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ZurückIn der Aussprache über das Herbstpaket des Europäischen Semesters 2022 mit Kommissionsvizepräsident Valdis Dombrovskis und Kommissar Paolo Gentiloni im Europäischen Parlament wurde erneut hitzig über die Reform der europäischen Fiskalregeln debattiert. Die wirtschaftliche Erholung sei erfreulich, jedoch bliebe nicht mehr viel Zeit, um sich auf neue Fiskalregeln zu einigen, bevor der Stabilitäts- und Wachstumspakt ab 2023 wieder vollends in Kraft treten wird.
Am 7. Februar 2022 feierte die Europäische Union das 30-jährige Bestehen des Maastrichtvertrags. Dieser bildet unter anderem die Grundlage für die gemeinsamen Fiskalregeln, welche in erster Linie auf die Vermeidung übermäßiger Budgetdefizite ausgerichtet sind. Um jedoch in der aktuellen Coronakrise auf den wirtschaftlichen Abschwung reagieren zu können und Investitionen zu ermöglichen, wurden die Fiskalregeln sowie andere Teile des Stabilitäts- und Wachstumspaktes befristet ausgesetzt. Aufgrund der wirtschaftlichen Erholung sollen sie ab 2023 erneut gelten, was die Debatte über die wirtschaftspolitische Ausrichtung der EU aufs Neue entfachte. Bereits im Februar 2020 hatte die Kommission eine Konsultation zur Überprüfung der wirtschaftspolitischen Steuerung gestartet und damit auch eine Reform des Europäischen Semesters und der zugrundliegenden Fiskalregeln in Aussicht gestellt, diese wurde jedoch aufgrund der Pandemie ausgesetzt und erst im Oktober 2021 mit der Konsultation „Economic Governance Review“ wieder aufgenommen.
Die Kommission strebt einen „wachstumsorientierter Schuldenabbau“ an
In der Aussprache zwischen dem Europäischem Parlament und der Kommission lobten sowohl Wirtschaftskommissar Gentiloni als auch Vizepräsident Dombrovskis die gemeinsame, rasche und starke Antwort der Europäischen Union auf die Coronapandemie und den daraus resultierenden wirtschaftlichen Abschwung. Die Herbst- und Winterprognose der EU-Kommission zeigt, dass sich die EU von der Wirtschaftskrise erholen wird. Das BIP in der EU ist nun wieder beinahe auf Vorkrisenniveau und die wirtschaftspolitischen Unterstützungsmaßnahmen haben die Situation auf dem Arbeitsmarkt, seit der höchsten Arbeitslosenquote im Dezember 2020, deutlich gemildert.
Jedoch bereiten die Inflation und die hohen Energiepreise Sorgen. Der Preisdruck ist ein ernstes Problem für einkommensschwache Haushalte. Die Kommission berichtet, dass die Inflation länger als bisher erwartet auf jenem hohen Niveau verharren wird. Daher sei es von besonderem Interesse, dass die wirtschaftspolitische Unterstützung zielgerichtet ist und die öffentlichen Finanzen nicht zu sehr belastet werden. Vizepräsident Dombrovskis betonte in der Aussprache mit dem Europäischen Parlament, dass ein „wachstumsorientierter Schuldenabbau“ kein Widerspruch in sich darstellen muss. Dies würde aber einige Anstrengungen erfordern. Im März 2022 wird die Kommission ihre Leitlinien für das weitere Vorgehen im Jahr 2023 vorlegen. Neue länderspezifische Empfehlungen werden im Mai 2022 folgen.
Einig im Vorhaben, die Fiskalregeln zu reformieren – nur wie?
Die Kommission und das Parlament sind sich im Vorhaben das Europäische Semester zu reformieren einig. Denn der fiskalische Spielraum von den Mitgliedsstaaten für öffentliche Investitionen ist noch stark einschränkt, oftmals auf Kosten des gesamtgesellschaftlichen Wohlstandes. Die Unzulänglichkeiten der bestehenden Fiskalregeln zeigen sich laut führenden Ökonom:innen wie Achim Truger insbesondere in den willkürlichen und unzureichend flexiblen Schulden- und Defizitgrenzen innerhalb des Stabilitäts- und Wachstumspaktes. Eine Lösung wäre beispielsweise eine goldene Investitionsregel, mit der öffentliche Investitionen nicht für die Berechnung der Neuverschuldung der Mitgliedstaaten herangezogen werden. Aus Sicht der Arbeiterkammer braucht es daher eine Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes und eine Demokratisierung des Europäischen Semesters durch stärkere Einbindung des Europäischen Parlaments in den gesamten Prozess. 2022 wird daher entscheidend für eine sozialere und nachhaltigere Neuausrichtung der Wirtschafts- und Fiskalpolitik der Europäischen Union sein.
Weiterführende Informationen:
Brief der AK an Kommissionspräsidentin von der Leyen zur Reform des Europäischen Semesters
AK EUROPA: Europa braucht eine Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes!
AK EUROPA: Kommission startet Überprüfung der wirtschaftspolitischen Steuerung
AK EUROPA: Reform der EU-Fiskalregeln überfällig!
AK EUROPA: Überprüfung der wirtschaftspolitischen Steuerung (Economic Governance Review)