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ZurückVergangene Woche stellte die EU-Kommission das sogenannte Unternehmensrechtspaket vor. Die Tatsache, dass die Vorstellung der Vorschläge der Kommission mehrmals verschoben wurde, deutet darauf hin, dass es sich hier um eine politisch sensible Materie handelt. Auf der einen Seite fordern Unternehmen und ihre Verbände die Möglichkeit, überall in Europa Gesellschaften möglichst auf Knopfdruck gründen zu können. Auf der anderen Seite weisen Gewerkschaften seit vielen Jahren darauf hin, dass unter dem Deckmantel der Niederlassungsfreiheit wohlerworbene Rechte der ArbeitnehmerInnen und besonders das in Deutschland und Österreich mit Erfolg praktizierte Modell der betrieblichen Mitbestimmung ausgehöhlt werden.
Letzter Höhepunkt in der Auseinandersetzung zwischen Marktfreiheiten und ArbeitnehmerInnenrechten war das sogenannte Polbud-Urteil des EuGH vom Herbst 2017. Mit diesem Urteil vereinfacht der Europäische Gerichtshof es Unternehmen, ihren Sitz in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen, und zwar auch dann, wenn ein Unternehmen in einem anderen Mitgliedsland überhaupt keiner realen wirtschaftlichen Tätigkeit nachgeht. Die Umgehung als lästig empfundener nationaler Vorschriften, darunter auch Mitbestimmungsregelungen der ArbeitnehmerInnen, wurde dadurch erheblich erleichtert. Damit würde der Alptraum der Gewerkschaften Wirklichkeit: Die Errichtung von Briefkastengesellschaften zur Umgehung gewerkschaftlicher Mitspracherechte.
Die jetzt vorgelegten Vorschläge der Kommission greifen zumindest in Teilen die berechtigten Sorgen der Gewerkschaften auf. So bezieht sich die Kommission in mehreren Stellen ihres Vorschlages ausdrücklich auf das Polbud-Urteil, indem sie zwar einerseits die grundsätzliche Möglichkeit der freien Sitzverlegung innerhalb der Union begrüßt, gleichzeitig aber sicherstellen möchte, dass es zu keinem Missbrauch kommt.
Konkret beabsichtigt die Kommission, die Rechte der Beschäftigten bei grenzüberschreitenden Spaltungen oder Umwandlungen zu stärken. Bessere Informations- und Konsultationsrechte sowie der Schutz der Mitbestimmung sollen dies garantieren. Das Unternehmen hat die Belegschaft von allen relevanten Änderungen zu unterrichten und ihre Anliegen zu berücksichtigen.
Im Falle von Sitzverlegungen hat das Unternehmen zwar das Recht, den Gesetzen des Ziellandes zu folgen. Bietet der Zielstaat jedoch keine gleichwertigen Rechte der Mitbestimmung, müssen Belegschaft und Unternehmen in Verhandlungen treten, um die Frage der Mitbestimmung zu lösen. Kommt es innerhalb von 4 Monaten zu keiner Lösung, gelten grundsätzlich die Regeln, die auch vor der grenzüberschreitenden Handlung gegolten haben.
Wie jedoch bereits erste Analysen zeigen, sind die Vorschläge der Kommission bei weitem nicht ausreichend, um den Trend zur Flucht aus der Mitbestimmung zu beenden. Hier bräuchte es – wie auch der EGB in einer ersten Einschätzung fordert – die Verankerung eines effektiven „realen Sitz“-Prinzips. Nach wie vor ist die mit den jetzigen Vorschlägen vorgesehene Vereinfachung der Unternehmensgründung per Mausklick vom Gedanken dominiert, eine Entlastung der Betriebe von Verwaltungsaufwand und -kosten zu erreichen. Als Gegengewicht dazu sind aus Gewerkschaftssicht jedoch dringend europäische Mindeststandards, wie beispielswiese eine Rahmenrichtlinie für die Mitbestimmung für ArbeitnehmerInnen notwendig, um Umgehungskonstruktionen in den Griff zu bekommen.
Weiterführende Informationen:
Europäische Kommission: Unternehmensrechtspaket
A&W Blog: Polbud: Neues EuGH-Urteil mit negativen Auswirkungen für Beschäftigte
A&W Blog: Betriebliche Mitbestimmung: Nicht nur ihre Praxis, auch ihr Ruf ist gut.
EGB-Positionspapier zum Unternehmensrecht
EGB: Company law proposals provide grounds for progress – but clearly need improvement