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ZurückAm 20. März 2020 schlug die Kommission die Anwendung der Ausweichklausel im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes vor, drei Tage später bestätigte der Rat der FinanzministerInnen den Vorschlag. Damit sind die EU-Mitgliedstaaten beim Bewältigen der sich anbahnenden Wirtschaftskrise vorerst nicht mehr an die strengen EU-Haushaltskriterien gebunden.
Der zentrale Rahmen für die Europäische Wirtschaftspolitik ist der Stabilitäts- und Wachstumspakt. Mit seinen strengen Kriterien für die Mitgliedstaaten (öffentliches Defizit nicht mehr als 3 % des BIP, öffentlicher Verschuldungsgrad nicht mehr als 60 % des BIP) gibt die EU harte Regeln vor, von denen nur im Falle einer schweren Krise kurzfristig deutlich abgewichen werden kann. Ähnlich wie bereits in der Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2008 ist das nun der Fall. Im Unterschied zu damals wird diese Ausnahme nun allerdings nicht mehr länderspezifisch gewährt, sondern für die gesamte Europäische Union. Diese kollektive Möglichkeit wurde erst im Rahmen der 2011 beschlossenen Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts (dem sog. „Six-Pack“) geschaffen.
In der Mitteilung der Kommission zur koordinierten wirtschaftliche Reaktion auf die COVID-19-Pandemie vom 13. März 2020 erklärte die Kommission, dass sie bereit stünde, „dem Rat vorzuschlagen, dass die Unionsorgane die allgemeine Ausnahmeklausel aktivieren, um eine breiter angelegte fiskalpolitische Unterstützung zu ermöglichen.“ Eine Woche später, am 20.3.2020, stellte von der Leyen die konkrete Mitteilung vor. Darin hält sie unter anderem fest: „Da sich die Krise der Kontrolle der Regierungen entzieht und erhebliche Auswirkungen auf die öffentlichen Finanzen hat, findet die Bestimmung des Pakts über außergewöhnliche Ereignisse Anwendung.“ Drei Tage später, am 23. März 2020, bestätigte der Rat der EU-FinanzministerInnen im Rahmen einer Videokonferenz die Aufnahme der Ausweichklausel.
Mittlerweile haben eine Reihe von Mitgliedstaaten umfangreiche Hilfspakete beschlossen bzw in Aussicht gestellt. Während die österreichische Bundesregierung am 18. März ein Hilfspaket von 38 Milliarden Euro angekündigt hat, plant Deutschland einen Nachtragshaushalt von 150 Milliarden sowie einen Fonds von 400 Milliarden. Spanien kündigte ebenfalls – zusätzlich zu bereits angekündigten 14 Milliarden – ein Paket von 200 Milliarden an. In Frankreich sind es bislang 300 Milliarden.
Alles andere als die Anwendung der Ausnahmeklausel für die Bewältigung der nun startenden Krise wäre ein fataler Schritt gewesen, denn genau für Krisen wie diese wurde sie eingerichtet. Die entscheidende Frage ist allerdings noch offen, wie schnell nämlich von der Kommission wieder die Einhaltung aller Regeln eingefordert werden wird. Ein neuerlich zu rasches Rückkehrgebot könnte nämlich die Fehler nach der Finanz- und Wirtschaftskrise wiederholen. Auch damals war die Erstreaktion richtig und pragmatisch, allerdings löste die – gestützt auf die Verpflichtung gemäß des Stabilitäts- und Wachstumspaktes – großteils bereits 2010 beginnende Konsolidierungspflicht eine neuerliche Rezession aus. So sind nicht nur in Griechenland die Folgen jener Austeritätspolitik bis heute spürbar, und es ist zu befürchten, dass durch die Corona-Krise nicht zuletzt auch die fatalen Folgen des Sparens an öffentlichen Gesundheitssystemen in vielen Ländern noch stärker zu Tage treten werden.
Mitentscheidend wird dabei sein, wie tief die aktuelle Rezession ausfallen und wie lange sie anhalten wird. Je schwerer die von Covid-19 ausgelöste ökonomische und soziale Krise sein wird, desto unmöglicher wird es sein, dass die Budgetregeln rasch und ohne Folgeschäden wieder eingehalten werden können.
Mit der Krise tritt leider die generelle Debatte um die Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts in den Hintergrund, die die Kommission im Februar 2020 mit dem Ziel gestartet hat, Investitionen zu fördern und die Umsetzung des Green Deals zu erreichen. Denn die Notwendigkeit, die strikten Finanzregeln dem 21. Jahrhundert anzupassen und Investitionen zu fördern, ist schon seit vielen Jahren bekannt und angesichts der bekannten Schwächen auch dringend notwendig. Deshalb wird es umso wichtiger sein, die Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts spätestens dann fortzusetzen, wenn Europa die Corona-Krise überwunden hat.
Weiterführende Informationen:
AK EUROPA: Europa in Zeiten der Covid-19-Krise
AK EUROPA Policy Brief: Economic Governance - Focus on Sustainable Development of Well-Being
AK EUROPA: Stabilitäts- und Wachstumspakt: Kommission startet Reformdebatte
A&W Blog: Eine fortschrittliche Reform der EU-Budgetregeln?
AK Wien: Hohes Budgetdefizit ist ökonomisch notwendig und sozial sinnvoll