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ZurückIn der ersten Ausschusssitzung nach der Sommerpause diskutierten Mitglieder des EP-Ausschusses für Arbeit und Soziales über angemessenen und erschwinglichen Wohnraum. Im Rahmen eines Initiativberichts ruft der Ausschuss die Kommission auf, sich dem Kampf für leistbares Wohnen stärker zu widmen und Wohnen als ein Grundrecht zu behandeln.
Jede Nacht schlafen gemäß der Europäischen Föderation nationaler Organisationen, die mit Wohnungslosen arbeiten (FEANTSA), 700.000 Personen in Europa auf der Straße oder in vorübergehenden Unterkünften. Und bei diesen Zahlen ist der Anstieg von Wohnungslosigkeit in Folge der Coronakrise noch nicht einmal berücksichtigt. Seit der letzten Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2008/2009 hat sich das Problem massiv verschärft. Für den Zeitraum von 2010 bis 2020 zeichnet sich bei den wohnungslosen Personen ein Anstieg von 70% ab. Diesem Trend soll – geht es nach dem EMPL Ausschuss – auf europäischer Ebene nun vermehrt entgegengewirkt werden. Damit das Recht auf Wohnen tatsächlich als ein Grundrecht behandelt wird, bedarf es einer ambitionierteren Bekämpfung von Wohnungs- und Obdachlosigkeit. Im Parlament wurde am 31. August 2020 ein Entwurf für einen Initiativbericht vorgestellt und diskutiert.
Stärkere Vulnerabilität durch Corona
Die Rufe nach der Schaffung von leistbarem Wohnen sind nicht neu. Im März 2018 wurde die Europäische BürgerInneninitiative (EBI) „Housing for All“ gestartet. Diese wurde auch von Seiten der Arbeiterkammer unterstützt. Und auch wenn die EBI mittlerweile beendet ist, hat diese wichtige Impulse für die parlamentarische Initiative geliefert und die Aktualität und Dringlichkeit von Problemlösungen aufgezeigt. Seit Beginn der Coronakrise hat sich die Situation für Obdachlose und Wohnungslose zusätzlich verschlechtert, sie sind von den wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Pandemie besonders stark betroffen. Die Pandemie hat hier die bereits bestehenden, strukturellen Probleme weiter verschärft.
Wohnen ist ein Grundrecht
Abgeordnete des EP-Ausschusses für Arbeit und Soziales (EMPL) kritisieren, dass die aktuellen Gesetze oftmals mehr Schutz für InvestorInnen bieten als für die BewohnerInnen. Es bedarf dringend einer integrierten europäischen Wohnmarktpolitik, die Wohnen als Grundrecht behandelt. Die Steuer- und Budgetpolitik der EU hat starke Auswirkungen auf die Wohnmarktpolitik und muss deshalb auch im Europäischen Semester verstärkt berücksichtigt werden. Zudem braucht es eine Priorisierung des Grünen Deals, die Bekämpfung von Energiearmut und vermehrte Wohnungsrenovierung. Auch Diskriminierungen am Wohnungsmarkt, etwa in Bezug auf ältere Menschen und Personen mit Mobilitätsschwierigkeiten, müssen abgebaut werden. Die Kommission sollte zudem für eine bessere Datenlage und damit auch für bessere Vergleichbarkeit zwischen den Mitgliedsstaaten sorgen. So stammen etwa die aktuellsten Daten von Estland aus dem Jahre 2011.
Investitionen dringend benötigt
Michaela Kauer, Leiterin des Verbindungsbüros der Stadt Wien zur EU und eine der Obfrauen im Rahmen der EU-Partnerschaft für erschwinglichen Wohnraum war als Gast im EMPL Ausschuss. Sie betonte, dass nicht die Fehler der Vergangenheit wiederholt werden dürfen. Eine vom EMPL Ausschuss in Auftrag gegebene Studie kommt zu dem Schluss, dass in Bezug auf leistbares Wohnen die aktuelle jährliche öffentliche Investitionslücke 57 Milliarden Euro umfasst. Mittlerweile ist die Wohnraumkrise Kauer zufolge zudem auch in der Mittelschicht angekommen. Dies hat nicht nur für die Betroffenen negative Auswirkungen, sondern auch für den Verbrauch und die Realwirtschaft.
Kommission will Aktionsplan 2021 vorlegen
Von Seiten der Kommission soll nächstes Jahr ein Aktionsplan vorgelegt werden, in dessen Rahmen auch eine öffentliche Konsultation geplant ist. Außerdem wurde auf noch kommende Initiativen in Bezug auf Energieeffizienz und Renovierung verwiesen. Mit den Plädoyers der EP-Abgeordneten stimmt Josefine Hederstrom, welche in der Inklusionsabteilung der Kommission tätig ist und ebenfalls im EMPL als Gast eingeladen war, grundsätzlich überein. Es sei unterschiedlich, was in einem Mitgliedsstaat als angemessenes Wohnen gelte, und dies könne daher nicht vereinheitlicht werden.
Es bleibt zu hoffen, dass die Kommission angesichts des deutlich bestehenden Handlungsbedarf aktiver wird. Es muss dringend mehr leistbarer, dauerhafter und inklusiver Wohnraum geschaffen werden, damit wirklich Allen ihr Recht auf Wohnen zukommt.
Weiterführende Informationen:
A&W Blog: „Zu Hause bleiben“, wenn es keines gibt: obdach- oder wohnungslos in der Krise
Europäisches Parlament: Politiken zur Sicherstellung des Zugangs zu leistbarem Wohnen
FEANTSA: Fifth Overview of Housing Exclusion in Europe 2020