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ZurückLange wurde in Brüssel auf die sogenannte Europäische Säule Sozialer Rechte gewartet. Diese Woche war es dann endlich soweit: Die Kommission stellte eine Reihe von Papieren, Indikatoren und Initiativen vor. Wie befürchtet leiten die Pläne jedoch kaum den dringend benötigten Kurswechsel hin zu einem sozialen Europa mit verbindlichen hohen Mindeststands und einer Abkehr von neoliberaler Wirtschaftspolitik ein. Vielmehr werden bestehende europäische und internationale Rechte einfach nur erneut bekräftigt.
Veröffentlicht wurden eine Empfehlung mit 20 Grundsätzen und Rechten zu Chancengleichheit und Arbeitsmarktzugang, fairen Arbeitsbedingungen sowie Sozialschutz und sozialer Inklusion, die inhaltsgleich auch als Vorschlag für eine gemeinsame Proklamation des Parlaments, des Rates und der Kommission aufgelegt wurden. Zusätzlich wurden vier legislative und nichtlegislative Initiativen, ein sozialpolitisches Scoreboard sowie eine Reflexion über die soziale Dimension Europas vorgestellt.
20 Grundsätze und Rechte
Der Fokus der Grundsätze und Rechte liegt besonders auf der sozialen Konvergenz innerhalb der Eurozone. Den Mitgliedsstaaten außerhalb der Eurozone bleibt freigestellt, ob sie sich diesen Bestrebungen anschließen. Dass einige Mitgliedsstaaten diesem Angebot nicht nachkommen werden, scheint nicht erst seit der Äußerung des ungarischen Sozialministers, der eine verbindliche soziale Säule ablehnte, wahrscheinlich. Der erste Eindruck zeigt außerdem, dass Soziales im europäischen Kontext vor allem als Mittel zum Zweck verstanden wird – nämlich letztlich zum Antreiben des Wirtschaftswachstums. Gleichstellung, soziale Sicherung, Arbeitsmarktmaßnahmen und auch Bildung dienen der schnelleren, erfolgreicheren Teilnahme am Arbeitsmarkt, um so das Wachstum anzukurbeln – einen Wert an sich scheinen sie nur eingeschränkt zugesprochen zu bekommen.
1 Scoreboard und 4 Initiativen
Das Scoreboard umfasst bestehende Indikatoren in 12 verschiedenen Bereichen und soll die Umsetzung der sozialen Säule überwachen sowie ins Europäische Semester integriert werden. Die vier Initiativen bestehen einerseits aus zwei Mitteilungen zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben und andererseits aus einer Auslegung der Arbeitszeitrichtlinie. Zusätzlich wurden zwei neue Konsultationen zur Modernisierung der Vorschriften über Arbeitsverträge und dem Zugang zu Sozialschutz eingeleitet. Eine umfassendere Einschätzung aus AK-Sicht hierzu folgt.
Reflexionspapier
Das Reflexionspapier über die soziale Dimension Europas ist schließlich das erste von insgesamt fünf Papieren, die im Rahmen der breiteren Diskussion über das Weißbuch zur Zukunft Europas der Kommission angekündigt wurden. Ähnlich wie bereits im Weißbuch malt die Kommission unterschiedliche Szenarien aus, wie es bis 2025 weiter gehen kann – diesmal sind es drei Optionen hinsichtlich der sozialen Dimension und auch hier variieren die Möglichkeiten zwischen tieferer und reduzierter Integration: (1) Begrenzung auf Freizügigkeit, (2) Koalition der Willigen und (3) gemeinsame Vertiefung der EU27.
Kein grundlegender Kurswechsel in Sicht
Insgesamt hatte sich die AK hier mehr erhofft: Es braucht einen grundlegenden Kurswechsel in Richtung eines sozialen Europas, hin zu einer Festlegung und Durchsetzung verbindlicher Mindeststandards, die mit einer Abkehr von der derzeitigen europäischen Wirtschaftspolitik einhergeht – etwa durch die Etablierung eines sozialen Fortschrittsprotokolls. Strikte Fiskalregeln und sogenannte „Strukturreformen“ verhindern öffentlichen Investitionen und üben Druck in Richtung eines Abbaus von Arbeitsstandards, wie der Lockerung des Kündigungsschutzes, Dezentralisierung von Kollektivvertragssystemen oder Lohnzurückhaltung aus. Ein wirklich soziales Europa hätte die Chance, dem Vertrauensverlust und der Erstarkung der europafeindlichen Parteien etwas entgegen zu setzten, in dem es sozialen Grundrechten im Zweifel Vorrang vor wirtschaftlichen Freiheiten und Wettbewerbsregeln einräumt.
Weiterführende Informationen:
Website zur europäischen Säule sozialer Rechte
Pressemitteilung zur europäischen Säule sozialer Rechte
Factsheet zur europäischen Säule sozialer Rechte
Factsheet zu den vier Initiativen