU-Mitgliedstaaten schlagen aktuell überwiegend männliche Kandidaten für die Kommission 2024 – 2029 vor. Ob es bei dieser Zusammensetzung bleiben wird, hängt schlussendlich aber auch von den Anhörungen im EU-Parlament ab.
Weiterführende Informationen
EU-Parlament: Geschäftsordnung für die 10. Wahlperiode
EU-Parlament: Textsammlung der wichtigsten Rechtsakte in Bezug auf die Geschäftsordnung
EU-Parlament: Entsprechungstabelle Geschäftsordnung der 9. und 10. Wahlperiode
EU-Parlament: Parlament 2024 - ehrgeizige Reformen zur Stärkung der europäischen Demokratie
AK EUROPA: Änderungen der EU-Verträge. Für eine demokratischere und sozialere Union!