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ZurückVom 4. bis 12. November fanden die Anhörungen der 26 desiginierten Kommissar:innen in den zuständigen Ausschüssen des EU-Parlaments statt. Viele Kandidat:innen gaben ein gutes Bild ab, einige glänzten geradezu mit Detailwissen oder Humor, nur wenige waren umstritten. Dazu zählten neben Olivér Várhelyi aus Ungarn und Raffaele Fitto aus Italien auch Teresa Ribera Rodríguez aus Spanien. Bisher konnten sich die Fraktionen noch nicht einigen, am Termin für die Plenarabstimmung Ende November wird aber vorerst nicht gerüttelt.
Es waren intensive Tage im EU-Parlament in Brüssel, sowohl für die Abgeordneten als auch für die Beobachter:innen des Geschehens. Pro Tag stellten sich bis zu sechs Kandidat:innen den Fragen der Abgeordneten, danach wurde jeweils abgestimmt. Während der erste Tag noch reibungslos über die Bühne ging, kamen am Dienstag, den 5. November beim Hearing der designierten Umweltkommissarin Jessika Roswall Zweifel an ihrer fachlichen Eignung auf. Während diese Bedenken am folgenden Tag in einem politischen Tauschhandel beigelegt werden konnten, waren die Meinungsunterschiede zwischen den Fraktionen über den ungarischen Kandidaten Olivér Várhelyi bisher nicht zu überbrücken. Sechs der 26 künftigen Kommissar:innen werden als Vizepräsident:innen fungieren. Auch für die Entscheidung über diese benötigt das EU-Parlament noch mehr Zeit.
Die erste Woche: Wenige Überraschungen
Den Auftakt machten am Nachmittag des 4. November Maroš Šefčovič (Handel) und Glenn Micallef (Jugend, Kultur, Sport), am Abend folgten Christophe Hansen (Landwirtschaft) und Apostolos Tzitzikostas (Verkehr und Tourismus). Alle vier Kandidaten konnten die Abgeordneten überzeugen, die Stimmung war überwiegend konstruktiv. Micallef sprach sich für eine EU-Politik mit jungen Menschen aus, Hansen setzte einen klaren Fokus auf die Interessen der Landwirt:innen, die Regulierung der Ernährung der EU-Bürger:innen ist ihm kein großes Anliegen. Tzitzikostas nannte unter anderem die Leistbarkeit von Mobilität, ein einheitliches Buchungssystem für Bahntickets und die Dekarbonisierung von Firmenwagenflotten als Schwerpunkte.
Der zweite Tag begann bereits am Vormittag mit den Anhörungen von Michael McGrath (Justiz und Rechtsstaatlichkeit) und Ekaterina Zaharieva (Forschung und Innovation). Am Nachmittag folgten Dan Jørgensen (Energie und Wohnungswesen) und Dubravka Šuica (Mittelmeerraum). Den Abschluss bildeten Magnus Brunner (Inneres und Migration) und Jessika Roswall (Umwelt). Die Vormittags- und Nachmittagssitzungen waren erneut von einer konstruktiven Atmosphäre geprägt, die Kandidat:innen wirkten gut vorbereitet. McGrath überzeugte durch sein breites Wissen und reagierte souverän auf kritische Fragen zum Jahresbericht über die Rechtsstaatlichkeit und dessen Verknüpfung mit dem EU-Haushalt. Jørgensen will sich für niedrigere Energiepreise und bezahlbares Wohnen einsetzen. Er konnte die Abgeordneten immer wieder zum Lachen bringen, selbst als Atomkraft-Skeptiker wurde er mit großer Mehrheit bestätigt. Der österreichische Kandidat Brunner präsentierte sich in der heiklen Migrationsfrage sachorientiert, ließ aber manche Antworten offen, etwa zu Rückführungszentren. Einzig Roswall wirkte in Detailfragen oft unsicher und blieb vage, auch bei der Finanzierung ihrer Pläne. Die Zustimmung wurde vorerst vertagt.
Den Mittwoch eröffneten Hadja Lahbib (Krisenmanagement, Gleichberechtigung) und Maria Luís Albuquerque (Finanzdienstleistungen). Am Nachmittag stellten sich Jozef Síkela (Internationale Partnerschaften) und Costas Kadis (Fischerei und Meere) den Fragen. Und am Abend beschlossen die Anhörungen von Andrius Kubilius (Verteidigung und Weltraum) und Olivér Várhelyi (Gesundheit und Tierwohl) den Tag. Dabei begann schon der Morgen konfrontativ, was neben dem breiten Themengebiet auch an persönlicher Kritik an Lahbib lag, unter anderem an einer Reise auf die Krim im Jahr 2021 mit russischem Visum. Ihre Bestätigung wurde politisch mit jener von Jessika Roswall verknüpft. Auch Albuquerque musste sich kritischen Fragen zu ihrer Tätigkeit in der Privatwirtschaft stellen, zeichnete sich aber vor allem durch große Sachkenntnis aus. Nur Várhelyi konnte, trotz seiner Entschuldigung für eine verbale Entgleisung im EU-Parlament, als er die Abgeordneten als Idioten bezeichnete, nicht überzeugen. Zu groß waren die Differenzen, sowohl im Bereich Gesundheit, wo er sich nicht klar zur sexuellen und reproduktiven Gesundheit positionieren wollte, als auch beim Tierwohl, wo er sich klar auf die Seite der Landwirtschaft stellte. Als Folge musste er sechs weitere Fragen schriftlich beantworten.
Abgeschlossen wurde der erste Befragungsmarathon am Donnerstag, den 7. November mit den Terminen von Wopke Hoekstra (Klima), Marta Kos (Erweiterung), Piotr Arkadiusz Serafin (Haushalt) und Valdis Dombrovskis (Wirtschaft). Hoekstra bekannte sich zu den bestehenden Ambitionen und überzeugte als Amtsinhaber mit Wissen, er kam fraktionsübergreifend gut an. Auch die Befragungen von Kos, Serafin und Dombrovskis verliefen größtenteils ohne Überraschungen.
Der Tag der Vizepräsident:innen
Zum Showdown kam es dann am 12. November bei den Befragungen der designierten Vizepräsident:innen. Den Auftakt machten am Vormittag die Befragungen von Raffaele Fitto (Kohäsion und Reformen) und Kaja Kallas (Hohe Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik). Am Nachmittag setzten Stéphane Séjourné (Wohlstand und Industriestrategie) und Roxana Mînzatu (Kompetenzen und Vorsorge) den Reigen fort, den Abschluss bildeten Teresa Ribera Rodríguez (Sauberer, fairer und wettbewerbsfähiger Wandel) und Henna Virkkunen (Technologische Souveränität, Sicherheit und Demokratie). Obwohl sich Fitto von problematischen Positionen in der Vergangenheit distanzierte – als Abgeordneter lehnte er Rechtsstaatsverfahren gegen Ungarn und Polen ab – und sich fachlich durchaus kompetent präsentierte, blieb die Zustimmung vorerst aus.
In der Folge wurde auch den anderen Kandidat:innen an diesem Tag nicht mehr die Zustimmung erteilt, obwohl sie größtenteils Anklang fanden und prinzipiell Mehrheiten gewinnen könnten. Die für soziale Rechte und Beschäftigteninteressen zuständige Kandidatin Mînzatu erhielt sogar für einzelne Aussagen Applaus. Einer Änderung des von Ursula von der Leyen für ihr Portfolio gewählten Titels stünde sie offen gegenüber, bisher kommen Soziales und Beschäftigung darin nicht vor. Sie werde sich für die Umsetzung der Europäischen Säule sozialer Rechte, gute Löhne und faire Arbeitsbedingungen einsetzen. Umstrittener war die für einen gerechten Wandel nicht minder zentrale Kandidatin Ribera. Während sie in der Klimapolitik mit ihrer Erfahrung als bisherige spanische Ministerin ihre Expertise ausspielen konnte, wirkte sie in Fragen der Wettbewerbspolitik weniger sattelfest. Allerdings war die Stimmung der Befragung konfrontativ, thematisiert wurde nicht zuletzt eine mögliche Mitverantwortung für das schlechte Management der Flutkatastrophe in Valencia.
Aktueller Stand der Verhandlungen
Wie sich die Pattsituation auflösen lässt, werden die nächsten Tage zeigen. Weder EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen noch EU-Parlamentspräsidentin Metsola konnten bisher erfolgreich vermitteln. Im Raum steht sogar die Aufkündigung der bisherigen Zusammenarbeit der pro-europäischen Fraktionen im EU-Parlament, da die EVP vereinzelt auch Mehrheiten mit Fraktionen weit rechts der Mitte bildet. Vorerst wird dennoch am 27. November als Tag für die Abstimmung im EU-Plenum über die Kommission als Ganzes festgehalten.
Weiterführende Informationen
AK EUROPA: Von der Leyens Kompromiss-Kommission. Was ist zu erwarten?
AK EUROPA: EU-Kommission von der Leyen II. Die Kandidat:innen sind nominiert, bald folgen die Anhörungen
EU-Parlament: Anhörungen zur Bestätigung der Europäischen Kommission
EU-Kommission: Commissioners-designate (2024-2029) (nur Englisch)
Euractiv: Streitigkeiten über neue EU-Kommission: Von der Leyen greift ein
POLITICO: Who aced (and flunked) the commissioner hearings? Here’s what our insiders have to say (nur Englisch)