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ZurückDie Digitalisierung schreitet in allen Gesellschaftsbereichen rapide voran und macht auch vor dem Gesundheitssektor nicht halt. Der Vorschlag der EU-Kommission für einen europäischen Raum für Gesundheitsdaten verspricht Vereinfachungen und Verbesserungen, löst bei vielen Stakeholdern jedoch ernste Bedenken hinsichtlich der Berücksichtigung von Grundrechten, Privatsphäre und Autonomie der Patient:innen und der Realisierbarkeit aus.
Die EU-Kommission hat im Frühjahr 2022 eine Verordnung zur Schaffung eines Europäischen Raums für Gesundheitsdaten (EHDS) vorgestellt, die aus der Europäischen Datenstrategie hervorgeht. Der EHDS ist einer der ersten Bausteine in dieser Strategie, die Kommission plant acht weitere Datenräume in ähnlich strategischen Bereichen. Diese Räume sollen dazu dienen, das volle Potential der Daten auszuschöpfen, indem sie für Forschungszwecke und Innovationen nutzbar gemacht werden. Im aktuellen Verordnungsentwurf ist der Begriff „Gesundheitsdaten“ extrem weit gefasst. Darunter fallen demnach nicht nur Daten aus dem Gesundheitssystem wie elektronische Patient:innendaten oder Krankheitsregister, sondern auch Daten zu gesundheitsrelevanten Einflussfaktoren wie dem Konsum von bestimmten Substanzen, Obdachlosigkeit oder dem beruflichen Status. Aber auch von Konsument:innen selbst erzeugte Daten wie solche von Wellness-Apps oder anderen digitalen Gesundheitsanwendungen sollen dazu zählen. Wenngleich sich manche Stakeholder von einem solchen Datenraum in der EU neben verbesserter Gesundheitsversorgung auch mehr Wettbewerbsfähigkeit und höhere Produktivität versprechen, gibt es von vielen Seiten ernsthafte Zweifel an dem Vorhaben. Dazu gehören auch die Panelist:innen des von AK EUROPA, dem ÖGB Europabüro und der Europäischen Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes (EPSU) am 28. März 2023 veranstalteten Webinars.
Realisierbarkeit des Vorschlags angesichts überlasteter Gesundheitssysteme
Jan Willem Goudriaan, Generalsekretär der EPSU, zufolge bestehen aktuell sehr große Ungleichheiten in den Gesundheitssystemen zwischen, aber auch innerhalb der einzelnen EU-Mitgliedstaaten. Angesichts der starken Überlastung und Unterfinanzierung des öffentlichen Gesundheitswesens in vielen Mitgliedstaaten müsse man bei der Umsetzung eines Europäischen Raumes für Gesundheitsdaten besonderen Fokus auf die Bedürfnisse und Interessen der Arbeitnehmer:innen und eine Einbeziehung der Sozialpartner legen. Goudriaan warnte davor, dass der EHDS ein „trojanisches Pferd für eine weitere Privatisierung im Gesundheitswesen“ werden könnte; die Befürchtung bestehe, dass die EU-Kommission einmal mehr „Marktlösungen“ im Gesundheitssektor forciere. Sara Roda, Expertin des Ständigen Ausschusses Europäischer Ärzte (CPME) forderte den Zugang zur Gesundheitsversorgung zu verbessern, ohne den Verwaltungsaufwand und die Kosten für Ärzt:innen und kleine Arztpraxen zu erhöhen.
Datenschutz und Recht auf Privatsphäre – ethische Überlegungen in den Mittelpunkt stellen
Die EU-Kommission verweist darauf, dass der EHDS-Vorschlag ohnehin die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) berücksichtige und man sich der Bedeutung des Vertrauens der Konsument:innen in den europäischen Raum für Gesundheitsdaten bewusst sei. Jedoch stehen viele Bestimmungen des EHDS-Vorschlags in ausdrücklichem Widerspruch mit der DSGVO. Besonders problematisch für viele Expert:innen ist die sekundäre Nutzung der gesammelten Gesundheitsdaten, beispielsweise für Marketing- oder Versicherungszwecke. Für Daniela Zimmer, Expertin für Konsument:innenschutz der AK Wien, ist es als höchst problematisch zu werten, dass elektronische Krankenakten und Patient:innendaten unter Wettbewerbsgesichtspunkten betrachtet würden. Umso wichtiger sei es, Betroffenen ein ausdrückliches Einwilligungsrecht einzuräumen. Die im Verordnungsvorschlag fehlende verpflichtende Einwilligung der Patient:innen zur Freigabe der Daten stößt auch bei Petar Vitanov, MEP der S&D Gruppe im EU-Parlament, auf Unverständnis: „Warum sollte für die Zustimmung zur Weitergabe von persönlichen Daten an eine Website ein höherer Standard gelten als für die Zustimmung zur Weitergabe sensibler Gesundheitsdaten?“ Auf eine angebliche Anonymisierung von Daten solle man nach Jan Penfrat, Experte bei European Digital Rights (EDRi), keinesfalls vertrauen, da zahlreiche Möglichkeiten bestünden, anonyme Daten zu reidentifizieren.
AK fordert zwingende Opt-In und Opt-Out Rechte für Konsument:innen
Konsument:innenschutz wird in einer digitalen Welt eine politische und hochrelevante Aufgabe, derer sich die AK annimmt. Grundsätzlich unterstützt die AK die Zusammenführung von Gesundheitsdaten, um bessere Forschung zu ermöglichen – aber nur, solange dies wirklich einer besseren Gesundheitsversorgung der Patient:innen dient und im Einklang mit den Grundrechten steht. Es muss unbedingt verhindert werden, dass hochsensible Daten zu rein kommerziellen Zwecken genutzt werden. Nach AK-Expertin Daniela Zimmer muss den Patient:innen zwingend eine Opt-Out Option für die primäre Nutzung und eine Opt-In Option für die Wiederverwendung ihrer Daten angeboten werden. Außerdem solle die Definition des Begriffs „Gesundheitsdaten“ deutlich enger gezogen werden. Starke, unabhängige Datenschutzbehörden müssten eine zentrale Rolle beim Vorhaben eines Europäischen Raums für Gesundheitsdaten einnehmen.
Weiterführende Informationen:
AK EUROPA Positionspapier: Verordnung über den europäischen Raum für Gesundheitsdaten
EPSU Position on the European Health Data Space (Nur Englisch)
Standing Committee of European Doctor’s (CPME) Position on the European Health Data Space (Nur Englisch)
European Digital Rights (EDRi) Position Paper on the European Health Data Space (Nur Englisch)
European Public Health Alliance Position Paper on the European Health Data Space (Nur Englisch)