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ZurückDie NGO Finance Watch hat eine Finanzmarktreformagenda ausgearbeitet, in der sie eine verstärkte europäische Finanzmarktregulierung fordert. Die Stabilität der Finanzmärkte muss gewährleistet werden, das Finanzsystem den Menschen und dem Planeten dienen. Außerdem muss die Wirtschaftspolitik so gestaltet werden, dass Investitionen in unsere Zukunft möglich sind.
Nach der Finanzkrise 2008 gab es Bestrebungen, die Finanzmärkte stabiler zu gestalten. Leider wurden diese Pläne durch Lobbying – insbesondere des Finanzsektors – teilweise gebremst. Es wurden zwar mehrere Regulierungsmaßnahmen umgesetzt, aber weitgehend zu den Bedingungen des Finanzsektors selbst. Aktuell ist die Vollendung der Kapitalmarktunion, auch basierend auf dem Letta-Bericht „Much more than a market“, eine der politischen Prioritäten der EU. Zudem werden sich nach den EU-Wahlen das EU-Parlament und die EU-Kommission neu konstituieren, und eine neue Legislaturperiode wird beginnen. Vor diesem Hintergrund ist es nun an der Zeit, über die Funktionsweise und die Aufgaben der Finanzmärkte zu diskutieren.
Finance Watch präsentierte eine Liste von grundlegenden Reformen für die Jahre 2024 - 2029 ("Key Reforms to Reset the Financial System in 2024 - 2029"), die somit als Basis für die weitere Diskussion dienen kann. Unter dem Motto #ResetFinance werden Kandidat:innen für das Europäische Parlament und dann die nächsten EU-Kommissar:innen aufgerufen, ihre Unterstützung für diese Agenda zuzusichern. Die politischen Entscheidungsträger:innen sollen dem Finanzsystem einen klaren Zweck, Sicherheit und Widerstandsfähigkeit verleihen, damit es den Menschen und dem Planeten dient. AK EUROPA beteiligt sich an diesem Aufruf. Im Folgenden werden einige Beispiele aus der umfassenden Liste der Empfehlungen kurz skizziert.
1. Neustart der Präventivmaßnahmen zur Vermeidung von Bankenpleiten und künftigen Finanzkrisen
Finanzinstitute sollen ausreichend kapitalisiert sein, sodass gewährleistet ist, dass sie ihre Geschäfte stets ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel führen können. Systemrelevante Banken sollten abwicklungsfähig sein, und wenn es notwendig ist auch abgewickelt werden. Die EU muss in ihrer Bankenregulierung die internationalen Bestimmungen zu Kapitalanforderungen abbilden. Finanzinstitute sollten auch finanzielle Umweltrisiken berücksichtigen, und es sollten höhere Eigenkapitalanforderungen für Engagements im Bereich fossiler Brennstoffe eingeführt werden. Investmentbanken und Geschäftsbanken müssen getrennt werden. Die europäischen Aufsichtsbehörden sollten mit ausreichenden Instrumenten, Befugnissen und Ressourcen ausgestattet werden. Modelle der Mitarbeiter:innenbeteiligung sollen gefördert werden, um die Unternehmensführung zu verbessern und eine gerechtere Verteilung der Unternehmensgewinne zu gewährleisten.
2. Neustart der Rolle des Finanzwesens, Ausbeutung beenden und Nachhaltigkeit ermöglichen
Nachhaltigkeitsangaben von Finanzinstituten sollten von Aufsichtsbehörden überprüft werden. Einerseits müssen Geschäftsmodelle, die ausschließlich auf kurzfristige Gewinne und Gewinnmaximierung ausgerichtet sind, eingeschränkt werden. Andererseits sollen wirtschaftliche Aktivitäten im Einklang mit den ökologischen und sozialen Zielen der EU gefördert werden, zum Beispiel mittels verbindlicher Transformationspläne durch Finanz- und Nichtfinanzunternehmen. Es sollte zusätzlich zur bestehenden Taxonomie eine Taxonomie zu umweltschädlichem Verhalten entwickelt werden, sowie ein Klassifizierungssystem, das die soziale Dimension berücksichtigt, eine Sozialtaxonomie. Auch eine nachhaltige Unternehmensführung soll gewährleistet sein, etwa in Bezug auf die Haftung und Vergütung von Vorstandsmitgliedern. Die Europäische Zentralbank (EZB) sollte Leitlinien für grüne Kredite verabschieden. Verbraucher sollen nachhaltige Finanzprodukte leicht erkennen können. Fiskalpolitisch kann eine Finanztransaktionssteuer kurzfristige Spekulationen eindämmen. Außerdem ist es überfällig, Steuerhinterziehung und Steueroasen einen Riegel vorzuschieben.
3. Neustart beim Konsument:innenschutz, um ausschließende oder schädigende Praktiken zu verhindern
Erschwingliche Basis-Finanzdienstleistungen, die für die Teilhabe an der Gesellschaft wichtig sind, müssen sichergestellt werden. Dies bezieht sich auch auf Bargeld. Jegliche Diskriminierung aufgrund der finanziellen Situation, der digitalen Kenntnisse, der ethnischen Zugehörigkeit oder des Alters einer Person muss verhindert werden. Dies gilt zum Beispiel auch für automatisierte Entscheidungsprozesse. Kund:innen sollten eine unabhängige und qualitativ hochwertige Finanzberatung erhalten, die leicht nachvollziehbare Informationen über Kosten und Risiken enthält. Der Verkauf nicht passender Finanzprodukte soll mittels Regulierung verhindert werden. Bei Überschuldung sollen Verbraucher:innen Zugang zu effektiven Entschuldungsmechanismen haben.
4. Neustart der Regelungen zu Digitalem, Datenschutz, Finanzstabilität und Verbraucher:inneninteressen
Serviceprovider für Crypto-Assets sollten so reguliert werden, sodass das spezifische Risikoprofil von Crypto-Assets abgebildet wird. Dienstleistungen im Zusammenhang mit Crypto-Assets, die „traditionellen“ Finanzinstrumenten entsprechen, sollten der bestehenden Wertpapierregulierung unterworfen werden. Neue Finanzdienstleistungen sollten reguliert werden, bevor sie auf den Markt kommen, während KI-gestützte Systeme regelmäßig von den zuständigen nationalen Behörden überprüft werden sollten. Der Schutz der Daten der Verbraucher:innen und der Privatsphäre muss gewährleistet sein.
5. Neustart der Regulierung öffentlicher Finanzen und Ermöglichung von Investitionen in unsere Zukunft
Die Fiskalregeln der EU sollten sich nicht auf nicht nachvollziehbare Kennzahlen, sondern auf eine sinnvolle Analyse der Schuldentragfähigkeit stützen. Die Mitgliedstaaten sollten in der Lage sein, notwendige Investitionen und Reformen durchzuführen, um die europäische Wirtschaft stärker, nachhaltiger, demokratischer und inklusiver zu machen. Daher sollte ein EU-Investitionsfonds eingerichtet werden, und zukunftsorientierte Investitionen, die mit den Prioritäten der EU im Einklang stehen, sollen von Defizit- und Ausgabengrenzen ausgenommen werden. Finanzierungen aus öffentlichen Mitteln sollten an soziale und ökologische Kriterien geknüpft werden, die in der Europäischen Säule sozialer Rechte und dem Europäischen Green Deal enthalten sind. Die öffentliche Haushaltsplanung sollte Umwelt- und Genderbudgeting sowie eine Folgenabschätzung in Bezug auf den sozialen Zusammenhalt beinhalten. Darüber hinaus sollte die Europäische Zentralbank (EZB) Anreize für grüne öffentliche Investitionen schaffen, einschließlich einer ständigen Fazilität für grüne Anleihen, auf welche Regierungen, Kommunen, die EU-Kommission und weitere supranationale Einrichtungen, wie zum Beispiel die Europäische Investitionsbank (EIB), zurückgreifen können. Die Sozialpartner, das EU-Parlament und die nationalen Parlamente sollten entsprechend in die Entscheidungsprozesse im Rahmen der wirtschaftspolitischen Steuerung einbezogen werden.
6. Neustart der Rolle der Lobbyarbeit in der Gesetzgebung
Im Rahmen der Finanzmarktaufsicht und -regulierung sollte das öffentliche Interesse umfassend vertreten sein. Dies bedeutet eine bessere Regulierung der Lobbyarbeit durch Unternehmen. Es muss sichergestellt sein, dass die EU-Gesetzgebung Gesellschaft und Umwelt stärker gewichtet als etwa kurzfristige Gewinninteressen. Auch in den beratenden Gremien und Interessengruppen der EU soll die Zivilgesellschaft entsprechend einbezogen werden
Weiterführende Informationen:
Finance Watch: A financial reform agenda for the EU elections (Nur English)
Finance Watch: Report, Finance in a hot house world (Nur English)
AK EUROPA: Die neue wirtschaftspolitische Steuerung der EU fällt enttäuschend aus
AKEUROPA: Studie, Nachhaltige Finanzprodukte