Nachrichten
ZurückSieben Jahre nach dem LIBOR-Skandal und zwei Jahre nach den Panama-Papers steht der Europäischen Union der nächste Finanzskandal ins Haus. Diesmal wurden dem Fiskus in Österreich, Deutschland, Belgien, sowie sieben anderen Mitgliedsstaaten Steuereinnahmen in einer Gesamthöhe von mindestens 55,2 Milliarden Euro entwendet.
Mangelnde Europäische Kooperation
Bereits 2005 machte Ilona Knebel, Mitarbeiterin der Finanzverwaltung in Essen, auf die Cum-Ex-Geschäfte aufmerksam. 2007 wurden die Geschäfte in Deutschland unterbunden. Sobald jedoch eine ausländische Bank involviert war, waren die komplizierten Steuerrückerstattungen weiterhin möglich. 2012 wurden diese Praktiken dann in Deutschland in der Theorie gänzlich verboten. Erst drei Jahre später trug die BRD diese Steuermanipulation in die Datenbank der OECD ein: Sie ist die einzige internationale Organisation, die sich um den Austausch von Daten hinsichtlich systematischen internationalen Steuerbetrugs bemüht. Nun fordert die dänische Regierung eine vollständige Aufklärung und internationale Kooperation.
Wie funktioniert Cum-Ex?
Die Geschäfte, die ein Konsortium europäischer JournalistInnen an die Öffentlichkeit gebracht hat, lassen sich vereinfacht in zwei Gruppen unterteilen: Cum-Cum und Cum-Ex-Geschäfte. Beide Fälle sind marktneutral. Das bedeutet, dass es keine ökonomische Grundlage für sie gibt. Der Gewinn entsteht nicht aus den Aktienkursen, sondern beruht auf Steuerrückzahlungen. Rentabel wird dieser Steuerbetrug erst bei Investition eines mehrstelligen Millionenbetrages.
Nach Erhalt einer Dividendenauszahlung werden in Österreich automatisch 27,5 % Kapitalertragsteuer (KESt) abgezogen. Mit einer Steuerbescheinigung der Bank kann diese unter gewissen Voraussetzungen zurückerstattet werden, wenn bereits Körperschaftssteuer (Unternehmen) oder Einkommensteuer (Privatpersonen) im Land gezahlt wurde. Dies steht folglich nur inländischen AktionärInnen, nicht jedoch ausländischen zu. Bei Cum-Cum Geschäften kaufen inländische Banken Aktien ausländischer KundInnen kurz vor dem Dividendenstichtag und verkaufen sie direkt danach wieder an die ausländischen InvestorInnen. Die dadurch erschlichene Steuererstattung wird anschließend zwischen den Beteiligten aufgeteilt.
Cum-Ex Geschäfte sind noch komplexer. Hier verkauft ein/e InvestorIn B eine Aktie wiederum vor Dividendenstichtag (CUM-Dividende) an InvestorIn C. InvestorIn B liefert die Aktie jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt, da sie die Aktie noch gar nicht besitzt. Es handelt sich also um einen sogenannten Leerverkauf. InvestorIn A wiederum, welche die Aktie noch besitzt, werden bei der Dividendenausschüttung automatisch 27,5 % Kapitalertragssteuer (KESt) abgezogen. InvestorInnen, die aber in einem Land sitzen, welches ein Doppelbesteuerungsabkommen mit Österreich hat, können sich die KESt zurückerstatten lassen, und so beginnt das Spiel: InvestorIn A verkauft nun ihre Aktie an InvestorIn B abzüglich der ausgeschütteten Dividende (EX Dividende), welche sie an InvestorIn C laut Vertrag weitergibt. Da InvestorIn C formal ebenfalls vor Dividendenausschüttung EigentümerIn der Aktiva war, bekommen InvestorIn A und C eine Steuerbescheinigung. Nun können sich beide vom Staat die Steuer zurückerstatten lassen, obwohl diese nur einmal gezahlt wurde.
Tu felix austria?
In Österreich entgingen dem Fiskus durch Cum-Ex-Geschäfte mindestens 50 Millionen Euro. Insider halten dies sogar für eher konservative Schätzungen und gehen von bis zu 100 Millionen aus. Genaue Berechnungen des Schadens sind nicht möglich, da das Finanzministerium trotz parlamentarischer Anfragen die Zahlen nicht transparent macht. Seit 2013 ermittelt die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft im Rahmen einer Ermittlungsgruppe mit der Staatsanwaltschaft Köln.
“Der größte europäische Steuerskandal“
MEP Sven Giegold (Grüne) forderte am 23. Oktober 2018 in einer eilig durch Grüne und GUE/NGL einberufenen Debatte im Europäischen Parlament in Straßburg Konsequenzen für diese Geschäfte. Für Giegold sei es unerträglich, dass genau diejenigen, die vor 10 Jahren vom Staat finanziell gerettet wurden, den Fiskus jetzt um Steuereinnahmen in gigantischer Höhe bringen würden. Es brauche eine gesamteuropäische Untersuchung der Vorkommnisse. Unterstützung fand Sven Giegold bei dem für Steuern zuständige EU-Kommissar Pierre Moscovici, der sich ebenfalls für einen besseren Informationsaustausch und die Aufwertung der Bankenaufsichtsbehörde eintrat. Die Aufsichtsbehörde hätte dann das Recht, einzelnen Banken Anweisungen zu geben und die Marktaufsicht von den EU-Mitgliedsstaaten an sich zu ziehen. Allerdings müsste eine Mehrheit der Mitgliedstaaten diesem Verfahren zustimmen. Staatssekretärin im Bundesministerium für Inneres, Karoline Edtstadler (ÖVP), sagte, dass man im Rat zwar die Untersuchungen und Medienreportagen zur Kenntnis genommen habe, es aber derzeit kein EU-Gesetz gegen solche Praktiken gäbe und man dementsprechend auch nicht handeln könne. Evelyn Regner (S&D), Mitglied des Sonderausschusses für Finanzkriminalität, Steuerhinterziehung und Steuererleichterung, fordert ein „europäisches FBI“, damit die Europäische Union nicht weiterhin alle paar Jahre von einem Steuerhinterziehungsskandal erschüttert wird. Mitgliedsstaaten sollten von den vorgeschlagenen Richtlinien der EU endlich Gebrauch machen, um solche Skandale vereiteln zu können.
Eine Einigung zwischen Kommission, Parlament und Mitgliedstaaten müsste jedoch möglichst schnell geschehen, da Berichten des JournalistInnen-Kollektivs zufolge die Geschäfte auf Kosten der europäischen SteuerzahlerInnen noch immer ausgeführt werden.
Weiterführende Informationen:
Die Zeit: Der Coup des Jahrhunderts
Sven Giegold: „Cum-Ex ist der größte europäische Steuerskandal – Konsequenzen müssen europäisch sein“
Netzwerk Steuergerechtigkeit: Stellungnahme zu neuen Cum-Ex-Enthüllungen