Nachrichten
ZurückAm 5. Mai 2021 hat die Kommission ihre aktualisierte Industriestrategie präsentiert. Darin werden die bisherigen – erst im Vorjahr festgelegten – Prioritäten bekräftigt, aber auch neue Vorschläge, welche KMUs unterstützen sollen, konkretisiert. Gemeinsam mit der Industriestrategie hat die Kommission einen Verordnungsvorschlag über drittstaatliche Subventionen, die den Binnenmarkt verzerren, vorgelegt.
Große Herausforderungen – aber auch Chancen
Am Beginn des neuen Jahrzehnts steht Europa vor großen Herausforderungen. Die Covid19-Pandemie ist dabei nur eine Ouvertüre zu den großen strukturellen Veränderungen, die die europäische Wirtschaft in den kommenden Jahren maßgeblich prägen werden. Neben der notwendigen Reaktion auf die Klimakrise kommt noch die rasant voranschreitende Digitalisierung sowie ein sich veränderndes geopolitisches Umfeld, etwa die interventionistische Politik Chinas oder das neuerliche Aufkommen des Protektionismus in den USA, hinzu. Mit diesen Entwicklungen wurde auch der Ruf nach einer strategischen europäischen Industriepolitik immer lauter. Die EU hat darauf mit ihrer im März 2020 vorgestellten Industriestrategie reagiert, welche nun bereits nach einem Jahr aktualisiert wurde.
Die Europäische Union adaptiert ihre Strategie
Mit der neuen EU-Industriestrategie zeichnet sich eine teilweise Umorientierung in der europäischen Industriepolitik ab. Mit der Europäischen Digitalen Dekade, der Industrie- und KMU-Strategie und dem Europäischen Green Deal stellt sich die EU industriepolitisch neu auf. Die Gelder dafür soll der EU-Haushalt (30% sind für Klimamaßnahmen vorgesehen) und die Aufbau- und Resilienzfazilität bereitstellen. Letztere beinhaltet ebenfalls Quoten für digitale (20%) und klimapolitische Maßnahmen (37%). Aufbauend auf der Idee des Juncker-Plans, der Invest-EU-Initiative und der Neuausrichtung der Europäische Investitionsbank hin zu einem stärkeren Fokus auf die Finanzierung der Energiewende und des grünen Strukturwandels können die Strategien als umfassendes industrie- und wirtschaftspolitisches Programm angesehen werden, welches im Gegensatz zu früher eine viel stärkere Betonung des öffentlichen Sektors und der öffentlichen Steuerung bei der Strategie zur Erreichung des Ziels von nachhaltigem Wachstum sowie digitalen und klimarelevanten Investitionen erkennen lässt.
Industriepolitik wird damit breiter gedacht, setzt im Bereich Wettbewerbsrecht und Digitalisierung neue Schwerpunkte und präsentiert sich nun im Angesicht der Klimakrise als wirtschaftspolitische Strategie, welche auch das Umfeld für die Erzeugung erneuerbarer Energien, den Umgang mit Ressourcen in einer Kreislaufwirtschaft und das Thema der grünen Finanzierung (z. B. green bonds, green loans etc.) einschließt. Auch die Initiative der Förderung von Industrieallianzen und das Beihilfeinstrument der Important Projects for Common European Interest (IPCEI) ist vor diesem Hintergrund zu lesen. Vorrangiges Ziel ist von all den Initiativen jedoch nicht die sozial-ökologische Transformation, sondern die weitere Entfaltung „grüner“ Wachstumspotenziale und der Erhalt der internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Außerdem traten zusätzlich mit der Covid19-Pandemie auch die Frage nach einer strategischen Autonomie Europas bei Arzneimittel- und Medizinprodukten stärker ins Zentrum politischer Bestrebungen.
Industriepolitik 5.0: Es braucht dringend begleitende regional- und beschäftigungspolitische Strategien
Der strukturelle Wandel von Industrie und Wirtschaft, den die EU in den nächsten zehn Jahren bewältigen muss, wird aber zu VerliererInnen und GewinnerInnen führen. Immerhin arbeiten aktuell rund 24% der Beschäftigten in der EU im Industriesektor. Je nach Industriezweig werden sie unterschiedlich stark von den Anforderungen der Digitalisierung und Dekarbonisierung betroffen sein. Damit muss auch die Frage der verteilungspolitischen Dimension gemeinsam mit der Beschäftigungspolitik ins Zentrum der politischen Initiativen gerückt werden. Mit dem Versprechen der Europäischen Kommission, niemand zurücklassen zu wollen, ist auch sie aufgefordert, sich länderübergreifende Governance-Prozesse zu überlegen, die das Einlösen dieses Versprechens in allen EU-Staaten möglich machen kann.
Für den Weg raus aus der Rekordarbeitslosigkeit sowie auch im Umgang mit dem mittel- bis langfristigen Strukturwandel hin zu einer digitalen und klimaneutralen Industrie braucht es umfassende regional- und beschäftigungspolitische Strategien. Die derzeit bereitgestellten Mittel aus dem Fonds für einen gerechten Übergang reichen in Anbetracht der Größe der Herausforderungen nicht aus. Mit Blick auf die mit dem Strukturwandel verbundenen Herausforderungen wird deutlich, dass ein gerechter Strukturwandel nur dann gelingen kann, wenn eine abgestimmte Geld- und Fiskalpolitik sowie ökologische, soziale und Verteilungsfragen im Zentrum stehen. Die europäische Politik setzt mit ihren Initiativen, der europäischen Digitalen Dekade, der Industriestrategie und dem European Green Deal dahingehend erste Schritte. Doch auch diese können durch ihren Fokus auf privates Kapital, marktbasierte Lösungen und (materielles) Wachstum ihre grundsätzlichen industrie- und regionalpolitischen Potenziale nicht ausschöpfen.
Weiterführende Informationen:
Kommission: Presseaussendung überarbeitete Industriestrategie
AK EUROPA Positionspapier: Industrie-Strategie und KMU-Strategie