Nachrichten
ZurückAm 16. September 2020 hielt Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihre erste Rede zur Lage der Union vor dem Europäischen Parlament. Dabei zog sie auch Bilanz über die ersten neun von der Pandemie gezeichneten Monate und gab einen Ausblick auf die nähere Zukunft.
In einem schon seit Langem nicht mehr so gut gefüllten Plenarsaal des Europäischen Parlaments hielt die Kommissionspräsidentin ihre lang erwartete erste Rede zur Lage der Union. Von der Leyen startete mit einem Dank an die systemrelevanten Arbeitskräfte, die seit dem Beginn der Pandemie an vorderster Front kämpfen.
Europäischer Mindestlohn
Wie erwartet sprach von der Leyen in ihrer Rede auch die für den 28. Oktober 2020 geplante Mindestlohninitiative an, mit der ein Rechtsrahmen eingeführt werden soll. Denn so hielt von der Leyen fest:„JedeR in Europa sollte einen Anspruch auf Mindestlohn haben, sei es im Rahmen einer Tarifvereinbarung oder dank eines gesetzlichen Mindestlohns.“ Im Vorfeld hatte von der Leyen in einem Interview für die schwedische Zeitung Dagens Nyheter betont, dass seitens der EU keinerlei Druck erzeugt werden soll, dass in jenen 6 Staaten (darunter auch Österreich), welche Mindestlöhne ausschließlich über Kollektivvertragssysteme festlegen, gesetzliche Mindestlöhne eingeführt werden sollen. In einer ersten Reaktion zeigte sich der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) enttäuscht, dass von der Leyen die Pläne zum Europäischen Mindestlohn nicht weiter konkretisiert hatte und damit. Der EGB fordert eine EU-Rahmenrichtlinie zu Europäischen Mindestlöhnen, welche u.a. einen doppelten Schwellenwert für gesetzliche Mindestlöhnen enthalten soll (60 % des Medianlohnes, 50 % des Durchschnittslohnes). Weiters rief der EGB dazu auf, die Europäische Säule sozialer Rechte, die Bekämpfung von prekärer Arbeit sowie soziale Absicherung aller EU-BürgerInnen in das Corona-Aufbauprogramm „NextGenerationEU“ aufzunehmen.
Reduktion der CO2-Emissionen um 55% bis 2030
Besonders ausführlich ging von der Leyen auf die Notwendigkeit der Umsetzung des Grünen Deals ein: 37 % der Mittel von „NextGenerationEU“ sollen in Projekte im Rahmen des Grünen Deals fließen. Des Weiteren soll auch bei der Finanzierung von „NextGenerationEU“ der Grüne Deal verfolgt werden: Dieses Programm sieht vor, dass die Kommission erstmals direkt Anleihen ausgeben kann. 30 % der 750 Mrd Euro sollen durch Grüne Anleihen beschafft werden. Von der Leyen kündigte an, dass die Kommission die Erhöhung der Emissionsreduktion auf 55 % von derzeit 40 % bis 2030 vorschlagen wird. MEP Ska Keller von den Grünen begrüßt zwar das Setzen von 55% als ein „wichtiger Schritt nach vorne“, verweist aber darauf, dass aus wissenschaftlicher Sicht dieses Ziel zu niedrig sei. Kritik kam hier u.a. von Seiten MEP Manon Aubry von der Nordischen Grünen Linke, welche kritisiert das von der Leyen weiterhin „Wachstum um jeden Preis“ und Austeritätspolitik wolle und von ihr konkretere Maßnahmen zur Bekämpfung der Klimakrise vermisse. Zuvor hatte das Parlament bereits die Kürzungen und Einschnitte des Rates im Bereich des grünen Deals – allen voran beim Fonds für einen gerechten Übergang – verurteilt. Gerade dieser ist jedoch aus Sicht von Arbeiterkammer und Gewerkschaften zentral, damit die ArbeitnehmerInnen in vom Wandel besonders betroffenen Regionen beim Übergang in eine ökologischere Wirtschaft nicht auf der Strecke bleiben.
Investitionen in digitalen Bereich
Und auch die Digitalisierung als ein weiterer Schwerpunkt der Kommission soll in Form einer Mittelwidmung von 20 % der Gelder des Wiederaufbauprogramm „NextGenerationEU“ profitieren. Unter anderem soll auch dringend die Abdeckung von Breitbandinternet in ländlichen Gebieten ausgeweitet werden. Im Rahmen der Datensicherheit kündigte von der Leyen eine „europäische digitale Identität“ an, die vertrauenswürdig und sicher von allen BürgerInnen genutzt werden soll: Vom Steuerzahlen bis zum Fahrrad mieten.
Stärkung der europäischen Gesundheitspolitik
Aus der Gesundheitskrise sollten auch Lehren gezogen werden: Um für zukünftige (pandemische) Krisen und grenzübergreifende Gefahren besser gewappnet zu sein, soll eine europäische Agentur für biomedizinische Forschung und Entwicklung errichtet werden. Des Weiteren sollen die Kompetenzen der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) und des Europäischen Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) ausgeweitet werden.
Pflege des transatlantischen Bündnisses
Auch wenn die jüngeren Entscheidungen im Weißen Haus nicht immer begrüßenswert waren, das transatlantische Bündnis solle weiterhin in Ehren gehalten werden, wenn es nach von der Leyen geht. Unabhängig des Wahlausganges in den USA kündigt sie Bereitschaft für die Arbeit an einer gemeinsamen transatlantischen Agenda und am Ausbaues der bilateralen Beziehungen an.
Verurteilung von Menschenrechtsverletzungen
Von der Leyen betonte, dass eine klare Positionierung Europas angesichts der Verstöße gegen Menschenrechte notwendig sei, Solidaritätsbekundungen wurden etwa gegenüber der Bevölkerung Weißrusslands ausgesprochen. Zumindest im Kontext von Menschenrechtsverletzungen und Sanktionen möchte von der Leyen von der Einstimmigkeit abgehen. Im Gegensatz zu ihrem Vorgänger Jean-Claude Juncker nutzte von der Leyen die Rede jedoch nicht, um die Einführung einer qualifizierten Mehrheit bei Steuerangelegenheiten zu fordern. Klar verurteilte die Kommissionspräsidentin auch Rechtsverstöße innerhalb der EU: LGBTIQ freie Räume hätten genauso wenig Platz in Europa wie Rassismus – Hass ist Hass. Rassismus zu bekämpfen würde niemals optional sein. Dasselbe gelte für das Retten von Leben auf See. Von einigen Abgeordneten des Parlaments folgte hier die Aufforderung, den Worten auch Taten folgen zu lassen. In Bezug auf Migration und Flucht braucht es mehr solidarisches Engagement der Mitgliedstaaten. Am 23. September 2020 wird die Kommission daher einen Migrationspakt veröffentlichen – angesichts der humanitären Katastrophe in Moria – eine Woche früher als geplant. Es bleibt zu hoffen, dass dieser nicht nur auf den Erhalt der Festung Europas fokussiert, sondern dass die EU endlich ihrer Verantwortung nachkommt und dem Sterben von Menschen im Mittelmeer und an den Außengrenzen nicht mehr tatenlos zusieht.
Weiterführende Informationen:
AK EUROPA: EU Parlament kritisiert Budgetvorschlag des Rates
AK EUROPA: Gerechte Mindestlöhne: SozialpartnerInnen-Konsultation geht in die zweite Runde