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ZurückErstmals wird eine Frau die Präsidentin der Europäischen Kommission werden: Am 17. Juli 2019 stimmte das Europäische Parlament dem Vorschlag des Europäischen Rates zu, dass Ursula von der Leyen die wichtigste Position der EU ab 1. November 2019 innehat. Mit nur neun Stimmen mehr als die erforderliche absolute Mehrheit fiel die Wahl aber denkbar knapp aus.
Es waren spannende Tage in Brüssel und Straßburg im Vorfeld der Abstimmung des EU-Parlaments über Ursula von der Leyen als neue Kommissionspräsidentin. Denn viele Abgeordnete waren nicht nur skeptisch hinsichtlich ihrer inhaltlichen Schwerpunkte, sondern auch ablehnend gegenüber der Vorgangsweise des Rates, mit ihrer Nominierung das Prinzip der SpitzenkandidatInnen zu verwerfen. Demnach hätten nur die vor der EU-Wahl von den Parteifamilien nominierten SpitzenkandidatInnen (allen voran Manfred Weber für die EPP, Frans Timmermans für die SozialdemokratInnen und Margrethe Vestager für die Liberalen) KommissionspräsidentIn werden können. Hinzu kamen nicht geglückte Hearings von Ursula von der Leyen bei den Fraktionen der SozialdemokratInnen, Liberalen und Grünen im Vorfeld der Abstimmung, mit denen die Skepsis vieler Abgeordneter ihr gegenüber noch größer wurde. Deshalb erwarteten viele BeobachterInnen eine knappe Abstimmung in Parlament, zumal diese geheim durchgeführt wurde. Und so sollte es auch kommen: 374 Stimmen waren für die Bestätigung notwendig, und Ursula von der Leyen erhielt 383 Stimmen. 327 sprachen sich gegen sie aus, 23 Abgeordnete enthielten sich.
Klimawandel bekämpfen
Die entscheidenden Stimmen dürfte sich Ursula von der Leyen erst mit ihrer mitunter von Pathos getragenen Rede vor dem Plenum wenige Stunden vor der Abstimmung geholt haben. Denn darin ging sie auf zahlreiche Punkte ein, die von der sozialdemokratischen, der liberalen und der grünen Fraktion gefordert wurden. So kündigte sie für den Fall ihrer Wahl an, binnen den ersten 100 Tagen ihrer Amtszeit ein Klimagesetz vorzulegen, mit dem die bisher verankerten EU-Ziele zur Senkung der Emissionen erhöht werden. So soll es bis 2030 einen Rückgang des CO2-Ausstoßes um 50 bis 55 % geben. Bisher waren nur 40 % als Ziel festgelegt. Jeder Sektor müsse seinen Beitrag zum Klimawandel leisten, so von der Leyen. Sie erwähnte dabei ausdrücklich auch den Flugverkehr, der bisher von substantiellen Ausnahmen profitiert. „Emissionen müssen einen Preis haben, der unser Verhalten ändert“, so die Worte der neuen Kommissionspräsidentin.
Großkonzerne besteuern
Klar sind die Aussagen von Ursula von der Leyen auch hinsichtlich der wirtschaftlichen Entwicklung der Union: „Es sind nicht die Menschen, die der Wirtschaft dienen. Es ist die Wirtschaft, die den Menschen dient“. So gab sie zu Protokoll, dass sie es für nicht akzeptabel halte, dass große Unternehmen große Gewinne erzielen, jedoch kaum Steuern bezahlen müssen und gleichzeitig vom Ausbildungssystem in der EU, der Infrastruktur und den Sozialsystemen profitieren: „Wenn sie davon profitieren wollen, dann müssen sie auch ihren Anteil dafür leisten“.
Kollektivverträge als beste Option
Um Abgeordnete aus der Fraktion der SozialdemokratInnen für sich zu gewinnen, übernahm von der Leyen mit dem Thema Mindestlöhne in Europa eine der zentralen Forderungen dieser Gruppe: In einer sozialen Marktwirtschaft soll jede Person, die Vollzeit beschäftigt ist, ein Gehalt erzielen, von dem sie angemessen leben kann. Deshalb möchte sie einen Rahmen für Mindestlöhne schaffen, wobei sie Kollektivverträge ausverhandelt von Vertretungen von ArbeitnehmerInnen und ArbeitgeberInnen ausdrücklich als beste Option dafür bezeichnet. Die Europäische Säule sozialer Rechte will sie stärken und schlägt dabei eine Garantie für Kinder vor, damit jedes Kind in Europa seine grundlegenden Rechte wie Bildung und Gesundheitsversorgung erhält. Außerdem kündigt sie an, Gewalt gegen Frauen auf die Liste der Straftaten in den EU-Verträgen aufzunehmen.
Gleich viele Frauen und Männer in der neuen Kommission
Von der Leyen legt auch Wert auf eine geschlechtermäßig ausbalancierte Kommission: Falls die Mitgliedstaaten zu wenige Kommissarinnen vorschlagen, würde sie nicht davor zurückschrecken, neue Vorschläge einzufordern. Denn seit 1958 waren von den 183 KommissarInnen weniger als 20 % Frauen. Österreich leistet jedoch keinen Beitrag den Frauenanteil in der Kommission zu erhöhen, da Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein bereits am 11. Juli 2019 bekannt gab, den bisherigen österreichischen Kommissar Johannes Hahn wieder zu nominieren. Dieser wurde am 18. Juli 2019 im Hauptausschuss des österreichischen Parlaments von allen fünf Parlamentsfraktionen einstimmig abgesegnet.
Kein Kompromiss bei der Rechtsstaatlichkeit
Klare Worte fand sie hinsichtlich der Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten: Die Menschen in Europa haben über Jahrhunderte für die Freiheiten gekämpft. Deshalb wird es niemals einen Kompromiss geben können bei Versuchen, die Rechtstaatlichkeit auszuhebeln. Die Kommission wird immer die unabhängige Hüterin der Verträge bleiben: „Wer Europa schwächen und spalten will, findet in mir eine erbitterte Gegnerin“. Großbritannien stellt sie eine Verschiebung des Austrittsdatums aus der EU in Aussicht, wenn es ausreichend begründet ist.
Um die Rolle des Parlaments zu stärken, kündigte sie an, Resolutionen des Parlaments für neue Gesetze jedenfalls aufzunehmen und in konkrete Legislativvorschläge umzuwandeln. Und auch die Verankerung des Modells der SpitzenkandidatInnen bei EU-Wahlen sowie transeuropäischer Listen verspricht sie anzugehen.
Wie es weitergeht
Nach der Wahl von Ursula von der Leyen zur neuen Kommissionspräsidentin wird sie an ihren Taten zu messen sein. Für nahezu alle ihrer Vorschläge braucht sie allerdings zumindest die qualifizierte Mehrheit im Rat, also der Mitgliedstaaten, die in der Vergangenheit nur durch Eingehen weitreichender Kompromisse möglich war. Der erste Härtetest ihrer Ankündigungen steht mit der nun anstehenden Zusammensetzung einer geschlechterparitätischen Kommission jedenfalls unmittelbar bevor: In den nächsten Wochen werden die Mitgliedstaaten ihre Vorschläge für die KommissarInnen übermitteln. Es ist jedoch nicht davon auszugehen, dass ausreichend viele Kommissarinnen nominiert werden. Im September und Oktober werden die Hearings der Nominierten im Europäischen Parlament folgen.
Weiterführende Informationen:
Wortlaut der Rede von Ursula von der Leyen vor dem Europäischen Parlament