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ZurückEin Urteil des Europäischen Gerichtshof (EuGH) über die Zulässigkeit einer Schlechterbezahlung von grenzüberschreitend Tätigen in österreichischen Zügen machte vor einem Jahr Schlagzeilen. Die Gewerkschaft VIDA, die Europäische TransportarbeiterInnen Föderation (ETF) und die AK luden daher am 30. November 2020 zu einem Webinar ein, um über die Bedeutung des Urteils für den Kampf gegen Lohn-und Sozialdumping im Verkehrssektor zu diskutieren.
Die EU-Entsenderichtlinie regelt die Arbeitsbedingungen bei grenzüberschreitender Beschäftigung und soll gleichen Lohn für gleiche Arbeit am selben Ort sicherstellen. Dass diesem Grundsatz insbesondere im Straßenverkehr oft nicht entsprochen wird, ist dabei keine Neuigkeit und nicht erst seit der Coronakrise bekannt. Vor einem Jahr machte auch ein EuGH-Urteil zu einem für die ÖBB tätiges Catering-Unternehmen Schlagzeilen.
Fall „Henry am Zug“
Das EuGH-Urteil betraf das Catering-Unternehmen „Henry am Zug“, welches von 2012 bis 2016 u.a. auf der Strecke zwischen Budapest und München operierte und ungarische Arbeitskräfte mit Löhnen weit unter dem österreichischen Kollektivvertrag bezahlte. Die nach ungarischem Recht Angestellten verdienten mit 500 Euro um 1000 Euro weniger als ihre österreichischen KollegInnen, obwohl sie den Großteil ihrer Tätigkeit in Österreich ausübten. Der Fall landete schlussendlich beim EuGH, nach dessen Ansicht das Unternehmen jedoch nicht gegen EU-Recht verstoßen hat. In der Urteilsbegründung hielt der EuGH fest, dass es bei Diensten in internationalen Zügen eine hinreichende Verbindung zu dem Hoheitsgebiet des Mitgliedsstaates, der vom Zug durchquert wird, benötigt und diese in dem Fall nicht gegeben sei. Inwiefern im Fall von der Tätigkeit des Catering-Unternehmens „Henry am Zug“ in den österreichischen Bundesbahnen keine ausreichende Verbindung zu Österreich bestand, ist wenig nachvollziehbar. Der EuGH argumentiert in seiner Urteilsbegründung jedoch genau dies und führt aus, dass durch den Beginn und das Ende der Arbeit in Ungarn keine ausreichende Verbindung mit Österreich bestehe. Damit stellte das Urteil einen herben Schlag für den Kampf gegen Lohn- und Sozialdumping in Europa dar.
Solidarität über Länder- und Sektorengrenzen hinweg gefragt
In einer Diskussion von RechtsexpertInnen im Rahmen einer gemeinsamen Veranstaltung von vida, ETF und AK Wien wurde unter anderem eine Verbesserung der Beweisaufnahme des EuGH gefordert. Ein stärkerer Einbezug der Europäischen Arbeitsbehörde (ELA) durch den EuGH wäre bei Fällen mit ArbeitnehmerInnen-Bezug sinnvoll. Auch bei der Kontrolle über die Einhaltung der ArbeitnehmerInnenrechte kann der ELA eine entscheidende Rolle zukommen – fehlt es doch im Bahnverkehr bisher an Kontrollen der Arbeits- und Ruhezeiten, die vergleichbar mit jenen im Straßenverkehr wären.
Eine Bündelung der Kräfte im Kampf gegen Sozial- und Lohndumping ist im ganzen Verkehrssektor gefragt. Laut Cristina Tilling, Leiterin der Arbeitsgruppe Entsendung in der Europäischen TransportarbeiterInnen-Föderation (ETF), könnte der Bahnsektor hier eine Führungsrolle übernehmen. Denn in vielen Mitgliedsstaaten sind im Bahnverkehr staatsnahe bzw. staatseigene Unternehmen tätig. Dies erhöht dementsprechend die Chancen beim sozialen Dialog auf offene Ohren zu stoßen. Das sollte genutzt werden, um Forderungen in Bezug auf den gesamten Verkehrssektor voranzutreiben.
AK fordert Besserstellung von sozialen Rechten
Die AK schließt sich den Forderung des EGB nach einem sozialen Fortschrittsprotokoll an, mit dem soziale Grundrechte gegenüber Markfreiheiten besser bzw. gleichgestellt werden. Damit könnte der aktuellen Tendenz der europäischen Rechtsprechung, unternehmerische Freiheiten über soziale Rechte zu stellen, entgegengewirkt werden. Das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort bedarf nach Sylvia Leodolter, Leiterin der Abteilung Umwelt und Verkehr in der AK Wien, verstärkter Bemühungen – nicht nur aus Sicht der ArbeitnehmerInnen. Lohn- und Sozialdumping stellt schließlich eine Gefahr für ein starkes, geeintes Europa dar und gefährdet damit schlussendlich auch das europäische Projekt als Ganzes.
Weiterführende Informationen:
AK EUROPA: Für ein nachhaltiges und faires Verkehrssystem
AK EUROPA: Freier Warenverkehr auf Kosten der FahrerInnen
A&W Blog: „Henry am Zug“ - eine merkwürdige Entscheidung des EuGH