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Ein hochrangig besetztes Podium diskutierte diese Woche in der ständigen Vertretung Österreichs in Brüssel bei einer Veranstaltung von ÖGB, dem europäischen Gewerkschaftsinstitut (EGI), dem europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) und AK Europa anlässlich der Veröffentlichung des „Benchmarking Working Europe 2017“ von EGI und EGB.

 

Eigentlich könnte man vorsichtig zufrieden sein, da waren sich Oliver Röpke, Leiter des ÖGB Büros in Brüssel, und Philippe Pochet, Generaldirektor EGI, in ihren Eröffnungsansprachen einig. Denn die Wirtschaft scheint sich zu erholen, Wachstumsraten sind moderat und die Arbeitslosigkeit geht zurück – wie auch die Kommission jüngst in der Winterwachstumsprognose veröffentlichte. Doch bei genauerer Betrachtung schwindet der Optimismus: in sieben Mitgliedsstaaten sind die Löhne heute noch immer niedriger als vor acht Jahren, Divergenzen zwischen den Ländern wachsen und Ungarn hat sich dezidiert gegen eine verbindliche europäische Säule sozialer Rechte und soziale Aufwärtskonvergenz ausgesprochen – auch daran erinnerten beide das voll besetzte Publikum.

 

Maria Jespen, Leiterin der Forschungsabteilung des EGI, zeigte anschließend in ihrer Präsentation der zentralen Ergebnisse des „Benchmarking Working Europe 2017“ eindrücklich, dass die Entwicklungen im Vergleich zu den letzten 10 Jahren vielleicht gut erscheinen mögen, die Arbeitslosigkeit in der EU jedoch weiterhin hoch ist. Die gestiegene Beschäftigungsquote ist vor allem auf einen Rückgang von Personen im erwerbsfähigen Alter und die Zunahme von Teilzeitjobs, nicht aber auf einen tatsächlichen Anstieg der Vollzeitbeschäftigung zurückzuführen. Zusätzlich haben Austeritätspolitik und Deregulierung zu einer Verschärfung der sozialen Lage sowie zu einem Mangel an Investitionen beigetragen. Und bei weitem sind diese Entwicklungen nicht in allen Mitgliedsstaaten gleich. Vielmehr lassen sich auseinanderlaufende Trends zwischen den Ländern feststellen: Während beispielsweise auch Mitgliedsstaaten (insb. die nordischen Länder) mit traditionell hohen Niveaus an betrieblicher Mitbestimmung und Kollektivvertragsabdeckung Verschlechterungen verzeichnen, so zeigen sich diese noch markanter in Ländern, die in diesem Bereich weniger Tradition haben, und damit besonders in Mittelosteuropa.[1]

 

Das hochrangig besetzte Podium unter Moderation von Aline Hoffmann, Leiterin der Einheit Europäisierung der Arbeitsbeziehungen beim EGI, diskutierte anschließend intensiv darüber, wie auf europäischer Ebene mit diesen auseinanderklaffenden Entwicklungen der Mitgliedsstaaten umgegangen werden kann.

 

Jeroen Jutte, der in der Generaldirektion „Beschäftigung und sozialen Angelegenheiten“ der Europäischen Kommission mit den Agenden des Europäischen Semesters betraut ist, betonte, dass der neuerdings verstärkte Fokus auf Beschäftigung und soziale Aspekte die Koordinierung nationaler Politiken um ein wichtiges Element erweitere. Es gäbe entgegen lauter werdender Kritik ausreichend Beispiele, dass die länderspezifischen Empfehlungen der Kommission von Mitgliedsstaaten auch angenommen würden.

 

Zsolt Darvas vom Thinktank Bruegel wiedersprach dieser Ansicht. Das Europäische Semester stelle zwar einen Schritt in die richtige Richtung dar, erreiche jedoch nicht genug: Die Mitgliedsstaaten würden sich nach wie vor zu wenig an den Reformvorschlägen orientieren. Insgesamt könnte die Kommission in Bezug auf die Verringerung von Einkommensungleichheit und Armut noch viel mehr tun.

 

Peter Scherrer, Stellvertretender Generalsekretär von EGB, forderte ebenfalls mehr Engagement der Kommission bei der Neuauflage des Europäischen Sozialmodells: Die VertreterInnen der Beschäftigten sind bereit, ihren Aufgaben im sozialen Dialog nachzukommen und Verantwortung zu übernehmen, jedoch müssen die VertreterInnen der Unternehmen nachziehen. Es braucht endlich eine Stärkung der sozialen und ökonomischen Konvergenz innerhalb der EU: durch mehr öffentliche Investitionen, eine Erhöhung der Löhne und die Umsetzung von umfassenden Sozial- und Arbeitsstandards – wie es bereits seit längerem mit der goldenen Investitionsregel und der von der Arbeiterkammer unterstützen Kampagne „Social Rights First“ gefordert wird. Dabei müsse man beachten, dass das kurz vor der Veröffentlichung stehende Kommissionspaket zur europäischen Säule sozialer Rechte nicht „empty boxes of pralinés“ wird – eine schöne Verpackung, aber ohne konkrete Inhalte. Mit Spannung wird daher erwartet, ob die Kommission am 26. April nur Empfehlungen aussprechen wird oder sich endlich zu rechtlich verbindlichen und adäquaten Mindeststandards durchringen kann.

 

Weiterführende Informationen:

Veröffentlichung von EGB und EGI: Benchmarking Working Europe 2017

Social Rights First

Mehr zur goldenen Investitionsregel

Fotos der Veranstaltung

 

[1] Beispielsweise zeigt sich, dass die Kollektivvertragsabdeckung besonders stark in Süd- sowie Mittelosteuropa abgenommen hat, wobei insbesondere letztere Länder traditionell ein schwaches Kollektivvertragsverhandlungssystem haben. Während in Ländern wie Dänemark, Schweden und Finnland die Kollektivvertragsabdeckung bei knapp 90% liegt, ist dies in Mittelosteuropa (Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Kroatien, Estland, Litauen, Lettland) nicht der Fall. Hier liegt die Abdeckung durchschnittlich knapp über 20%. (Zahlen für 2014, Quelle: Benchmarking Working Europe 2017, S. 43) Gleichzeitig haben diese Länder häufig auch auf betrieblicher Ebene keine Form der Mitbestimmung.