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ZurückDer Vorschlag der EU-Kommission, Erdgas und Kernenergie unter Auflagen als "grün" zu klassifizieren, um privaten Investoren eine Orientierungshilfe am Finanzmarkt zu geben, stieß in den letzten Monaten auf viel Widerstand. Doch das EU-Parlament legte bei der Abstimmung am 6. Juli 2022 dagegen kein Veto ein. Damit gelten laut der Taxonomie-Verordnung Investitionen in Gas und Atomenergie ab Januar 2023 als nachhaltig, wenn sie Auflagen erfüllen.
Nach der Entscheidung im EU-Parlament zeigten sich viele österreichische Politiker:innen parteiübergreifend und Vertreter:innen der Zivilgesellschaft entsetzt über die Einstufung von Gas und Atomkraft als klimafreundlich. Die EU-Abgeordneten der SPÖ, Evelyn Regner und Günther Sidl, bedauerten den Ausgang des Votums: "Für uns war und ist klar, es darf kein Greenwashing fossiler Vergangenheitstechnologien geben. Die Einstufung von Atomkraft und Gas als nachhaltig im Rahmen der Taxonomie ist aber Greenwashing par excellence!". Auch laut dem grünen EU-Abgeordneten Thomas Waitz sei die Abstimmung ein schwerer Rückschlag für den Klimaschutz der EU. Die neue Taxonomie sei ein „Etikettenschwindel“, der entgegen den Erkenntnissen der Wissenschaft durch viel Lobbyarbeit durchgebracht wurde. Auch eine parteiübergreifenden Koalition von EU-Abgeordneten kritisierte in einer Pressekonferenz kurz vor der Abstimmung das starke Lobbying zugunsten dieses delegierten Rechtsaktes zur Taxonomie, das hin bis zu den russischen staatlichen Energieunternehmen Gazprom und Rosneft betrieben wurde.
Einstufungskriterien
Investitionen in neue Atomkraftwerke sollen nur dann als grün klassifiziert werden können, wenn die Anlagen den neuesten technischen Standards entsprechen. Das schließt die „sichere“ Entsorgung von Atommüll ein. Eine weitere Bedingung ist, dass die neuen Atomkraftwerke bis 2045 eine Baugenehmigung erhalten. Außerdem können Investitionen in neue Gaskraftwerke übergangsweise als grün eingestuft werden. Relevant ist hier die Höhe der Treibhausgasemissionen: Für Anlagen, die nach dem 31. Dezember 2030 genehmigt werden, soll auf den Lebenszyklus gerechnet nur noch eine Emission von maximal 100 Gramm CO2 pro Kilowattstunde zulässig sein, wobei der Wert bei österreichische Gaskraftwerken derzeit bei über 300 liegt. Bis 2030 dürfen die Gasanlagen weiterlaufen, was danach geschieht bleibt allerdings unklar, denn die Technologie für diese „grünen“ Gasanlagen gibt es derzeit noch nicht.
Wichtige Argumente von der Kommission ignoriert
Im Konsultationsprozess der Kommission gab es von Anfang an große Kritik: Die Plattform für nachhaltiges Finanzwesen, welche Think Tanks und NGOs vertritt, sollte die Kommission zur Taxonomie beraten und sie kam zu einer eindeutigen Einschätzung des Kommissionsvorschlags: Die Kriterien und das Gesetz stimmen nicht mit den ursprünglichen Zielen der Taxonomie-Verordnung überein, insbesondere das Prinzip „do no significant harm“ („richte keinen maßgeblichen Schaden an“) erfüllen die Vorgaben nicht. Gas leistet keinen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz und Atomkraft birgt das Risiko, dass den anderen Umweltzielen erheblichen Schaden zugefügt wird, so auch ein Rechtsgutachten aus Deutschland. Doch als die Plattform und NGOs die Stellungnahme kurz vor Jahresende 2021 abgaben, wurde von der Kommission bekanntgegeben, dass sie den Rechtsakt nur wenige Tage später unter Berücksichtigung eines eigens angeforderten Gutachtens annehmen würde. Das Copyright dieses Gutachtens für die Kommission hat interessanterweise die Europäische Atomgemeinschaft EURATOM.
Kann der Vorschlag noch aufgehalten werden?
Das EU-Parlament galt als letzte große Hürde für das Taxonomie-Vorhaben, denn eine Möglichkeit diese im Rat zu kippen, gilt als aussichtslos: 20 von 27 Staaten müssten dagegen stimmen, andernfalls tritt der Vorschlag 2023 in Kraft. Österreich und Luxemburg gehören zu den wenigen Ländern innerhalb des Rates, die sich klar gegen den delegierten Rechtsakt positioniert haben. Außerdem kündigten sie bereits an, gegen die Taxonomie klagen zu wollen. Österreich werde laut Ministerin Leonore Gewessler die bereits vorbereitete Nichtigkeitsklage beim Europäischen Gerichtshof einbringen, sobald dieses "Greenwashing-Programm" in Kraft tritt: "Wir werden die nächsten Wochen und Monate dazu nützen, weitere Verbündete zu gewinnen." Einige Abgeordnete des Europäischen Parlaments, aber auch Umweltorganisationen wie Greenpeace, Climate Earth und „Atomstopp“ kündigten an, weitere Rechtmittel prüfen zu lassen.
Weiterführende Informationen:
AK EUROPA: Atomkraft und fossiles Gas ab 2023 grün?
EU-Plattform für nachhaltige Finanzen: EU Platform on Sustainable Finance response to complementary Delegated Act (nur Englisch)