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ZurückSeit einigen Tagen befindet sich die Europäische Union im Ausnahmezustand. Die Covid-19-Pandemie hat mittlerweile die gesamte EU erreicht. Auch wenn das Ausmaß dieser Krise noch nicht erfassbar ist, steht fest: Die Europäische Union steht vor einer noch nie dagewesenen Herausforderung.
Nachdem die meisten Länder anfangs noch eher zögerlich auf die Verbreitung des Virus reagierten, folgten in den letzten Tagen in vielen Ländern Restriktionen in einem Ausmaß, das Europa seit Ende des Zweiten Weltkrieges nicht mehr gesehen hat. Um die rasante Ausbreitung des Virus zu bremsen und das Kollabieren der Gesundheitssysteme zu verhindern, wurden beispielsweise die Versammlungs- und Bewegungsfreiheit in vielen Ländern massiv eingeschränkt. Die Dauer und Folgen dieser Gesundheitskrise sind noch nicht abschätzbar, aber schon jetzt zeichnet sich ab, dass sie für die Bevölkerung Europas gravierende Einschnitte in allen Lebensbereichen mit sich bringen wird.
Schließung der externen Grenzen
Angesichts der sich weiterhin ausweitenden Pandemie, verkündete Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am 17. März 2020, dass Europa seine externen Grenzen für nicht unbedingt notwendige Reisen schließt. Dadurch soll die Ausweitung des Virus in Europa, aber auch global, verzögert werden. Damit ist auch die Hoffnung verbunden, dass die Mitgliedstaaten nicht weiter dem aktuellen Trend zu Grenzschließungen auf nationaler Ebene folgen. Von der Leyen: "Wir wissen, dass zu viele Menschen innerhalb der EU gestrandet sind und Schwierigkeiten haben, nach Hause zurückzukehren." Noch unklar ist, ob das Schließen der EU-Außengrenzen wirklich zu einer Öffnung der Grenzen zwischen den Mitgliedstaaten führen wird.
Die Ausweitung des Virus und die zunehmenden Grenzschließungen führten auch zu deutlich weniger Nachfrage im Flugverkehr. Doch auch ohne PassagierInnen flogen Maschinen weiterhin Flughäfen an. Dieses Phänomen ist der “use-it-or-lose-it” Regelung geschuldet, nach der Flugunternehmen ohne dem Benutzen von mindestens 80 % der laufenden Start- und Landerechte den Anspruch verlieren, diese auch im folgenden Jahr verwenden zu können. Nicht nur angesichts der Covid-19-Krise, sondern auch zur Vermeidung von Leerflügen erscheint die Einsetzung einer Ausnahmeregelung und damit die Aussetzung der ursprünglichen Regelung als sinnvoll. Diese gilt seit 1. März bis 30. Juni und kann bei gering bleibender Nachfrage auch verlängert werden.
Bekämpfung des Virus
Eine der großen Fragen im Hinblick auf Corona ist, wann ein Impfstoff gegen das Virus zur Verfügung stehen wird. Aktuell wird weltweit in etwa 35 Unternehmen und Forschungsinstituten intensiv an der Entwicklung eines Impfstoffes gegen Covid-19 geforscht. Mit April wird es bereits zu den ersten Tests von Impfstoffproben an Menschen kommen. Um möglichst rasch und erfolgreich einen Impfstoff zur Verfügung zu haben, stellt auch die Europäische Union Forschungsgelder zur Verfügung. So bot die Kommission etwa CureVac, einem deutschen Impfstoffentwickler, finanzielle Unterstützung bis zu 80 Millionen Euro an.
Darüber hinaus soll sichergestellt werden, dass innerhalb der EU die Versorgung mit Schutzausrüstungen und Medikamenten gewährleistet wird. Dies wurde als ein weiteres Ziel der Maßnahmen von der Kommission präsentiert. Viele der präsentierten Maßnahmen fokussieren sich auf die immensen sozio-ökonomischen Folgen, die angesichts der Covid-19-Krise erwartet werden.
Verheerende Folgen für Europas Wirtschaft
Besonders hart wird die aktuelle Krise auch die europäische Wirtschaft treffen. In den meisten Ländern haben inzwischen alle Geschäfte, die nicht zur kritischen Infrastruktur (Lebensmittel, Apotheken, usw.) gehören, geschlossen. In anderen Sektoren, etwa dem Tourismus oder der Gastronomie, aber auch im Kunst- und Kulturbereich, brechen sämtliche Einnahmen weg. Die Börsen sind weltweit abgestürzt, HändlerInnen sprachen vergangene Woche gar von einem “Schwarzen Montag”, und auch am Ölmarkt brach der Kurs um rund 30 % ein. Die Europäische Kommission geht davon aus, dass die aktuelle Krise Europas Wirtschaft in eine Rezession stürzen wird.
Am 16. März ließ die Europäische Kommission den Mitgliedstaaten den Entwurf für einen “Vorschlag zu einem vorübergehenden Rahmen für staatliche Beihilfen zur Unterstützung der Wirtschaft vor dem Hintergrund des Covid-19-Ausbruchs” zukommen. EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager forderte in einer Erklärung ein rasches und koordiniertes Vorgehen und formulierte zwei Ziele: Erstens müssen Unternehmen über ausreichend Liquidität verfügen, zweitens darf die Unterstützung von Unternehmen in einzelnen Mitgliedstaaten nicht die europäische Einheit untergraben. Konkret schlägt die Kommission vier Maßnahmen vor: Beihilfen in Form von direkten Zuschüssen oder Steuervorteilen in einer Höhe von bis zu 500.000 Euro, vergünstigten Garantien für Bankdarlehen, vergünstigte Zinssätzen sowie die Anerkennung der wichtigen Rolle des Bankensektors bei der Bewältigung der wirtschaftlichen Krise.
Gesundheitspolitik: Kommission legt Fokus auf funktionierenden Binnenmarkt
Auch die Covid-19-Krise hebelt geregelte Kompetenzen zwischen den Mitgliedstaaten und der EU nicht aus – Gesundheitspolitik bleibt vorrangig Sache der Mitgliedstaaten, der Union kommt aber nach wie vor ergänzende Kompetenz zu. Es kann davon ausgegangen werden, dass dieser in solchen Zeiten eine besonders hohe Bedeutung zukommen könnte. Am 15. März sprach sich Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen dafür aus, den reibungslosen Warenverkehr im Binnenmarkt aufrecht zu erhalten. So dürfe der Warenverkehr vor allem von medizinischen Produkten, wie etwa Schutzausrüstung für Krankenhauspersonal, nicht beeinträchtigt werden. Mitgliedstaaten sollten einander zu Hilfe kommen, ein Export außerhalb der EU dürfe nur noch durch spezielle Autorisierung erfolgen und ist damit de facto ausgesetzt. Auch wenn der Warenverkehr von den bereits erwähnten innereuropäischen Grenzschließungen explizit ausgenommen wurde, zeigen die kilometerlangen Staus etwa an der polnisch-deutschen Grenze, dass die Kommission weiterhin einen Weg zur besseren Koordinierung unter den Mitgliedsstaaten finden muss.
Schutz für LKW-FahrerInnen
Unverzichtbar für einen funktionierenden Binnenmarkt ist übrigens auch die Arbeit von LKW-FahrerInnen - besonders für die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung. Um die Lieferketten aufrecht zu erhalten, haben mehrere Mitgliedstaaten mittlerweile eine Lockerung der Lenk- und Ruhezeiten und der Kabotageregelung ins Spiel gebracht oder umgesetzt. Die Europäische TransportarbeiterInnen-Föderation warnt, dass das Wohlergehen von FahrerInnen nun besonders geschützt werden müsse und eine Antwort auf europäischer Ebene nötig sei. Aufgrund der geänderten Öffnungszeiten bzw. Schließungen von Raststätten müsse dringend sichergestellt werden, dass FahrerInnen Dusch- und Toilettenmöglichkeiten, aber auch Einkaufsmöglichkeiten haben, um sich selbst versorgen zu können.
Europäische Institutionen im Krisenmodus
Die Krise wirkt sich auch weitreichend auf die Tätigkeit der Europäischen Institutionen aus. Neben dem Parlament und dem Rat befindet sich auch die Kommission zumindest bis Ende April im Krisenmodus. Dass sie ihre Arbeit auf ein absolutes Minimum herunterfährt, wird auch anhand der aktualisierten Agenda für die kommenden Kollegiumssitzungen deutlich. Konsequenzen bringt die Situation auch für die Verhandlungen hinsichtlich zukünftiger Handelsabkommen mit sich. Die Gespräche zwischen der EU und Großbritannien wurden fürs erste ausgesetzt. Dennoch wollen beide Seiten den Prozess fortführen und haben am Mittwoch, dem 18. März, ihre jeweiligen Entwürfe für einen möglichen Rechtstext ausgetauscht. Handelskommissar Phil Hogan sagte außerdem seine Reise in die USA und nach Kanada ab, bei der neben der Reformation der WTO auch das geplante “Mini-Freihandelsabkommen” mit den USA weiter verhandelt hätte werden sollte. Auch die Konferenz zur Zukunft Europas wird wohl nicht wie geplant am 9. Mai stattfinden können.
Schutz vor Arbeitslosigkeit und Einkommensverlust
Der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) begrüßt das Bekenntnis der Kommission, die Beschäftigten vor Arbeitslosigkeit und Einkommensverlust zu schützen. Die Kommission müsse hier sicherstellen, dass die Unterstützungen auch wirklich bei den Beschäftigten ankommen und auch Selbstständige und prekär Beschäftigte davon profitieren. Die Lockerung des Regelwerks hinsichtlich Fiskalpolitik und staatlicher Beihilfen erachtet der EGB als ebenso essentiell wie die Einrichtung eines EU-Fonds, der Beschäftigte und Unternehmen vor den gravierendsten Folgen dieser Krise schützt.
Für Beschäftigte in Österreich hat die Arbeiterkammer (AK) gemeinsam mit dem Österreichischen Gewerkschaftsbund (ÖGB) eine Website veröffentlicht, auf der die häufigsten arbeitsrechtlichen Fragen im Zusammenhang mit der aktuellen Situation in mehreren Sprachen beantwortet werden.
Weiterführende Informationen:
A&W Magazin: Der doppelte Schock - was jetzt?
AK und ÖGB: Job & Coronavirus: die wichtigsten Fragen und Antworten