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ZurückAuch wenn die designierten KommissarInnen noch nicht im Amt sind, geben die sogenannten mission letters (Mandatsschreiben) Ausblick auf die zukünftigen Arbeitsbereiche und Prioritäten, die die neue Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den 26 KandidatInnen zugesprochen hat.
Drei exekutive VizepräsidentInnen
Ursula von der Leyen sieht für ihre Kommission insgesamt acht VizepräsidentInnen vor. Drei von ihnen sollen als exekutive VizepräsidentInnen eine Sonderstellung einnehmen, da sie über die Umsetzung der Topprioritäten der neuen Kommission wachen. Frans Timmermans ist für den neuen grünen Deal zuständig und soll bereits innerhalb der 100 Tage seines Mandates ein Europäisches Klimagesetz vorlegen. Margrethe Vestager hat als Aufgabe bekommen Europa fit für das digitale Zeitalter zu machen. Innerhalb der 100 Tage soll sie einen europäischen Ansatz zu künstlicher Intelligenz präsentieren.
Valdis Dombrovskis ist mit dem Themenbereich einer europäischen sozialen Marktwirtschaft, „einer Wirtschaft, die für die Menschen arbeitet“ betraut worden. Unter den Leitlinien Stabilität, Jobs, Wachstum und Investment fällt ein breit gefächertes Portfolio in den Arbeitsbereich des Letten, welchem somit eine sehr einflussreiche Rolle zukommt. Konkret fallen in seinen Aufgabenbereich unter anderem die Vertiefung der Wirtschafts-und Währungsunion, das Europäische Semester, der Europäische Soziale Dialog und auch die weitere Umsetzung der Europäischen Säule sozialer Rechte. Von Seiten einiger Abgeordneter im EU-Parlament wurde kritisiert, dass mit Dombrovskis ein weiterer Vertreter mit EVP-Hintergrund in die höchste Führungsebene der Kommission gehoben wurde, was nicht den Kräfteverhältnissen des Wahlergebnisses entspricht. Problematisch ist aus AK-Sicht ist, dass in den mission letters aller KommissarInnen das „One In, One Out“-Prinzip verankert ist: Hier ist einmal mehr Druck auf sinnvolle Rechtsvorschriften im Bereich Soziales und Umwelt zu befürchten.
Ausblick in die Sozial- und Beschäftigungspolitik
Nicolas Schmit, zurzeit noch MEP aus Luxemburg in der Fraktion der SozialdemokratInnen, soll mit dem Thema Sozial- und Beschäftigungspolitik betraut werden – kurz einfach nur „Jobs“ genannt. Er tritt dabei die Nachfolge der Belgierin Marianne Thyssen an, die ihrerseits noch für „Beschäftigung, Soziales, Qualifikationen und Arbeitskräftemobilität“ zuständig war. Im Mandatsschreiben wird darauf hingewiesen, dass die Krise Lücken im sozialen Sicherungsnetz offengelegt hat, die geschlossen werden müssen. Da besonders junge Menschen und Kinder von sozialer Exklusion und Armut betroffen sind, soll die Jugendgarantie ausgebaut und eine Kindergarantie entwickelt werden. Die Europäische Säule sozialer Rechte soll im Rahmen eines Aktionsplans weiter umgesetzt werden. Ebenfalls genannt ist die Einrichtung und Unterstützung der Arbeit der Europäischen Arbeitsbehörde.
Mindeststandards – aber wie?
JedeR ArbeitnehmerIn in Europa soll einen „gerechten Mindestlohn“ erhalten, hierzu ist Schmit aufgerufen ein „Rechtsinstrument“ vorzulegen. Das Mandatsschreiben verweist hier entweder auf Tarifbindungen oder auf gesetzliche Vorgaben, um den Unterschieden und Lohngefällen der Mitgliedsstaaten Rechnung zu tragen. Auch im Bereich Arbeitslosenversicherung sind Maßnahmen vorgesehen: Hier soll in Zusammenarbeit mit dem designierten Kommissar für Wirtschaft Paolo Gentiloni ein europäisches Rückversicherungssystem ausgearbeitet werden. Die AK schlägt einen anderen Weg vor, nämliche europäische Mindeststandards für die Arbeitslosenversicherung.
Auch weist der mission letter darauf hin, dass Sozialschutz verbessert werden soll, dies ebenfalls nicht auf legislativem Wege, sondern (weiterhin) im Rahmen des Europäischen Semesters.
Eigenverantwortung des arbeitenden Individuums im Zentrum
Auch wenn InteressensvertreterInnen von ArbeitnehmerInnen im Rahmen des Sozialen Dialogs eine Zeile im Mandatsschreiben gewidmet wird, wird deutlich, dass das eigenverantwortliche arbeitsfähige Individuum im Zentrum steht. ArbeitnehmerInnen sollen an ihren Kompetenzen feilen und dabei durch individuellen Lernkonten und Bildungsmaßnahmen unterstützt werden. Qualifikationen – skills – werden auch im Rahmen der just transition genannt: Eine neue, grüne und digitalisierte Arbeitswelt bedarf neuer Fertigkeiten. Besonders deutlich wird die auf Produktivität und Vollbeschäftigung getrimmte Sozial- und Beschäftigungspolitik in der Beschreibung des Europäischen Sozialfonds 2021-2027: Die Gelder sollen der Schaffung von Arbeitsplätzen, der Erhöhung von Arbeitsproduktivität und der Steigerung der Arbeitskräftemobilität zu Gute kommen. Die Qualität der Arbeitsverhältnisse und ein Kampf gegen die steigende Prekarität sind andererseits, abgesehen von dem Verweis auf die Europäische Säule sozialer Rechte, nicht angesprochen.
Fazit
Ursula von der Leyen geht in der Aufstellung ihres Teams sicherlich neue Wege. Die großen Prioritäten Green Deal und Digitalisierung mit den dementsprechenden Posten und Ressourcen auszustatten und als Querschnittsmaterie in alle Politikfelder einzubringen, scheint sinnvoll. Ob dem sozialen Europa, wie unter der scheidenden Juncker Kommission, welche noch für eine ‚soziales Triple-A‘ eintrat und legislative Fortschritte im Rahmen der Europäischen Säule sozialer Rechte machte, ein entsprechend hoher Stellenwert eingeräumt wird, scheint zweifelhaft. Auch wenn eingeräumt wird, dass viele Menschen in Europa von Globalisierungs- und Digitalisierungsprozessen überfordert - und zurückgelassen wurden, scheinen die Antworten in ihrer genauen Ausgestaltung und Umsetzung wenig konkret. Es bleibt zu hoffen, dass progressive ParlamentarierInnen sich im Rahmen der Hearings dafür Gehör verschaffen. Diese stehen in den verschiedenen Ausschüssen des Europäischen Parlaments ab 30. September auf dem Programm.
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