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ZurückDamit der Europäische Grüne Deal und die Digitalstrategie gelingen können, soll auch die europäische Industriepolitik überdacht werden. Die am 10. März 2020 vorgestellte Industriestrategie legt dar, wie die europäische Wirtschaft nach Ansicht der Kommission den Herausforderungen gerecht werden - und dabei erfolgreich und autonom im komplizierten weltwirtschaftlichen Gefüge agieren kann.
Der nun vorgestellte Plan der Kommission besteht aus drei Komponenten: Der Industriestrategie, der KMU-Strategie und einer Strategie für den Binnenmarkt. Unter Federführung der exekutiven Vize-Präsidentin Margrethe Vestager und des Kommissars für den Binnenmarkt, Thierry Breton, werden von der Kommission Strategien dargelegt, die ein weiteres Puzzleteil für ein global wettbewerbsfähiges, umweltfreundliches und digitales Europa liefern sollen.
Die neue industriepolitische Strategie
Die Kernelemente der neuen Industriestrategie zielen auf die Wettbewerbsfähigkeit und Autonomie einer digital vernetzten, innovativen und emissionsarmen europäischen Wirtschaft. Als erste Baustelle wurde das binneneuropäische als auch das außereuropäische Wettbewerbsrecht identifiziert. Europäische Wettbewerbsvorschriften, einschließlich der Fusionskontrollvorschriften und der Beihilfeleitlinien, sollen ab 2021 überprüft und gegebenenfalls geändert werden. Auch die Regeln für ausländische Subventionen im Binnenmarkt oder der Vergabe von EU-Aufträgen ins Ausland sollen zunächst in einem Weißbuch erläutert und 2021 in einem Rechtsakt geregelt werden. Eine wettbewerbsfähige Industrie muss nachhaltig sein: Industriezweige, deren Produktion viel Energie verbraucht, müssen modernisiert und dekarbonisiert werden und auf nachhaltige Mobilität fußen. Ein Aktionsplan für geistiges Eigentum soll UrheberInnenrechte auf die Höhe der Zeit bringen und eine „intelligente Nutzung“ von geistigem Eigentum ermöglichen. Die Leitlinien für öffentliches Beschaffungswesen sollen ebenfalls einem Nachhaltigkeits-Check unterzogen werden. Eine neue Allianz für sauberen Wasserstoff soll die Anstrengungen relevanter AkteurInnen in der Wasserstofftechnik bündeln und forcieren. Überhaupt setzt die Kommission auf Allianzen als Governance-Strukturen der Industriepolitik, die Mitgliedsstaaten und SozialpartnerInnen an einen Tisch bringen sollen, ebenso wie die Allianz für emissionsarme Industrien. Digitalisierungsprozesse sollen durch industrielle Clouds und Plattformen Einzug in eine moderne Wirtschaft halten.
Die KMU-Strategie
Als wichtiger Teil des europäischen „industriellen Ökosystems“ sollen kleine und mittlere Unternehmen besonders dabei unterstützt werden, nachhaltig und digital zu wirtschaften. Als praktische Hilfestellungen sollen NachhaltigkeitsberaterInnen eingesetzt werden und regionale Zentren der digitalen Innovation entstehen, die KMU als Anlaufstelle dienen. „Maßnahmen zur Beseitigung von praktischen oder regulatorischen Hürden“ sollen Innovation und Wettbewerbsfähigkeit neuen Schwung verleihen. Eine virtuelle Beobachtungsstelle soll für alternative Streitbeilegung sorgen. Die Kommission setzt in ihrer KMU-Strategie auf Innovation und Wachstum für kleine und mittlere Unternehmen – so sollen ebendiese leichter an die Börse gehen können und sich über einen EU Start-up-Nations Standard vernetzen und bewährte Verfahren austauschen können.
Aktionsplan für den Binnenmarkt
Die Optimierung des Binnenmarktes soll durch die Beseitigung von bereits bekannten Hindernissen gelingen, die etwa in sperrigen nationalen Vorschriften oder in nicht korrekt umgesetzten EU-Vorschriften liegen. Letztere wurden zunächst in einem Bericht identifiziert, der ebenfalls am 10. März angenommen wurde. Ein Aktionsplan zur besseren Umsetzung und Durchsetzung der Binnenmarktvorschriften soll Abhilfe schaffen und könnte, sofern alle Hürden beseitigt sind, ein Plus von 713 Milliarden Euro generieren. Eine eigens eingesetzte Taskforce der Kommission und der Mitgliedsstaaten soll den Prozess gestalten und begleiten.
Nur heiße Luft?
Auch wenn Ursula von der Leyens 100 Tage-Ziele nun formal erreicht wurden, wird Kritik an den blumig formulierten Strategien laut, die zum Teil nur wenig Substanz und Zielvorgaben enthalten, an denen sie sich messen ließen. Viele Überschriften sind durchaus wichtig und richtig, aber durchgehend wird bloß auf weitere Strategien und Aktionspläne verwiesen, die noch kommen werden. Offen muss daher bleiben, wie die noch gar nicht vorgelegten konkreten Maßnahmenvorschläge letztlich zu beurteilen sein werden. ExpertInnen kritisieren beispielsweise eine fehlende Zielvorgabe für emissionsstarke Industriezweige, die in einer auf Nachhaltigkeit getrimmten Industriestrategie nicht fehlen dürfe. Festzustellen ist aus ArbeitnehmerInnensicht auch, dass diesen gerade mal an zwei Stellen eine Rolle zugedacht ist: Bei Qualifikationen und beim Industrieforum. Ob dies ausreicht, um den enormen vor uns liegenden strukturellen Veränderungen gerecht zu werden, darf bezweifelt werden. Zudem beinhaltet die Strategie wenig Neues: Viele Ideen wurden bereits von der vorherigen Kommission vorgeschlagen. Gescheitert sind sie meist am Widerstand kleinerer Mitgliedsstaaten, die sich der Führungsrolle volkswirtschaftlicher Schwergewichte wie Deutschland oder Frankreich nicht ohne Weiteres unterordnen wollen. Gerade Deutschland und Frankreich, aber auch Polen und Italien hatten sich von der neuen Strategie Lockerungen des Wettbewerbsrechtes erhofft, die Expansion und Wachstum für europäische Großunternehmen ermöglichen sollten.
Weiterführende Informationen:
Pressemitteilung und Materialien der Kommission zur Industriestrategie