Nachrichten
ZurückIn der letzten Plenarwoche in Straßburg hielt der scheidende Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker seine letzte Rede im EU-Parlament. Er nützte die Debatte mit dem lettischen Ministerpräsidenten über die Zukunft Europas für einen persönlichen Rückblick auf seine nun endende Periode als Kommissionspräsident.
Einleitend bedauerte Jean-Claude Juncker, dass die EU derzeit in erster Linie über den Brexit rede. Dieser sei zwar für die EU ein wichtiges Thema, doch damit gingen die eigentlichen Leistungen der letzten fünf Jahre unter, die auf den Alltag der BürgerInnen stärkere Auswirkungen haben. Dies betrifft beispielsweise das Ende der Roaming-Gebühren, das den freien Zugang zum Internet erleichtert hat. Unter seiner Ägide war die Europäische Kommission auch eine des Dialogs mit den BürgerInnen: Er wies darauf hin, dass ca. 1600 BürgerInnendialoge abgehalten wurden und kommt zum Schluss, dass sich seine Kommission nicht „im Berlaymont-Buncker verschanzt hat“ – das Hauptgebäude der Kommission trägt den Namen „Berlaymont“.
Leistungsbilanz trotz allem positiv
Die Kommission habe unter seiner Führung das Ziel umgesetzt, sich nicht mehr in jedes Detail des Alltags der BürgerInnen einzumischen, sondern sich auf die großen Themen zu konzentrieren. Seit 2014 habe es insgesamt 350 legislative Vorschläge gegeben, von denen fast 200 angenommen wurden. Was Juncker besonders freut: Im Sozialbereich, der bisher ein Stiefkind der EU-Politik war, gab es in der letzten Periode so große Fortschritte wie noch nie. Auch für die Vision einer Energieunion seien wichtige Fortschritte erzielt worden. Dafür und für die gute Zusammenarbeit dankte er am Ende seiner Amtszeit allen Abgeordneten des Europäischen Parlaments.
Die EU braucht entweder mehr Budget oder weniger Ausgaben für Agrarpolitik
Für die Zukunft wünschte sich Juncker, dass der mehrjährige Finanzrahmen (MFR) Prioritäten in den Bereichen Investitionen, Innovation, Forschung, Jugend und Bildung setzt. Um das zu erreichen ohne gleichzeitig das Budget massiv aufzustocken, müsse jedoch für Landwirtschaft und Kohäsion weniger ausgegeben werden als bisher. Denn für ein EU Budget von 1,4 % des Bruttonationalprodukts war niemand zu gewinnen, am wenigsten die Mitgliedsstaaten. Sogar das bei EU-Budgetfragen wenig zurückhaltende EU-Parlament begnüge sich in seiner Forderung mit 1,3 %. Die Kommission hatte im Sommer 2018 schlussendlich 1,11 % vorgeschlagen, was der Größenordnung des aktuellen MFR entspricht.
Keine „Vereinigten Staaten von Europa“
Juncker betonte auch die unverändert zentrale Rolle der Mitgliedstaaten, die sich auch in Zukunft nicht abschwächen werde. Die EU benötige die gewachsenen Nationen, und sie könne sich ohne die Nationen nicht entwickeln. Deswegen sei er nach wie vor gegen den Begriff „Vereinigte Staaten von Europa“, denn die EU werde sich nie zu einem Staat wie die USA entwickeln. Juncker hob auch hervor, dass Patriotismus etwas Positives sei, denn jede/r Französin/Franzose solle sich weiterhin als Französin und Franzose fühlen, und jede/r Deutsche/r als Deutsche/r. Es gebe keinen Widerspruch zwischen einem verantwortungsvollen Patriotismus und der Zugehörigkeit zu einem größeren Gefüge, wie es die EU ist.
Liebeserklärung an Europa
Abschließend fand Juncker zu einem sehr persönlich gehaltenen Abschied vom EU-Parlament samt Liebeserklärung an Europa und die EU. Es sei wichtig, dass west- und osteuropäische EU-Mitgliedsstaaten – er bezeichnete sie als die zwei Lungenflügel der Union, die ohne einen der beiden nicht auskommen und überleben könne – gut zusammenarbeiten. Er habe seine Arbeit als Kommissionspräsident gemocht, viel gelernt, und auch gestritten – und man habe einiges gemeinsam geschafft. „Europa muss man lieben – wenn man es nicht liebt, ist man zur Liebe nicht fähig. Ich liebe Europa, es lebe Europa“ endete die emotionale Ansprache des Kommissionspräsidenten, die mit großem Applaus gewürdigt wurde.