Nachrichten
ZurückDie Europäische Kommission hat am 9. Dezember 2021 einen mit Spannung erwarteten Richtlinienentwurf zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Beschäftigte bei Online-Plattformunternehmen vorgelegt. Dieser Richtlinienentwurf umfasst drei Ziele: die Bekämpfung von Scheinselbständigkeit, die Schaffung von mehr Transparenz und Fairness sowie die Einführung umfassender Informationspflichten.
Seit Jahren haben Arbeitnehmer:innenvertretungen einen EU-Rechtsrahmen für die Beschäftigten von Online-Plattformen aufgrund der prekären Situation der dort Beschäftigten gefordert. Nun hat die Europäische Kommission am 9. Dezember 2021 hierzu einen erfreulich konkreten Richtlinien-Vorschlag präsentiert.
Europäische Kommission geht gegen prekäre Arbeit und Scheinselbständigkeit vor
Ein Hauptproblem der Plattformwirtschaft ist, dass Plattformen regelmäßig versuchen, Arbeitsrecht zu umgehen. Häufig werden die für die Plattformen tätigen Personen fälschlicherweise als freie Dienstnehmer:innen oder Selbständige eingestuft. Bei korrekter rechtlicher Betrachtung wären viele jedoch als Arbeitnehmer:innen einzuordnen. So haben in den letzten Jahren zahlreiche Gerichte in den Mitgliedstaaten diese Scheinselbständigkeit korrigiert, wobei Plattformen aber überaus zögerlich waren, diese für sie unvorteilhafte Gerichtsentscheidungen auch tatsächlich umzusetzen.
Deshalb sieht der Entwurf vor, dass Mitgliedstaaten von einem Arbeitsverhältnis zwischen der digitalen Arbeitsplattform und dem/der Plattformbeschäftigten ausgehen müssen, wenn mindestens zwei von fünf Kriterien bezüglich des Vorliegens ausreichender Leistungskontrolle durch die Plattform erfüllt sind. Leistungskontrolle liegt beispielsweise vor, wenn die Plattform die Ausführung der Arbeit elektronisch überwacht und die Höhe der Vergütung bestimmt. Der Begriff der digitalen Arbeitsplattform wird im Richtlinienentwurf weit verstanden: erfasst sind Plattformen, auf denen Dienstleistungen von Personen erbracht werden, die über die Plattform organisiert und individuell von Kund:innen nachgefragt werden. Konkret betroffen wären damit Plattformen zur Personenbeförderung wie Uber und Bestellplattformen wie Delivery Hero.
Eine derartige Regelung hatte AK EUROPA schon in einem Policy Brief gefordert und kann als echter rechtspolitischer Erfolg gewertet werden, weil sie die Durchsetzung des korrekten rechtlichen Status von Plattformbeschäftigten wesentlich erleichtert. Die Beschränkung auf nur fünf Kriterien und die Voraussetzung, dass zwei davon erfüllt sein müssen, erscheint jedoch zu restriktiv.
Algorithmisches Management
Die zweite Kernthematik, der sich der Richtlinienentwurf widmet, ist das “algorithmische Management“: Bei dieser Form der Arbeitsorganisation werden viele, wenn nicht gar alle wesentlichen Entscheidungen durch Datensammlung und automatisierte Entscheidungen getroffen. Digitale Arbeitsplattformen müssen Plattformbeschäftigte nun über Überwachungssysteme ebenso informieren wie über automatisierte Entscheidungsfindungen, wenn diese „bedeutsam“ für die Betroffenen sind. Dies betrifft unter anderem Informationen bezüglich der Auftragsvergabe sowie der Bewertung der geleisteten Arbeit. Dabei ist ein Mindestinhalt dieser Informationen vorgesehen. Außerdem hat die Informationsbereitstellung am ersten Arbeitstag zu erfolgen sowie auch später auf Antrag der Beschäftigten sowie ihrer Vertreter:innen und den Arbeitsbehörden. Digitale Arbeitsplattformen müssen die Auswirkungen dieser automatisierten Systeme auch regelmäßig abschätzen und deren Risiken evaluieren.
Transparenz von Plattformarbeit
Digitale Arbeitsplattformen müssen Plattformarbeit an die zuständigen Arbeits- und Sozialversicherungsbehörden des Mitgliedstaates, in dem die Leistungserbringung erfolgt, melden. Zudem müssen digitale Arbeitsplattformen den Behörden sowie auch den Vertreter:innen der Plattformbeschäftigten bestimmte Informationen zur Verfügung stellen. Dies betrifft unter anderem die Anzahl der Plattformarbeitenden, deren vertragliche Einordnung sowie die Allgemeinen Vertragsbedingungen. Auch wenn so nicht alle relevanten Daten, wie zum Beispiel das Beschäftigungsausmaß und Entgelt, zur Verfügung gestellt werden, so wird damit doch die Datenlage bei der Plattformarbeit in einem gewissen Umfang verbessert und eine sachliche politische Diskussion über die Notwendigkeit weiterführender Regulierung ermöglicht.
Kommissionsvorschlag in den Verhandlungen nicht verwässern!
Der Richtlinienentwurf ist aus Sicht der AK positiv einzuschätzen. Aus Arbeitnehmer:innensicht hätte er jedoch weiter gehen können und kommt den digitalen Arbeitsplattformen wesentlich entgegen. Die Kriterienmethode zur Feststellung eines Arbeitsverhältnisses ist weniger ambitioniert als erwartet, während der erweiterte Geltungsbereich bezüglich der Transparenz und Fairness von Algorithmen sehr zu begrüßen ist. Die Europäische Kommission hat sich in dem vorliegenden Vorschlag jedenfalls als überaus problembewusst erwiesen und durchaus originelle, interessensausgleichende Lösungen gefunden. Erst einmal müssen jedoch nun die nationalen Staats- und Regierungschef:innen im Rat davon überzeugt werden, die schon jetzt sehr ausgewogen wirkende Richtlinie zu verabschieden. Wesentlich ist dabei, den vorgeschlagenen Text nicht weiter zu verwässern. Denn sonst würde am Ende nur ein wenig effektives Mittel übrigbleiben, das besser klingt als wirkt.
Weiterführende Informationen:
A&W Blog: Plattformarbeit: warum es eine EU-Plattformarbeits-Richtlinie braucht
AK EUROPA Policy Brief: Platform work (nur Englisch)
AK EUROPA: Plattformarbeit: Dringender Regulierungsbedarf
AK EUROPA: Faire Arbeitsbedingungen für Plattformarbeiter:innen
Europäische Kommission: Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattformarbeit