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ZurückAm 28. Juni 2021 hat die Kommission einen neuen strategischen Rahmen der EU zur Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz 2021-2027 vorgestellt. Nach der bisherigen Strategie 2014-2020 stellt dieser die Richtschnur für die Weiterentwicklung des ArbeitnehmerInnenschutzes für die nächsten Jahre dar. Wie eine erste Analyse zeigt, bleibt der strategische Rahmen trotz ehrgeiziger Ziele in vielen Bereichen hinter den Erwartungen zurück.
In ihrer neuen Strategie nennt die Kommission drei Schwerpunktbereiche:
- sichere und gesunde Arbeitsplätze im Rahmen des digitalen, ökologischen und demografischen Wandels zu gewährleisten,
- die Zahl der arbeitsbedingten Todesfälle in der EU auf null zu senken
- eine bessere Vorsorge für potenzielle künftige Gesundheitskrisen als Lehre aus der aktuellen Covid-Krise
Positiv ist, dass die Europäische Kommission mit ihrer neuen Strategie die jahrelange Forderung von Gewerkschaften und ArbeitnehmerInnenorganisationen aufgreift und die Mitgliedsstaaten dazu auffordert, Verfehlungen bei Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz anzugehen, die das Leben und die Gesundheit der ArbeitnehmerInnen gefährden. Allerdings geht die Kommission nicht ausreichend weit mit ihren eigenen Vorhaben – obwohl dringliche Risken angesichts der hohen Zahl betroffener ArbeitnehmerInnen bestehen. So ist beispielsweise zu Muskel-Skeletterkrankungen und psychischer Gesundheit keine Gesetzgebung angedacht.
In diesem Sinne stellt auch Esther Lynch, stellvertretende Generalsekretärin im EGB fest: „Freundliche, warme Worte reichen nicht, wenn die Zahl der Arbeitsunfälle steigt und über 100.000 Menschen jedes Jahr an arbeitsbedingtem Krebs sterben – aber auch ergonomische und psychosoziale Risken immer mehr werden. Was es braucht, sind strengere Regeln, um eine ordnungsgemäße Durchsetzung für jeden zu erreichen.“
Unzureichende Fortschritte bei krebserregenden Arbeitsstoffen
Leider schlägt der neue strategische Rahmen vor, dass nur einige krebserregende Stoffe in den nächsten Jahren angegangen werden. Notwendig wäre vielmehr, Grenzwerte für die 50 Stoffe mit der höchsten Expositionswahrscheinlichkeit zu definieren.
Bei krebserregenden Stoffen sind bislang nur 27 mit einem Grenzwert versehen. Bedauerlich ist insbesondere, dass eine kombinierte Exposition gegenüber gefährlichen, chemischen und endokrinen Disruptoren sowie die Revision der Grenzwerte für die Exposition für kristalline Kieselsäure in der Strategie fehlen. Aktuell kennt man das Risiko eines einzigen Stoffes, dem man ausgesetzt ist. Da an vielen Arbeitsplätzen mehrere Stoffe parallel vorhanden sind, ist das tatsächliche Gefahrpotential mehrerer gleichzeitig verarbeiteter Stoffe oft mehr als die Addition der einzelnen Risken.
Lücken bei psychischer Gesundheit, Muskel- und Skeletterkrankungen und Hitze
Besonders bedauerlich ist, dass seitens der Kommission keine Gesetzgebung zu psychischer Gesundheit und bei Muskel- und Skeletterkrankungen angedacht ist, obwohl in diesen Bereichen Richtlinien immer dringender werden. Angesichts des Klimawandels ist es weiters mehr als verwunderlich, dass maximale Temperaturen am Arbeitsplatz, trotz der ernsthaften Gefahr, keine Erwähnung finden.
Positiv hervorzuheben ist, dass die Kommission die Mitgliedsstaaten zur Anerkennung von Covid-19 als Berufskrankheit auffordert. Dies ist Teil der „Vision Zero“, um Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten gänzlich vorzubeugen, angesichts einer Million arbeitsbedingter Covid Erkrankungen und 100.000 Toten durch arbeitsbedingten Krebs sowie einer steigenden Anzahl tödlicher Arbeitsunfälle.
Die Einbeziehung der Selbständigen unter den geltenden Rechtsbesitzstand ist aus ArbeitnehmerInnensicht mit großer Besorgnis zu sehen. In Hochrisikoindustrien wie dem Bau, wo Scheinselbständigkeit weit verbreitet ist, könnte es zur Untergrabung des Kampfs gegen Scheinselbständigkeit kommen, ohne dass der Sicherheits- und Gesundheitsschutz für diese Beschäftigten konkret verbessert wird.
Zahl der Arbeitsinspektionen in der EU gesunken
Die Anzahl der Arbeitsinspektionen ist in vielen EU-Staaten stark gesunken. Hier ruft die Kommission die Mitgliedsstaaten auf, diesem Abwärtstrend durch Ausweitung der Inspektionen entgegenzuarbeiten. Dazu führt Esther Lynch aus: “Es ist ein Skandal, dass die Zahl an Inspektionen am Arbeitsplatz am niedrigsten Stand waren in der Zeit, wo Covid zuschlug, was möglicherweise Leben gekostet und zur Verbreitung der Erkrankungen beigetragen hat. Die Kommission setzte damit ein starkes Zeichen gegenüber den Mitgliedsstatten, dass diese gefährliche Situation nicht länger toleriert werden kann“.
Weiterführende Informationen:
Kommission: Strategischer Rahmen der EU für Gesundheit und Sicherheit
AK EUROPA: Aktionsplan Europäische Säule sozialer Rechte: Erwartungen nicht übertroffen
AK EUROPA: Portugiesischer Ratsvorsitz mit sozialem Schwerpunkt
AK EUROPA Positionspapier: Änderung der Karzinogene- Mutagene-Richtlinie, 4. Tranche