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Eine europaweite Reform des „nationalen Wildwuchses“ im Unternehmensrecht ist notwendig – so der Konsens der Podiumsgäste aus Sozialpartnerschaft und Wissenschaft bei der dieswöchigen Konferenz „Faire Unternehmensmobilität garantieren“. Wie das Ende April 2018 vorgestellte Unternehmensrechtspaket jedoch in eine sozial gerechte Form gebracht werden kann, blieb zu diskutieren. Das Paket zielt im Rahmen zweier Richtlinien auf die Digitalisierung bzw. Harmonisierung der Spaltung, Umwandlung und Fusion von und zwischen den national verschiedenen Unternehmensrechtsformen der Mitgliedstaaten ab. ArbeitnehmervertreterInnen befürchten indessen die Schwächung wichtiger Mitbestimmungsrechte, die Firmen durch Umwandlung in ausländische Rechtformen noch einfacher umschiffen könnten.

 

Evelyn Regner (S&D), Berichterstatterin der Mobilitätsrichtlinie des Pakets, stellte in ihrer Eröffnungsrede die Notwendigkeit der Unternehmensrechtsreform den Umgehungsmöglichkeiten von nationalen Sozialstandards gegenüber, welche die unkontrollierte Nutzung ausländischer Rechtsformen eröffne. Trotz der grundsätzlichen Sinnhaftigkeit des Kommissionsvorschlages müssten die ArbeitnehmerInnen mehr berücksichtigt werden – vor allem betreffend des Mitspracherechts. Das Unternehmensrechtspaket soll die Gründung von Briefkastenfirmen erschweren und nicht erleichtern. Jyte Gutteland (S&D), Schattenberichterstatterin der im Paket enthaltenen Digitalisierungsrichtlinie, wies darauf hin, dass systematische Steuervermeidung jährlich Milliardenbeträge verschlinge. Sowohl Gutteland als auch Regner wollen sich im Steuerausschuss des EU-Parlaments (TAXE) für ein faires Paket einsetzen.

 

Salla Saastamoinen, Generaldirektorin für Ziviljustiz und Handelssachen, präsentierte das Paket aus Sichtweise der EU-Kommission. Ziel sei es, die Konversionsregime im nationalen Gesellschaftsrecht anhand europäischer Kriterien digital zu gestalten und miteinander zu verknüpfen, jedoch nicht die Rechtsregime selbst anzugleichen. Sie unterstrich, dass die Mitbestimmungsrechte der ArbeitnehmerInnen im Paket zwar dem „gemeinschaftlich-rechtlichen Besitzstand“ der EU entsprächen, gestand aber ein, dass die Kommission zum jetzigen Zeitpunkt hierzu keine europaweiten Regeln vorschlagen möchte. Das begründete sie mit der Balance zwischen den Interessen der Sozialpartner.

 

Im Anschluss kamen auch die Sozialpartner selbst zu Wort. Wolfgang Kowalsky, leitender Politikberater des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB) bewertete das Paket als insgesamt zu unternehmensfreundlich. Kowalsky brachte daher zwei Verbesserungsvorschläge ein: Erstens sollte bei den Mitbestimmungsrechten der ArbeitnehmerInnen eine europaweite Angleichung nach oben erreicht und ein regulatorisches Wettrennen nach unten vermieden werden; zweitens müsste die Sachverständigenprüfung zur Identifizierung von Briefkastenfirmen, die bei Rechtsumwandlung geplant ist, auch auf Kleinst- und Kleinunternehmen ausgedehnt werden.

 

Joëlle Simon, stellvertretende Vorsitzende des Rechtsbüros des Arbeitgeberverbandes Business Europe, lobte die geplante Entbürokratisierung und Digitalisierung der Unternehmensmobilität. Trotzdem kritisierte sie den Vorschlag als zu komplex und kostenintensiv. Das Paket werfe außerdem ein schlechtes Bild auf die Wirtschaftswelt, da es diese unter Generalverdacht der Steuervermeidung stelle. Sie anerkannte zwar, dass sich Firmen als „Teil des Geschäfts“ besserer Rechtformen im Ausland bedienen, appellierte aber, zwischen Betrug und legaler Nutzung von vorteilhafteren Rechtregimen zu unterscheiden.

 

Mijke Houwerzij, Professorin an der Uni Tilburg, nannte die Ausnahme der Kleinunternehmen von der Sachverständigenprüfung als größten Mangel,enn der Großteil der „schwarzen Schafe in Hochrisikosektoren“, in denen Sozialdumping am öftesten betrieben wird, sind Kleinunternehmen — etwa in der Land-, Transport-, und Bauwirtschaft. Diese verwenden ausländische Rechtsformen besonders häufig. Edoardo Traversa, Professor für Steuerpolitik an der Universität Louvain, vertrat hierzu die Meinung, dass der Vorschlag den Sozialbetrug insofern erleichtere, als dass die Verlegung des Unternehmenssitzes auch ohne die Aufnahme einer realökonomischen Tätigkeit im Zielland erlaubt werden soll.

 

Wie schon in einem ersten Überblick der AK EUROPA festgestellt wurde, sind die Kommissionsvorschläge derzeit keineswegs ausreichend, um dem Trend zur Flucht vor stärkeren Mitspracherechten Einhalt zu gebieten. Hierzu bedürfte es aus Sicht der Arbeiterkammer etwa eines „realen Sitz“-Prinzips, wie es auch schon der EGB aufzeigt hat. Der Unternehmenssitz wäre dann an den Ort der hauptsächlichen Wertschöpfung gekoppelt. Das „Regime Shopping“ von niedrigeren Sozialstandards und billigeren Rechtsformen im Ausland wären damit automatisch unterbunden.

 

Weiterführende Informationen:

Europäische Kommission: Unternehmensrechtspaket

AK-EUROPA: Vorsichtige Abkehr von Unternehmensmobilität um jeden Preis?

EGB-Positionspapier zum Unternehmensrecht

Hans Böckler Stiftung: Mitbestimmung entzogen - Unternehmen mit ausländischer Rechtsform

AW-Blog: Kampf den Scheinunternehmen

AW-Blog: Polbud - Neues EuGH-Urteil mit negativen Auswirkungen für Beschäftigte