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ZurückDie EU-Kommission will den Herausforderungen, die mit dem demografischen Wandel einhergehen, mehr Beachtung schenken und hat 2019 mit Dubravka Šuica erstmalig eine Kommissarin für Demokratie und Demografie ernannt. Am 17. Juni 2020 hat die Kommission nun einen Bericht über die Triebkräfte und Auswirkungen des demografischen Wandels in Europa vorgelegt.
Gestaltung des demografischen Wandels
In ihrem Bericht über die Auswirkungen des demografischen Wandels hält die Kommission einige Triebkräfte dieses Wandels fest: Das sind eine höhere Lebenserwartung der Menschen, weniger Geburten, eine alternde Bevölkerung, kleinere Haushalte, eine höhere Mobilität der Menschen in Europa sowie ein insgesamtes Anwachsen der Bevölkerung. Als Auswirkungen des demografischen Wandels weist die Kommission auf die kleiner werdende Gruppe von Menschen im erwerbsfähigen Alter hin und auf daraus folgende Auswirkungen auf öffentliche Haushalte. Hier geht die Kommission davon aus, dass der Anteil der Personen im erwerbsfähigen Alter zwischen 2019 und 2070 um 18 % sinken werde. Regionale Unterschiede, innerhalb Europas sowie auch zwischen Stadt und Land, aber auch eine geänderte Rolle Europas in der Welt, hält der Bericht als weitere Auswirkungen des demografischen Wandels fest. Zwei Themenschwerpunkte des Demografie-Berichtes sollen demnächst noch durch weitere Kommissionsinitiativen vertieft werden: Ein Grünbuch zum Altern soll noch im Laufe des Jahres folgen und eine langfristige Vision für ländliche Gebiete 2021.
Inklusive Arbeitsmarktpolitik als Schlüsselrolle
2008 hatte die Kommission bereits im damaligen Demografie-Bericht festgestellt, dass eine Erhöhung der Beschäftigungszahlen die beste Strategie ist, mit der sich Länder auf den demografischen Wandel vorbereiten können. Positiv ist hier zu sehen, dass die Kommission auch im Demografie-Bericht 2020 einem inklusiveren Arbeitsmarkt eine hohe Bedeutung zumisst. So sollte das Beschäftigungsausmaß von Frauen erhöht werden – die Kommission verweist hier auf die im März veröffentlichte EU-Gleichstellungsstrategie. Auch soll – so der Demografie-Bericht 2020 – der Anteil von älteren ArbeitnehmerInnen erhöht werden. Das geplante Grünbuch zum Thema Altern wird sich darauf fokussieren. Des Weiterem sollen auch für MigrantInnen und Personen mit Behinderung Barrieren abgebaut und Diskriminierungen bekämpft werden. Auch die Arbeiterkammer sieht in einer inklusiven Arbeitsmarktpolitik eine Schlüsselrolle, um den demografischen Wandel gut zu meistern.
AK: Keine (weitere) Erhöhung des gesetzlichen Pensionsalters
Der aktuelle Demografie-Bericht stellt jedoch auch fest, dass „mittelfristig die Alterung der Bevölkerung wahrscheinlich dazu führen [wird], dass mehr Menschen länger arbeiten müssen“. Eine Erhöhung des gesetzlichen Pensionsalters ist jedoch aus AK-Sicht der falsche Schluss – im Mittelpunkt von Strategien zum demografischen Wandel sollte unbedingt eine inklusive Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik und damit die deutlich bessere Ausschöpfung der Beschäftigungspotentiale über das gesamte Erwerbsalter hinweg stehen, anstatt formale Altersgrenzen immer weiter nach oben zu verschieben. Die zentrale Schlüsselgröße ist letztlich die ökonomische Abhängigkeitsquote, also die Relation zwischen der Zahl der BezieherInnen von Pensions- und Arbeitslosenleistungen zu jener der Erwerbstätigen.
Die AK-Experten Josef Wöss und Erik Türk entwickelten einen Abhängigkeitsquotenrechner um die wesentlichen Unterschiede zwischen rein demografischen und ökonomischen Abhängigkeitsquoten aufzuzeigen. Denn die oftmals – auch irreführend – verwendete demographische Abhängigkeitsquote stellt lediglich auf das Alter ab und sagt für sich genommen noch sehr wenig über den Transferbedarf in einer Gesellschaft und die dafür erforderlichen finanziellen Mittel aus. Eine höhere Erwerbstätigenquote sollte mit hochwertigen Arbeitsplätzen einhergehen und kann den Anstieg der ökonomischen Abhängigkeitsquote erheblich eindämmen. Dies wäre sowohl aus einer ökonomischen als auch einer sozialen Perspektive die bei weitem sinnvollste Strategie um steigende Kosten durch den demographischen Wandel einzudämmen.
Gute Arbeitsbedingungen und Sozialstaat als Stabilitätsanker
Positiv zu sehen, ist die Feststellung im aktuellen Demografie-Bericht, dass „alle Daten darauf hin[weisen], wie wichtig gute Arbeitsbedingungen, leistungsfähige öffentliche Gesundheitssysteme, lebenslanges Lernen und kontinuierliche Investitionen in Kompetenzen und Bildung sind“. Angesichts der Coronakrise haben sich die gesetzliche Pensionsversicherung und der Sozialstaat einmal mehr als Stabilitätsanker in der Krise erwiesen. In Österreich deckt das gesetzliche Pensionssystem 90% der gezahlten Leistungen ab. Die öffentliche Alterssicherung erweist sich auch angesichts dramatisch gesunkener Börsenkurse als privaten Systemen bei weitem überlegen, für verlässliche Alterseinkommen unabdingbar und damit nicht zuletzt erneut als wesentlicher stabilisierender Faktor. Auch eine ILO-Studie aus dem vergangen Jahr zeigt: Von Privatisierungen von Pensionssystemen sollte dringend Abstand genommen werden.
Der vorliegende Demografie-Bericht trifft einige wichtige Aussagen. Für die nachfolgenden Initiativen gilt es – anstatt einer Forderung der Erhöhung des Pensionsalters – den Fokus auf eine inklusive Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik fortsetzen und noch zu verstärken sowie die Abkehr von Sparmaßnahmen in den sozialen Sicherungssystemen zur unterstreichen.
Weiterführende Informationen:
AK EUROPA: Europa braucht funktionierende Sozialversicherungssysteme
A&W Blog: Sozialstaat – Stabilitätsanker in der Krise
IMK Report: Den demografischen Wandel bewältigen: Die Schlüsselrolle des Arbeitsmarktes
Zwiener et al. (2020): Demografischer Wandel und Renten: Beschäftigungspotentiale erfolgreich nutzen