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ZurückNach der umstrittenen Aufnahme von Gas und Atomenergie als nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten im Sinne der Taxonomie-Verordnung im letzten Jahr, nimmt die Konkretisierung der Verordnung erneut Fahrt auf. Aktuell berät die EU-Kommission zur Weiterentwicklung und Erweiterung ökologisch nachhaltiger Aspekte des Klassifizierungssystems. Soziale Nachhaltigkeit ist nach wie vor kein Thema.
Mit der Taxonomie-Verordnung wurde ein umfassendes und detailliertes Regelwerk geschaffen, das private Kapitalströme hin zu nachhaltigen Investitionen lenken soll. Eine gut ausgestaltete Taxonomie würde auch helfen, um Greenwashing möglichst zu unterbinden. Wirtschaftstätigkeiten werden als ökologisch nachhaltig im Sinne der Taxonomie-Verordnung klassifiziert, sofern sie einen wesentlichen Beitrag zu mindestens einem der sechs definierten Umweltziele leisten und dabei keines der verbleibenden Umweltziele erheblich beeinträchtigen. Wissenschaftsbasierte Anforderungen zur Erfüllung dieser wesentlichen Beitragskriterien werden in Form delegierter Rechtsakte in den „technischen Bewertungskriterien“ festgeschrieben. Diese liegen bislang ausschließlich für zwei der sechs Umweltziele vor, nämlich Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel.
Aktuell berät die EU-Kommission die technischen Bewertungskriterien der verbleibenden vier Ziele, die sich auf Wasserschutz, Kreislaufwirtschaft, Reduktion von Umweltverschmutzung und Biodiversität beziehen. Sie hat dazu am 5. April 2023 eine vierwöchige Feedback-Periode zu ihrem ersten Entwurf anberaumt. Die Verabschiedung des Vorschlags durch die EU-Kommission ist anschließend für das zweite Quartal 2023 geplant. Neben dem ersten Entwurf eines Bewertungskatalogs für die ausstehenden vier Umweltziele kündigt die EU-Kommission aktuell auch die Konsultation zu den bestehenden Kriterien für die Ziele Klimaschutz und Anpassungen an den Klimawandel an. Beides soll sich an den Erkenntnissen und Empfehlungen der zugehörigen Berichte, erarbeitet im März und November 2022 von der Plattform für ein nachhaltiges Finanzwesen, orientieren.
Damit nimmt die schrittweise Umsetzung der Taxonomie wieder Fahrt auf. Grundsätzlich ist eine genaue Ausformulierung und Weiterentwicklung der Taxonomie-Verordnung zur Förderung ökologisch nachhaltiger Investitionen und zur Unterbindung von Greenwashing anzustreben. Dabei sind jedoch noch beachtliche Hürden zu überwinden.
Heftige Auseinandersetzungen rund um Erdgas und Atomenergie
Heftige Kritik gab es an der per delegierten Rechtsakt verfügten und äußerst fragwürdigen Klassifikation von Gas- und Atomkraft als taxonomiekonforme Wirtschaftstätigkeiten. Es wurden mehrere Klagen beim Europäischen Gerichtshof eingereicht, darunter auch von Österreich. Eine weitere Klage ist jüngst von mehreren NGOs – darunter Greenpeace und WWF EU – eingegangen, die sich ebenso gegen die Aufnahme von Atomkraft und Erdgas in die Taxonomie zur Wehr setzen. Auch der EU Parlamentarier René Repasi erhob Klage, weil eine so hoch umstrittene und weitreichende Maßnahme auch im Europäischen Parlament verhandelt werden müsse und die EU Kommission mit der Abwicklung über einen delegierten Rechtsakt ihre Kompetenzen überschritten habe.
Soziale Nachhaltigkeit noch in den Kinderschuhen
Die Berücksichtigung sozialer Aspekte in der Taxonomie-Verordnung erfolgt aktuell ausschließlich über einen sozialen Mindestschutz, den so genannten Minimum Safeguards. Diese orientieren sich unter anderem an den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen, den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschrechte sowie den ILO Kernarbeitsnormen. Damit soll erreicht werden, dass mittels ökologisch nachhaltiger Investitionen nicht gleichzeitig grundlegende Sozial- und Menschenrechte verletzt werden. Darüber hinaus lässt sich eine zunehmende Nachfrage nach ESG-konformen Finanzinvestitionen beobachten, die einer Beurteilung über reine Umweltfaktoren hinaus bedarf. Die Plattform für ein nachhaltiges Finanzwesen verfasste im Oktober 2022 einen Bericht, wie dieser Mindestschutz anzuwenden ist. Bei entsprechender Umsetzung können die Minimum Safeguards durchaus für ein Mindestmaß an sozialem Schutz sorgen.
Nachhaltigkeit geht jedoch über Mindestschutz und gesetzliche Anforderungen hinaus. Als Pendant zur Umwelttaxonomie stand daher auch eine Sozialtaxonomie im Raum, wozu von der Plattform für nachhaltiges Finanzwesen auch ein Vorschlag verfasst wurde. Eine Sozialtaxonomie könnte sich auf Beschäftigte (z.B. Förderung von Kollektivvertragsverhandlungen, gute Arbeitsbedingungen, qualitatives Bildungsangebot), Verbraucher:innen (z.B. hochwertige Gesundheitsversorgung) und Gemeinschaften (z.B. integratives Wachstum) beziehen. Wie auch bei der Umwelttaxonomie kommt es auch bei der Sozialtaxonomie auf die Gestaltung an. Ist diese umsichtig, hat sie durchaus Potential, um für soziale Verbesserungen zu sorgen und „Social Washing“ zu unterbinden. Zudem könnte eine Konzentration nachhaltiger Investitionen nur auf ökologische Aspekte ausgeglichen werden. Keinesfalls dürfte es aber zum Druck auf öffentliche Daseinsvorsorge kommen, und Gewerkschaften sind in die Erarbeitung einer Sozialtaxonomie unbedingt miteinzubeziehen. Eine engagierte Debatte dazu wurde im Zuge der Erarbeitung einer Stellungnahme auch im Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss geführt.
Weiterführende Informationen
EU Taxonomie-Verordnung: Verordnung (EU) 2020/852 des Europäischen Parlaments und des Rates
EU-Kommission: Aktueller Entwurf des Rechtsakt
AK EUROPA: Atomkraft und fossiles Gas ab 2023 grün?
AK EUROPA: Gas- und Atomkraft als nachhaltige Technologien: EU-Parlament verabsäumt Veto
AK EUROPA: Social Taxonomy - Challenges and Opportunities (Nur Englisch)
European Economic and Social Committee (EESC): Social taxonomy – Challenges and opportunities (Nur Englisch)