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ZurückMit dem Rahmen für soziale Konvergenz (Social Convergence Framework, SCF) wurde ein Instrument geschaffen, um die beschäftigungs- und sozialpolitischen Entwicklungen in den EU-Mitgliedsstaaten strukturiert abbilden und vergleichen zu können. Er soll helfen herauszufinden, in welchen Ländern es besonderen Handlungsbedarf gibt. Damit es tatsächlich zur ausreichenden Berücksichtigung sozialer Ziele kommt, sind jedoch noch weitere Schritte notwendig.
Im Jahr 2018 wurde im Gemeinsamen Beschäftigungsbericht zum ersten Mal das sozialpolitische Scoreboard vorgestellt, welches den Fortschritt der Mitgliedstaaten in Bezug auf die Europäische Säule sozialer Rechte bewertet. Im Gemeinsamen Beschäftigungsbericht 2024 hat die EU-Kommission basierend auf dem sozialpolitischen Scoreboard auch den Rahmen für soziale Konvergenz herangezogen, um die Mitgliedstaaten hinsichtlich beschäftigungs- und sozialpolitischer Entwicklungen zu analysieren. In der zweiten Phase dieses Prozesses werden Länder, die sozialpolitische Kriterien zu verfehlen drohen, näher betrachtet.
Hintergrund und Entwicklung
Im Rahmen einer von Spanien und Belgien ausgehenden Initiative im Jahr 2021 wollte man ursprünglich einen Weg finden, um den wirtschaftlichen Kriterien des Verfahrens bei einem makroökonomischen Ungleichgewicht (MIP) auch ein sozialpolitisches Pendant gegenüberzustellen. Ursprünglich war dabei die Rede von einem Verfahren bei sozialen Ungleichgewichten. Ähnlich wie wirtschaftliche Ungleichgewichte können sich auch soziale Ungleichgewichte negativ auf andere Mitgliedstaaten auswirken, so eines der Argumente.
Diese Idee setzte sich nicht vollständig durch, jedoch resultierte daraus der Rahmen für soziale Konvergenz (Social Convergence Framework, SCF), welcher vom BESO-Rat im Juni 2023 angenommen wurde. Damit soll die soziale Dimension innerhalb des Europäischen Semesters gestärkt werden. Mit Hilfe bestimmter Indikatoren wird ein sozialer Ungleichgewichtsbericht erstellt, um Hindernisse für die „soziale Aufwärtskonvergenz“ – also die Angleichung der Mitgliedstaaten hinsichtlich sozialer Kriterien nach oben - zu identifizieren. Die Indikatoren beziehen sich zum Beispiel auf Chancengleichheit, faire Arbeitsbedingungen, Inklusion und soziale Schutzmaßnahmen. Während sich an das MIP jedoch weitere konkrete Schritte zur Eindämmung der wirtschaftlichen Ungleichgewichte knüpfen, heißt es im Rahmen des SCF: „Die wichtigsten Ergebnisse werden gegebenenfalls in die Länderberichte einfließen und die Kommission bei ihren Betrachtungen im Rahmen der Erarbeitung ihrer Vorschläge für Länderspezifische Empfehlungen in den Bereichen Beschäftigung, Qualifikationen und Soziales, wenn angemessen, als Informationsquelle dienen, jedoch ohne jeden Automatismus.“ (eigene Übersetzung)
Allgemeine Ergebnisse der Länderanalysen
Unter Heranziehung des SCF wird im Gemeinsamen Beschäftigungsbericht 2024 festgehalten, dass in der EU grundsätzlich ein stabiler Arbeitsmarkt bestehe, der sich etwa in Bezug auf die Arbeitslosenrate gut von der COVID-19-Pandemie erholt habe. Allerdings gibt es Probleme im Hinblick auf Qualifikationen und Fachkräfte, die für den digitalen und grünen Wandel erforderlich sind. In vielen Mitgliedstaaten bestehe die geschlechtsspezifische Diskrepanz bei der Beschäftigungsquote wie auch die Beschäftigungslücke bei Menschen mit Behinderungen unverändert weiter. Die europäischen Sozialsysteme seien zwar stabil, müssen aber im Hinblick auf die steigenden Kosten unter anderem in den Bereichen Nahrungsmittel, Wohnen und Energie, genau beobachtet werden.
Sieben Mitgliedstaaten (Bulgarien, Estland, Spanien, Italien, Litauen, Ungarn und Rumänien) werden nun in der zweiten Phase genauer analysiert, da dort mehrere Bereiche als kritisch eingestuft wurden. Probleme, die in mehreren dieser Länder auftreten, sind etwa eine hohe Armutsgefährdung, die große Kluft zwischen Arm und Reich, unerschwinglicher Wohnraum, hohe Arbeitslosenraten sowie Schwierigkeiten beim Zugang zu Gesundheitsversorgung und Bildung.
Die EU-Kommission betrachtet die Lage in Österreich im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten nicht als so kritisch, um das Land in der zweiten Phase strenger unter die Lupe zu nehmen. Kritisiert wird unter anderem jedoch der mangelnde Zugang zu Kinderbetreuung, welcher auch zur hohen Teilzeitquote (50,3%) der Frauen beitrage und somit den Gender Pay Gap verfestige.
Wie effektiv ist der Rahmen für soziale Konvergenz?
Der SCF bietet im Europäischen Semester durchaus eine strukturierte Betrachtung der Mitgliedstaaten in sozialpolitischer Hinsicht. Das sozialpolitische Instrument ist jedoch für die Ausrichtung des Europäischen Semesters weniger prägend als die wirtschafts- und erst recht die fiskalpolitischen Instrumente. Die Ergebnisse des SCF führen auch nicht automatisch zu einer weiteren Auseinandersetzung im Rahmen des Semesters. EuroHealthNet kritisiert die unzureichende Abbildung des SCF bei den Länderspezifischen Empfehlungen und weist auf das Risiko einer willkürlichen Wirkungsweise hin. Es wird daher vorgeschlagen, den SCF weiter auszubauen und an gezielte Investitionen in die Bereiche, die im Bericht als risikobehaftet identifiziert werden, zu knüpfen. So solle sichergestellt werden, dass die Sozial- und Gesundheitssysteme in der EU widerstandsfähiger und besser gegen Kürzungsmaßnahmen geschützt sind.
Der SCF ist insgesamt wohl noch kein Garant für eine ausreichende Abbildung der sozialen Komponente im EU-Semester. Auch hinsichtlich der Indikatoren sind noch Diskussionen im Gange. Als ein gutes Beispiel für eine ausgewogene Abbildung wichtiger Ziele kann der kürzlich erschienene Wohlstandsbericht der Arbeiterkammer dienen.
Weiterführende Informationen
EU-Kommission: Joint Employment Report 2024 - Publications Office of the EU 1. Phase (nur Englisch)
EU-Kommission: Register of Commission Documents - SWD(2024)132 2. Phase (nur Englisch)
AK EUROPA: Benchmarking Working Europe 2024. Auf der Suche nach dem Sozialen Europa
AK EUROPA: Rückblick. Sozialpolitische Errungenschaften der vergangenen EU-Legislaturperiode
AK EUROPA: Die Soziale Säule und die Zukunft der sozialpolitischen Agenda der EU
AK EUROPA: AK Wohlstandsbericht 2024
EuroHealthNet: Overview of EuroHealthNet research & policy work (nur Englisch)