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ZurückEin Jahr ist seit der Entschließung des Europäischen Parlaments zum umstrittenen Handelsabkommen für Dienstleistungen „TiSA“ vergangen. Umso zeitgerechter war die Zwischenbilanz, die bei einer Konferenz in der sogenannten Intergroup on Common Goods & Public Services im EP letzte Woche gezogen wurde.
Diese interfraktionelle Arbeitsgruppe von Abgeordneten des EPs versammelte ExpertInnen von Europäischer Kommission, Arbeiterkammer, dem europäischen Gewerkschafsverband für öffentliche Dienstleistungen EPSU und dem Europäischen Verband der öffentlichen ArbeitgeberInnen und Unternehmen CEEP zur kritischen Diskussion unter dem Titel „TiSA, Right to Regulate and EU Labour Standards”. Dabei zeigte sich: Weder die EP-Entschließung, noch die aktuellen Kontroversen zu TTIP und CETA haben zu einer Neuausrichtung der Verhandlungen geführt. Aktuelle Verzögerungen haben vielmehr mit der unklaren Verhandlungsposition der USA zu tun.
So wies die Kommission darauf hin, dass der Zeitplan für TiSA seit der Wahl in den USA offen ist und die Verhandlungen derzeit pausieren. Die geäußerten Bedenken zu öffentlichen Dienstleistungen seien unbegründet, da TiSA ausreichende Ausnahmebestimmungen enthalte. Myrto Zambarta von der Generaldirektion Handel hob hier beispielsweise die sogenannte „public utilities“-Klausel hervor, die bereits seit dem WTO-Dienstleistungsabkommen GATS für die EU zum Einsatz kommt. Zudem sind die Verhandlungsparteien in TiSA auch übereingekommen, die Anerkennung des „Right to regulate“ im Abkommen festzuhalten.
Angesichts der offensiven Agenda von TiSA als sog. „Abkommen der neuen Generation“ forderte wiederum Oliver Prausmüller, handelspolitischer Experte in der AK Wien, einen umfassenden Kurswechsel. Die weit reichende Verhandlungsdynamik derartiger Abkommen mache verlässliche und vollständige Ausnahmen für Regulierungen im öffentlichen Interesse umso wichtiger. Dafür wurden beispielsweise die Vorschläge für eine Musterklausel zur umfassenden Herausnahme öffentlicher Dienstleistungen, der notwendigen Vorrang des „Right to regulate“ gegenüber handelspolitischen Verpflichtungen und die Forderungen des EP nach der effektiven Umsetzung internationaler Arbeitsstandards hervorgehoben. Symbolische Proklamationen oder bloße interpretative Richtlinien können eindeutige Vorrangregeln für öffentliche Interessen nicht ersetzen. Ebenso wenig ist es im Sinne der Herausnahme öffentlicher Dienstleistungen aus den Verhandlungen, wenn die EU von anderen TiSA-TeilnehmerInnen Liberalisierungen in Bereichen wie z.B. sanitäre Grundversorgung fordert.
In diesem Zusammenhang plädierte Penny Clarke, stv. Generalsekretärin von EPSU, dafür, den aktuellen Stillstand der Verhandlungen zur Reflexion zu nutzen. So seien die Verhandlungen nach wie vor intransparent und nicht nur für die EU müssen umfassende Handlungsspielräume im öffentlichen Interesse gewährleistet werden. Dazu stehen auch Liberalisierungsverpflichtungen in Bereichen Gesundheit und Abwasser und Schlupflöcher für die kommerziellen Interessen von privaten Betreibern im Widerspruch. Damit besteht insbesondere auch das Problem, dass bei einem Konflikt mit eingegangen Liberalisierungsverpflichtungen die bloße Anerkennung des Rechts zu regulieren nicht greift. Problematisch an der Agenda von TiSA sei zudem, dass es weder ein Nachhaltigkeitskapitel noch Maßnahmen gegen internationalen Steuerbetrug beinhalte.
Rainer Plaßmann, handelspolitische Experte von CEEP und der Stadtwerke Köln, machte zugleich deutlich, dass es derzeit schwer abzusehen ist wie eng oder weit das TiSA-Abkommen schlussendlich ausfallen werde. Offensichtlich bestehen jedoch Spannungsfelder für öffentliche Interessen: Beispielsweise, wenn es um das Verhältnis des „Right to Regulate“ zu selbstbeschränkenden Liberalisierungsverpflichtungen der TiSA-Teilnehmerstaaten geht. Fraglich sei zudem, wie sich derartige Abkommen auf die Handlungsspielräume zur Regulierung neuer, erst auf Basis der technologischen Entwicklung entstehender Dienstleistungen auswirken könnten. Zudem wurde auch das Fehlen gründlicher Impact Assessments kritisiert, die vor allem auch die soziale Dimension derartiger Abkommen berücksichtigen.
Eine Verankerung von Arbeitsstandards, wie beispielsweise jenen der ILO, die sowohl AK und EPSU als auch schon das Europäische Parlament in ihrem Beschluss von vergangenem Jahr fordern, wies die Kommission mit einem Verweis auf die Unvereinbarkeit mit bestehenden WTO-Leitlinien zurück.
Zuletzt sollte im Blick behalten werden – so der kritische Hinweis in der Diskussion – dass es bereits vor der Wahl in den USA gute Gründe gab, warum die TiSA-Verhandlung nur schleppend voran gingen – eben auch die Kontroversen um öffentliche Dienstleistungen, Arbeitsstandards, Handlungsspielräume zur innerstaatlichen Regulierung oder etwa Datenschutz. Mit CETA wurde in den vergangenen Monate ein umfassendes Abkommen der neuen Generation auf den Weg gebracht. Doch auch die aktuellen Kontroversen um TiSA zeigen, dass sich derart überladene Abkommen auf dünnem Eis bewegen.
Weiterführende Informationen:
AK Europa Artikel zu TiSA Bericht des Europäischen Parlaments
Bericht der EPSU über die Veranstaltung (EN)
Bericht der Intergroup zur Veranstaltung
Internetauftritt der Arbeitsgruppe (EN)