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Sowohl am G20 Gipfel in Pittsburgh letzte Woche, als auch in einer Mitteilung der Europäischen Kommission von Anfang Juli wurden Reformen im Handel mit Derivaten, die zu den Hauptauslösern für die Finanzkrise zählen, beschlossen. Am Tag des G20 Gipfels fand ein öffentliches Hearing der Europäischen Kommission zu den geplanten Reformen im Derivathandel statt.
Was ist das, ein Derivat?
In einem Derivatvertrag verpflichten sich die Vertragspartner, abhängig von der Entwicklung z.B. eines Wechselkurses, einer Aktie, eines Kredits, Zinssatzes oder Rohstoffpreises, zu Zahlungen/Auszahlungen in der Zukunft. Ein spezieller Fall der Derivatverträge sind so genannte „Credit Default Swaps“ (CDS). Diese Verträge wurden bei den Spekulationen am Immobilienmarkt in den USA angewandt: Einer der Vertragspartner versichert sich gegen das Risiko, dass der Kredit nicht abbezahlt werden kann und beispielsweise der Hauseigentümer zahlungsunfähig wird. Bis zu einem gewissen Zeitpunkt zahlt der eine Vertragspartner laufend eine gewisse Summe an den Versicherer. Dieser muss, falls der Kreditnehmer zahlungsfähig wird, eine bestimmte Summe auszahlen. Um sich ihrerseits gegen dieses Risiko abzusichern, haben nun Finanzakteure wie z.B. Hedgefonds CDS Verträge aufgespalten, gebündelt und weiterverkauft. Es wird also unübersichtlich und kompliziert.

Risiko nicht abschätzbar
Das Risiko dieser „innovativen Finanzprodukte“ ist für die Beteiligten oftmals nicht mehr abschätzbar. Die meisten der Verträge werden bilateral, over-the-counter (OTC), gehandelt und die Öffentlichkeit, insbesondere die Finanzaufsichtsbehörden, sind nicht involviert. Falls eine der Parteien zahlungsunfähig wird, sind die Auswirkungen auf den Rest des Finanzmarkts oft nicht mehr abschätzbar. Am Derivatmarkt sind nur wenige Akteure beteiligt, die ihrerseits aber auch auf anderen Finanzmärkten Geschäfte machen. Das führte dazu, dass der Crash am Immobilienmarkt in den USA Auswirkungen auf den gesamten Finanzmarkt haben konnte.

Weltweit war im Dezember 2008 ein Volumen von 38,6 Billionen Dollar in CDS, die ohne Aufsicht gehandelt wurden ausständig. Das Volumen des gesamten Derivathandels hat sich seit Ende der 90er Jahre (400 Billionen Dollar) bis zum Sommer 2008 beinahe verdoppelt (700 Billionen Dollar). Der Wert dieser Verträge hat durch Spekulation ein Vielfaches der Basiswerte erreicht.

CCP clearing für standardisierte Verträge
Um den Derivatmarkt transparenter und sicherer zu machen, fordern die G20 nun, dass standardisierte Derivat-Verträge über die Börsen oder Elektronische Handelsplattformen gehandelt werden sollen. Alle standardisierten Derivat-Verträge sollen bis spätestens 2012 über eine Zentrale Gegenpartei (Central Counter Party, CCP) gehandelt werden. Die CCP ist dann Käufer für jeden Verkäufer, und Verkäufer für jeden Käufer. Das führt zu einer Verringerung des Risikos, da jeder Handelsteilnehmer nur mehr mit der CCP in Vertragsbeziehungen steht. Die CCP verlangt von jedem Handelsteilnehmer eine gewisse Summe als Sicherheit, für den Fall der Zahlungsunfähigkeit einer Partei. Mit der Freigabe („clearing“) bestätigt die CCP die Realisierbarkeit des Vertrags und die Zahlungsfähigkeit der Vertragsparteien.

Auf dem Hearing der Kommission, sprachen sich die meisten VertreterInnen des Finanzsektors gegen ein verpflichtendes Clearing von standardisierten Verträgen aus. Es wurde die Meinung vertreten, dass ein „ausreichend hoher“ Prozentsatz der Derivatverträge verpflichtend gecleart werden sollten. Gery Gensler, Vorsitzender der „Commodity Future Trading Commission“ vertrat den Standpunkt, dass es ein verpflichtendes CCP clearing für alle standardisierten OTC Derivate geben müsse.

Einig war man sich beim Kommissionshearing, dass der verstärkte Einsatz von CCP das Risiko des Derivathandels nur vermindern, aber nicht beseitigen könne. Ein Portfoliomanager der Deutschen Bank merkte an, dass er ein Problem darin sehe, dass CCP unter Umständen Finanzprodukte freigeben müssen, die so komplex sind, dass sie selbst noch keine Modelle dafür haben.

Für die weiterhin OTC gehandelten Derivate soll es laut G20 höhere Kapitalanforderungen geben. Für die Überprüfung der Angemessenheit der Reformen beauftragen die G20 das „Financial Stability Board“.

Weitere Standardisierung und Automatisierung der OTC Verträge
Auch die Europäische Kommission schlägt in ihrer Mitteilung vor, dass CCP Clearing gefördert werden soll, ist in ihrer Formulierung aber weniger stark als die G-20. Ohne eine Standardisierung (z.B. einheitliche Zahlungsmodalitäten) der Verträge ist es nicht möglich, dass diese von den CCP automatisiert weiterverarbeitet werden und „gecleart“ werden können. Die meisten der gehandelten Derivatverträge sind momentan nicht standardisiert.

Einrichtung von zentralen Daten Sammelstellen
Um die Transparenz der Derivatmärkte zu erhöhen, fordern die G20 und die Kommission die Einrichtung von Zentralen Datensammelstellen, an die jeder Derivatvertrag (und nicht nur die CCP cleared) gemeldet werden muss und zu denen die Aufsichtsbehörden Zugang haben, was ihnen erleichtern soll, die involvierten Spieler zu kontrollieren und systemische Risiken zu verhindern. Beim Hearing herrschte keine Einigkeit darüber wer diese Datensammelstellen einrichten soll, die Finanzakteure selbst oder die Aufsichtsbehörden. Einige TeilnehmerInnen äußerten Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes, falls auch die Öffentlichkeit Zugang zu diesen Daten haben sollte.

Entwicklung einheitlicher Rechnungslegungsstandards

Sowohl von Vertretern US-amerikanischer als auch europäischer Finanzaufsichtbehörden wurde beim Kommissionshearing bekräftigt, dass die Rechnungslegungsstandards, die in der Krise eine pro-zyklische Rolle gespielt haben, sobald wie möglich vereinheitlicht werden sollen. Diese Forderung wurde auch in die Stellungnahme der Regierungschefs der G20 aufgenommen.

Verpflichtende Verhaltensregeln für Spekulanten
Gery Gensler und andere Teilnehmer des Hearings forderten auch, dass sich Finanzspekulanten einem verpflichtenden Verhaltenskodex unterwerfen sollten, um so Betrug und übermäßiges Risikoverhalten zu unterbinden. Er verlangte außerdem neue, verpflichtende Regeln für Rechnungslegung und Reporting für Swaps.

Mit einer überarbeitenden Stellungnahme der Europäischen Kommission zur Regulierung der Derivatmärkte ist Mitte Oktober zu rechnen.


Weiterführende Informationen:

Stellungnahme der Staats- und Regierungschefs zum G20 Gipfel (nur in Englisch verfügbar)

Mitteilung der Europäischen Kommission zu Derivatemärkten