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ZurückDie Vollendung der Kapitalmarktunion nannte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei ihrer Rede zur Lage der Union als eines jener prioritären Projekte, die sie unmittelbar in Angriff nehmen wolle. Eine Woche später, am 24. September 2020, folgte dazu eine Mitteilung, die 16 konkrete Vorschläge für die nächsten Monate umfasst.
Als eine der Antworten auf die Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2008 legte der frühere Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker 2015 ein Grünbuch sowie einen Aktionsplan zur Kapitalmarktunion vor. Damit sollten vor allem die Rahmenbedingungen für Investitionen verbessert werden, und zwar durch verstärkte Mobilisierung privater Gelder, Verbesserung der Unternehmensfinanzierung und die Harmonisierung geltender nationaler Vorschriften im Gesellschafts- und Steuerrecht.
Da dieser angestrebte europäische Binnenmarkt für den Kapitalmarkt aber noch nicht abgeschlossen ist, hat die Kommission 2019 ein hochrangiges Forum eingerichtet mit dem Auftrag, konkrete Maßnahmen auszuarbeiteten. Dessen Abschlussbericht ist die Grundlage für die nun vorgelegte Mitteilung zur „Kapitalmarktunion für den Menschen und Unternehmen“: Mit insgesamt 16 Maßnahmen soll einerseits europäischen Unternehmen ein besserer Zugang zu neuen Finanzierungsformen ermöglicht werden, um beispielsweise die Ziele des grünen und digitalen Wandels der EU zu erreichen. Andererseits soll damit die Spar- und Anlegemöglichkeiten der Menschen verbessert und die nationalen Kapitalmärkte besser aufeinander abgestimmt werden, um einen echten Binnenmarkt zu schaffen.
Zu den konkret angekündigten Maßnahmen gehören unter anderem die Schaffung einer EU-weiten Plattform über finanz- und nachhaltigkeitsbezogene Unternehmensdaten für AnlegerInnen, ein gemeinsames und standardisiertes System für Quellensteuererleichterungen oder eine Initiative zur Harmonisierung von Insolvenzverfahren. Gerade jene Maßnahmen, die die Aufsichts-, Steuer- und Insolvenzvorschriften in den einzelnen Staaten ins Visier nehmen, sind grundsätzlich zu begrüßen. Aus Sicht der Arbeiterkammer ist jedoch auch zu betonen, dass Nachhaltigkeit im Sinne einer Wohlstandsorientierung breiter gedacht werden sollte. Außerdem kann es nicht die Vollendung der Kapitalmarktunion sein, die die Finanzierung von wichtigen und notwendigen Investitionen ermöglicht, allen voran bei Investitionen in die Daseinsvorsorge oder sozialer Infrastruktur. Vielmehr braucht es eine Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts, damit Mitgliedstaaten selbst größere Spielräume erhalten, in zentrale Zukunftsprojekte zur Umsetzung des Grünen Deals, des digitalen Wandels und eines sozialeren Europas investieren zu können. Und auch Finance Watch, die als NGO auf EU-Ebene für ein gerechteres Finanzsystem kämpft, betont, dass mit der Kapitalmarktunion der Fokus auf die Finanzierung einer nachhaltigen Wirtschaft liegen muss und nicht zulasten der Finanzmarktstabilität gehen darf.
Diese Woche sprach am 28. September 2020 die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde, im Rahmen ihres vierteljährlichen Austausches vor dem Wirtschaftsausschuss des Europäischen Parlaments. Dabei gab sie wiederum einen wenig erfreulichen wirtschaftspolitischen Ausblick: Um 8 % soll das BIP im Jahr 2020 schrumpfen, für das nächste Jahr wird ein Wachstum von 5 % prognostiziert. Für 2022 wird ein Wirtschaftswachstum von 3,2 % erwartet, wodurch das Bruttoinlandsprodukt erst am Ende jenes Jahrs das Niveau von vor der Coronakrise erreichen soll. An der vor Beginn der Pandemie eingeleiteten Überprüfung der wirtschaftspolitischen Strategie der EZB hält Lagarde aber fest und verweist dabei auf das Portal „Die EZB hört zu“, auf dem BürgerInnen bis Ende Oktober die Möglichkeit haben, ihre Meinung über die geldpolitische Strategie zu äußern.
Weiterführende Informationen:
Europäische Kommission: Kommission will Entwicklung der Kapitalmärkte in Europa vorantreiben
AK EUROPA: Christine Lagarde im ECON-Ausschuss – Mehr „PEPP“ für die Finanzmärkte