Nachrichten
ZurückBereits in ihren politischen Leitlinien hatte Ursula von der Leyen im Juli 2019 die Einberufung einer Konferenz zur Zukunft Europas angekündigt, um BürgerInnen und EU-Institutionen näher zusammenzubringen. Am 22. Jänner 2020 veröffentlichte die Kommission ihre Vorschläge zur konkreteren Ausgestaltung der Konferenz.
Inspiriert von der gestiegenen Wahlbeteiligung bemühen sich die EU-Institutionen, EU-BürgerInnen auch unabhängig von den Europawahlen eine Stimme zu verleihen. Schließlich hinterließ die nachträgliche Aushebelung des SpitzenkandidatInnenprinzips, die in der Wahl Ursula von der Leyens als Kommissionspräsidentin mündete, einen faden Beigeschmack und stellte europäische Politik wieder einmal ins Licht von Postenschacher und Machtkämpfen. Die neue Konferenz zur Zukunft Europas soll nun BürgerInnen in einem bottom-up-Prozess die Chance geben, ihre Visionen für die europäische Politikgestaltung einzubringen. Auch die Arbeitsweise der europäischen Institutionen soll im Rahmen der Konsultationen auf den Prüfstand gestellt werden.
Kommission stellt ihre Vision vor
Dass die Kommission das Projekt ernst nimmt, wurde schon mit der Beauftragung der Kroatin Dubravka Šuica als eigens zuständige Vize-Präsidentin für die Konferenz deutlich. Das am 22. Jänner 2020 vorgestellte Kommissionspapier schlägt vor, die Konferenz thematisch um die sechs politischen Prioritäten der Kommission zu gruppieren. Die bereits bestehenden BürgerInnendialoge sollen weitergeführt werden und mit neuen partizipativen Formaten angereichert werden, beispielweise themenspezifischen Podiumsdiskussionen, in der auch ExpertInnen und VertreterInnen der Zivilgesellschaft Inputs geben sollen. Eine mehrsprachige digitale Plattform soll über die Dauer der Konferenz über Inhalte und Veranstaltungen informieren. Zusätzlich sollen in ganz Europa verschiedene Veranstaltungen und Events unter der Flagge der Konferenz stattfinden, getragen von MultiplikatorInnen auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene. Dank eines Feedback-Mechanismus sollen die Ideen der BürgerInnen in konkreten Empfehlungen für EU-Rechtsakte umgemünzt werden. Der Startschuss für die „große paneuropäische, demokratische Übung“ soll am Europatag, also dem 9. Mai 2020, fallen. Das Datum ist bewusst auf das 70-jährige Jubiläum der Schuman-Erklärung und kurz nach dem 75. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs gewählt. Im ersten Halbjahr 2022 sollen Ergebnisse der Debatten präsentiert und bearbeitet werden.
Parlament mit detailgenauen Vorschlägen
Im Rahmen einer mit großer Mehrheit beschlossenen Resolution hat das Europäische Parlament bereits letzte Woche detaillierte Vorschläge zur Organisationsstruktur der Konferenz geliefert. Die EU-ParlamentarierInnen bauen dabei auf vorangegangene Resolutionen zur Zukunft Europas auf und fordern als einzige demokratisch legitimierte EU-Institution eine Führungsrolle ein. Das Europaparlament setzt auf BürgerInnenforen, sogenannte Agoras, die aus 200 bis 300 ausgelosten BürgerInnen bestehen sollen. Die BürgerInnenversammlungen sollen zu bestimmten Politikfeldern tagen und die Diskussionsergebnisse in ein eigens zu gründendes Plenum der Konferenz einspeisen. Damit die Interessen von jungen Menschen zwischen 16 und 25 Jahren Gehör finden, sollen laut Parlament zwei Jugendforen eingesetzt werden. Die Plenarversammlung, bestehend aus Mitgliedern der EU-Institutionen und der nationalen Parlamente, soll zweimal pro Halbjahr tagen. Die „hochrangige Schirmherrschaft“ der drei EU-Institutionen soll sich im eigens eingesetzten Lenkungsausschuss und im geschäftsführenden Koordinierungsausschuss niederschlagen, in der VertreterInnen des Europaparlamentes, des Rates und der Kommission zusammenkommen.
Pflichtübung oder weitgehende Reformen?
Der Beschluss und die vorausgegangene Debatte im Europäischen Parlament macht deutlich, dass die EU-ParlamentarierInnen umfassende Reformprozesse fordern, die Vertragsänderungsverfahren einläuten sollen. Die Kommission hat mit Hinblick auf transnationale Listen für die EU-Wahl eine Änderung des EU-Wahlrechts ausdrücklich erwähnt und steht dem positiv gegenüber.
Auch wenn es offiziell keine Tabus geben soll, bleibt abzuwarten, ob auch tiefgreifende Reformvorschläge wirklich umgesetzt würden. Ein Ungleichgewicht der Reformwilligkeit der Institutionen, die die Konferenz gemeinsam und gleichberechtigt ausarbeiten und leiten sollen, ließen die eher lieblosen Schlussfolgerungen des Rates bereits durchscheinen. Dabei ist es gerade die Arbeitsweise des Rates, die im Fokus des Reformhungers des Parlaments steht. Mangelnde Transparenz und das Einstimmigkeitsprinzip in mehreren Politikbereichen lähmen schließlich immer wieder die Handlungsfähigkeit der EU und die Arbeit der anderen Institutionen.
Welche Rolle spielen SozialpartnerInnen und zivilgesellschaftliche Organisationen?
Interessenvertretungen von ArbeitnehmerInnen und Gewerkschaften pochen auf eine Stimme in der Konferenz, um soziale Angelegenheiten aktiv einbringen zu können. Den Entwürfen des Parlaments zufolge sollen jeweils zwei RepräsentantInnen der ArbeitgeberInnen- und ArbeitnehmerInnenseite im Plenum der Konferenz vertreten sein. Auch die Kommission möchte alle „PartnerInnen“ aktiv einbinden. Die Grünen und SozialdemokratInnen setzten sich im Parlament bereits nachdrücklich für Einbeziehung von zivilgesellschaftlichen Organisationen ein.
Die nächsten Schritte
Die kroatische Präsidentschaft wird die Ratsposition zum Aufbau und Ablauf der Konferenz zeitnah im Rahmen einer allgemeinen Ausrichtung erarbeiten. Darüber hinaus treffen sich Ende Jänner 2020 die Spitzen der Institutionen, um den genauen Fahrplan miteinander abzustimmen. Inzwischen hat sich das Parlament auf den liberalen Europaparlamentarier Guy Verhofstadt als Vorsitzenden der Konferenz geeinigt. Inwiefern dieser Posten dem Parlament überhaupt zugesprochen wird, soll eine angekündigte Gemeinsame Erklärung von Rat, Kommission und Parlament zeitnah klären.
Weiterführende Informationen: