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ZurückViele EU-Mitgliedstaaten haben auf die Coronakrise und die Staus an innereuropäischen Grenzen mit nationalen Lockerungen der Lenk- und Ruhezeiten reagiert. Am 29. April 2020 hat die Kommission diese Ausnahmeregelungen von elf Mitgliedstaaten – darunter auch Österreich – genehmigt. Das Fahrpersonal darf somit in vielen Staaten länger fahren und/oder muss weniger lange Pausen einhalten.
LKW-FahrerInnen dürfen in Österreich nun täglich bis zu 11 Stunden fahren – gemäß EU-Verordnung zu den Lenk- und Ruhezeiten sind es 9 Stunden, die zwei Mal in der Woche auf 10 Stunden verlängert werden können. In einer Woche dürfen nun 60 Lenkstunden anstatt bisher 56 Stunden absolviert werden, in einem Zeitraum von zwei Wochen sind nun 100 statt bisher 90 Stunden rechtlich möglich. Auf starken Druck der Arbeiterkammer bleiben die geltenden Ruhezeiten für Österreich unverändert.
Bei diesem Wettlauf um Ausnahmen zu Lasten des Fahrpersonals gehen andere Länder noch weiter: In Schweden ist es nun möglich, dass FahrerInnen 120 Stunden innerhalb von zwei Wochen fahrend unterwegs sind, das bedeutet bei einer sechs-Tage-Woche täglich 10 Stunden Fahrzeit. Gleichzeitig wurde die tägliche Ruhezeit (zur Erholung während der Nachtstunden) von elf auf neun Stunden gekürzt. Dieselbe Regelung zur täglichen Ruhezeit gilt auch in der Slowakei, darüber hinaus müssen die FahrerInnen dort erst nach 5,5 Stunden ununterbrochener Fahrt eine Pause einlegen. Bisher war diese nach spätestens 4,5 Stunden notwendig. In den Niederlanden und Rumänien ist es zulässig, dass FahrerInnen nun sieben Tage in Folge fahren, bevor sie eine wöchentliche Ruhezeit einlegen müssen und sich damit zumindest an einem lenkfreien Tag erholen können.
Während in Schweden diese Ausnahmen auch für den Transport von Personen gelten, ist in den übrigen Ländern nur der Güterverkehr betroffen. Nicht nur in der Genehmigung für Österreich hält die Kommission fest, dass aufgrund der komplexen Lieferketten und der Unvorhersehbarkeit, welche Güter als essenziell anzusehen sind, eine Beschränkung der Ausnahme auf den Transport essenzieller Produkte nicht möglich sei. Allerdings beweisen die Niederlande, dass dies sehr wohl möglich ist, denn die dortige Ausnahmeregelung beschränkt sich auf den Transport von essenziellen Gütern, worunter die Belieferung von Apotheken und Lebensmittelgeschäften fällt. Dies trifft auch auf Belgien zu, dort ist die Definition von essenziellen Gütern auch auf medizinische Produkte sowie Treibstoffe erweitert.
All diese Ausnahmen belegen einen Wildwuchs an nationalen Alleingängen zu Lasten der FahrerInnen, der eine weitere Verschärfung ihrer ohnehin schwierigen Arbeitsbedingungen darstellt. Den FahrerInnen ist es kaum zumutbar, den Überblick zu behalten, wo wie lange gefahren werden darf und wann Fahrtunterbrechungen einzuhalten sind. Völlig unverständlich ist dabei die Darstellung der Kommission, mit diesen Ausnahmen „FahrerInnen die Flexibilität zu geben, die sie brauchen, den Warenverkehr in Europa aufrecht zu erhalten“.
Für die Behörden bedeuten die Ausnahmen jedenfalls eine de facto Unkontrollierbarkeit, denn das Einhalten der Lenk- und Ruhezeiten bezieht sich immer auf den Zeitraum der vergangenen zwei Wochen, unabhängig davon, in welchem Land die FahrerInnen unterwegs waren. Im grenzüberschreitenden Verkehr stellt sich somit die Frage: Darf oder muss die Behörde eines Landes, das keine Ausnahmen vorgesehen hat, eine Überschreitung ahnden, wenn zuvor in einem anderen Land von der dortigen Ausnahmeregelung Gebrauch gemacht wurde? Zudem stellt es eine Wettbewerbsverzerrung innerhalb Europas dar, wenn die Länder unterschiedliche Lenk- und Ruhezeiten vorsehen.
Die elf von der Kommission genehmigten nationalen Ausnahmen gelten – vorerst – jeweils befristet bis 31. Mai 2020. Eine Verlängerung ist nicht ausgeschlossen. Außerdem hat die Kommission angekündigt, Anträge zu Ausnahmen von neun weiteren Ländern in den nächsten Wochen positiv bearbeiten zu wollen.
In Zeiten der Coronakrise werden medial immer wieder auch die Leistungen des Fahrpersonals als systemrelevant betont und Anerkennung zugesprochen. Wie viel dieser Zuspruch im täglichen Leben wert ist, zeigt sich durch diese Ausnahmen in ernüchternder Form, frei nach dem Motto: Freier Warenverkehr um jeden Preis.
Weiterführende Informationen:
AK EUROPA: Leitlinien für die Errichtung von Grünen Fahrspuren (Green Lanes)
A&W Blog: Coronavirus-Notsituation: Freier Warenverkehr auf Kosten der FahrerInnen