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ZurückDie im Jahr 2022 verabschiedete Mindestlohn-Richtlinie regelt erstmals europaweit angemessene Mindestlöhne. Sie verfolgt das Ziel, Erwerbsarmut und Lohnungleichheit auf europäischer Ebene entgegenzuwirken. Bis 15. November 2024 sollen die Mitgliedstaaten die Vorgaben der Richtlinie umsetzen, was bisher jedoch bloß zögerlich erfolgt.
Die Mindestlohn-Richtlinie (RL 2022/2041) stellt einen Paradigmenwechsel in Europa dar. Sie ist der erste EU-Rechtsakt mit dem konkreten Ziel, europaweit angemessene Mindestlöhne zu etablieren und nationale Tarifvertragssysteme zu stärken. Die Richtlinie soll darüber hinaus auch sozialen Ungleichheiten und dem Phänomen der Working Poor (Menschen, die trotz Arbeitsverhältnis mit einem Jahreshaushaltseinkommen unter der Armutsgefährdungsschwelle auskommen müssen) entgegenwirken.
In der EU sind Mindestlöhne sehr unterschiedlich geregelt. Von den 27 EU-Staaten haben 22 einen gesetzlichen Mindestlohn. In den übrigen fünf Ländern (Dänemark, Finnland, Schweden, Italien, Österreich) wird die Lohnhöhe mittels Tarifverhandlungen festgelegt. In Österreich liegt die Kollektivvertragsabdeckung bei 98%. Wichtig zu erwähnen ist, dass die Richtlinie in die Art und Weise der Lohnfindung in den Mitgliedstaaten nicht eingreift.
Eckpunkte der Mindestlohn-RL
Für EU-Mitgliedstaaten mit gesetzlichem Mindestlohn gibt die Richtlinie Referenzwerte vor, die berücksichtigt werden können: Neben Kriterien wie Kaufkraft und Lebenshaltungskosten können 60% des nationalen Bruttomedianlohns und 50% des nationalen Bruttodurchschnittslohns als Kriterien für die Angemessenheit herangezogen werden. Diese Schwellenwerte sind zwar nicht rechtsverbindlich und die konkrete Entscheidung liegt bei den Mitgliedstaaten, sie sind jedoch ein starker normativer Maßstab.
Mindestens ebenso bedeutsam ist, dass die Richtlinie die Förderung von Tarifverhandlungen und somit auch eine Stärkung von Gewerkschaften vorsieht. Alle Mitgliedstaaten sollen Maßnahmen zur Förderung von Tarifverhandlungen ergreifen. Mitgliedstaaten mit tarifvertraglicher Abdeckung unter 80% müssen einen Rahmen für Tarifverhandlungen (gesetzlich oder durch Sozialpartnervereinbarung) und einen dazugehörigen Aktionsplan erstellen, um zukünftig eine höhere Abdeckung zu gewährleisten.
Das dritte Ziel der Richtlinie ist die Verbesserung des effektiven Zugangs der Arbeitnehmer:innen zum Recht auf Mindestlohnschutz, sofern dies im nationalen Recht und/oder in Tarifverträgen festgelegt ist. Hier wird auf behördliche Kontrollen und den Ausbau der Fähigkeiten der Durchsetzungsbehörden hingewiesen.
Mindestlöhne in der EU – der Status Quo
In 15 von den 22 EU-Mitgliedstaaten mit gesetzlichem Mindestlohn haben die nominalen Erhöhungen 2024 zu einem Reallohnanstieg geführt und somit die Kaufkraft von Arbeitnehmer:innen im Niedriglohnsektor erhalten. Der von der Richtlinie vorgesehene doppelte Schwellenwert für die Angemessenheit wurde allerdings nur in zwei von 22 Ländern mit gesetzlichem Mindestlohn erreicht (Frankreich und Slowenien). Darüber hinaus haben die Schwellenwerte aber bereits politische Diskussionen ausgelöst und als Argumentationshilfen gedient. Die Gewerkschaften bekamen dadurch Rückenwind, um auch schon vor der Umsetzung der Richtlinie eine Erhöhung der Mindestlöhne in bestimmten Tarifverträgen zu fordern.
Umsetzung der Mindestlohn-RL
Der aktuelle Umsetzungsstand der Mindestlohn-RL kann mit einem Online-Tool des Europäischen Gewerkschaftsbunds (EGB) eingesehen werden. Obwohl die Umsetzungsfrist am 15. November 2024 endet, ist in vielen Mitgliedstaaten bisher keine oder eine nur unzureichende Umsetzung erfolgt. Dabei wäre eine wirkungsvolle Umsetzung der Richtlinie dringend geboten. Immerhin 19 EU-Staaten müssen einen Rahmen für Tarifverhandlungen schaffen, da die Tarifvertragsabdeckung unter 80% liegt.
Sechs Mitgliedstaaten (Belgien, Ungarn, Lettland, Luxemburg, Polen, Rumänien) haben bereits einen Gesetzesentwurf veröffentlicht. Deutschland, Irland und Slowenien argumentieren, dass keine Umsetzungsmaßnahmen notwendig seien. Zypern, Estland, Frankreich, Italien, Litauen, Malta und Portugal haben den Umsetzungsprozess bisher nicht gestartet. Die restlichen neun Mitgliedstaaten, darunter Österreich, sind noch in der Vorbereitungsphase. Dänemark hat gegen die Richtlinie eine Nichtigkeitsklage beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) eingebracht.
Blick in die Zukunft
Aufgrund der hohen KV-Abdeckung von 98% profitieren österreichische Arbeitnehmer:innen zwar nicht direkt von der Richtlinie, aber indirekt. Denn es ist zu erwarten, dass die Löhne in Österreichs Nachbarländern steigen, was sich positiv auf den Kampf gegen Lohn- und Sozialdumping auswirken wird. Dennoch braucht es weiterhin wirkungsvolle Maßnahmen und erweiterte Kompetenzen für die Europäische Arbeitsbehörde (ELA), um Lohn- und Sozialdumping effektiv zu bekämpfen.
Die Verhandlungsmacht von Sozialpartnern und Gewerkschaften ist wesentlich für die Festlegung von Mindestlöhnen und für eine gelebte Kultur der Interessensvertretung von Arbeitnehmer:innen. EGB-Vorstandsmitglied Tea Jarc: „Die Richtlinie fordert die Mitgliedstaaten zum Handeln auf, um die Angemessenheit von gesetzlichen Mindestlöhnen sicherzustellen und Tarifverhandlungen zu fördern - der beste Weg zu einer fairen Bezahlung!“
Weiterführende Informationen
AK EUROPA: Faire Löhne in Europa: Wichtiger Schritt in Richtung Einigung
AK EUROPA: Die Chancen der Mindestlohnrichtlinie nutzen
A&W-Blog: Mindestlohn-Richtlinie für ein soziales Europa
AK Wien: Die Europäische Mindestlohn-Richtlinie: Paradigmenwechsel für ein soziales Europa
EGI: Dawn of a new era? (nur Englisch)
EGI: Wages and collective bargaining: the Adequate Minimum Wages Directive as a game changer (nur Englisch)
EGB: Wage-Up Tool (nur Englisch)
UNI Europa: Zeit zum Handeln!