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ZurückMit dem neuen Gesundheitsprogramm EU4Health will die EU-Kommission einen Schritt in Richtung einer gemeinsamen Gesundheitspolitik unternehmen. Wenn ein Paradigmenwechsel in der EU-Gesundheitspolitik gelingen soll, gilt es aber auch an eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den Gesundheitsberufen und im Bereich der häuslichen Pflege zu denken. Die Arbeiterkammer hat hierzu Vorschläge für europäische Rechtsakte erarbeitet.
Gesundheitspolitik ist ein Politikfeld, das in erster Linie in der Verantwortung der Mitgliedstaaten liegt. Die EU hat hier nur eine beratende und unterstützende Funktion. In der Coronakrise zeigten sich allerdings die Schwächen des aktuellen Systems: Das Ausbleiben von koordinierten Maßnahmen – gerade zu Beginn der Pandemie – stieß bei vielen EU-BürgerInnen auf Unverständnis. Lieferungen von Schutzmasken, die an innereuropäischen Grenzen festgehalten oder gar von anderen EU-Staaten im Rahmen nationaler Alleingänge konfisziert wurden, ließen viele an einer europäischen Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten zweifeln. Um solche Szenarien in Zukunft zu verhindern, präsentierte EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides am 28. Mai das neue Gesundheitsprogramm EU4Health.
EU4Health
„Wir brauchen mehr Europa im Bereich der öffentlichen Gesundheit“, fasste Kyriakides viele der Rufe zusammen, die während der Pandemie zu vernehmen waren. Die Krise habe deutlich gemacht, dass die kollektive Reaktionsfähigkeit der EU deutlich gesteigert werden muss. Das nun präsentierte Gesundheitsprogramm EU4Health soll nicht nur zu genau dieser Steigerung der Reaktionsfähigkeit beitragen, sondern einen generellen Paradigmenwechsel in der europäischen Gesundheitspolitik einläuten. Mit Hilfe des Programms soll – so die EU-Kommission – die Bevölkerung der EU gesünder und die Gesundheitssysteme widerstandsfähiger gemacht sowie Innovationen im Gesundheitsbereich gefördert werden. Die letzten Wochen hätten gezeigt, dass es mehr Koordination während Gesundheitskrisen, mehr Kapazitäten auf EU-Ebene, um sich auf solche vorzubereiten und diese zu bekämpfen sowie mehr Investitionen in Gesundheitssysteme brauche. Eine ganze Reihe von Instrumenten soll der EU ermöglichen, sowohl hinsichtlich der Vorsorge als auch der unmittelbare Reaktion auf Gesundheitskrisen „rasch, entschlossen und in Abstimmung mit den Mitgliedsstaaten tätig zu werden und die Leistung der Gesundheitssysteme in der EU insgesamt zu verbessern“. Leider gänzlich außen vor gelassen werden hingegen die schlechten Arbeitsbedingungen, mit denen Angestellte im Gesundheits- und Pflegesektor schon seit langer Zeit zu kämpfen haben.
Deutliche Aufstockung der Mittel
Das nun vorgestellte Programm soll für den Zeitraum 2021 bis 2027 mit einem Budget von 9,4 Milliarden Euro ausgestattet werden. Im Vergleich zu den 413 Millionen Euro, die momentan im Gesundheitsbereich zur Verfügung stehen, wäre das eine Aufstockung der Mittel um das 23-fache. Die Finanzierung soll teils über den EU-Haushalt, teils über das EU-Wiederaufbauinstrument erfolgen. Ermöglicht werden sollen dadurch etwa das Anlegen von Reserven an medizinischen Versorgungsgütern, die Ausbildung von Gesundheitsfachkräften für den Einsatz in ganz Europa sowie die verstärkte Überwachung von Gesundheitsgefahren und die gesteigerte Widerstandsfähigkeit der Gesundheitssysteme. Auch wenn das neue Gesundheitsprogramms massiv von den Entwicklungen der letzten Wochen und Monate beeinflusst wurde, betont die Kommission ebenso sein Potential bei der Bekämpfung von nicht übertragbaren Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Krebs. In diesem Bereich soll EU4Health nationale Programme zur Prävention und Gesundheitsförderung unterstützen.
Änderung der Verträge?
Wie Vizekommissionspräsident Margaritis Schinas betonte, stehe EU4Health in vollem Einklang mit den aktuellen primärrechtlichen Kompetenzen. Man wolle das bestehende Vertragsrecht hier nicht ändern, sondern sein volles Potential ausschöpfen. Wohl auch mit Blick auf die Forderung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron nach mehr Befugnissen für die EU im Gesundheitsbereich lies Schinas allerdings auch durchblicken, dass eine Änderung der Verträge damit nicht vom Tisch sei. „Wenn der Moment richtig ist, wird es passieren“, so Schinas. Ob das vorgeschlagene EU4Health-Programm umgesetzt werden kann, hängt jetzt noch von der Zustimmung der Mitgliedsstaaten und des EU-Parlaments zum EU-Haushalt ab.
AK-Vorschläge für verbesserte Bedingungen in Gesundheitsberufen und in der häuslichen Pflege
Die Coronakrise hat die Beschäftigten im öffentlichen Gesundheitsbereich ebenso ins Rampenlicht gerückt wie die teils katastrophalen Arbeitsbedingungen, unter denen sie ihre Arbeit zu verrichten haben. Hinsichtlich der Arbeitsbedingungen lag allerdings schon vor Ausbruch der Krise vieles im Argen und eine ambitionierte europäische Gesundheitspolitik, die gar eine Änderung der EU-Verträge in Erwägung zieht, sollte auf jeden Fall auch Verbesserungen für die Beschäftigten auf den Weg bringen. In der ganzen EU kämpfen die Mitgliedsstaaten mit einem Personalmangel, sowohl in der Alten- und Krankenpflege als auch im Gesundheitssektor. Während die Beschäftigten des Gesundheitswesens mit unterbesetzten Arbeitsplätzen, überlangen Arbeitszeiten, niedrigen Löhnen sowie unzureichenden Ruhe- oder Urlaubszeiten konfrontiert sind, fallen die Arbeitsbedingungen der im Pflegebereich tätigen Personen intransparenten Agenturstrukturen zum Opfer, die Ausbeutung oder sogar Missbrauch ermöglichen.
Die Arbeiterkammer hält fest, dass es höchste Zeit für Maßnahmen auf EU-Ebene ist. Eine "Richtlinie für Gesundheitsberufe", die europaweite Mindeststandards für diese Branchen einführt, wäre eine Antwort auf den Arbeitskräftemangel und würde gleichzeitig die Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten im Gesundheitswesen verbessern. Angesichts des steigenden Bedarfs an Arbeitskräften im Bereich der häuslichen Pflege ist eine Rahmenrichtlinie, die die grundlegenden Rechte und Pflichten aller beteiligten AkteurInnen definiert, dringend erforderlich. Damit könnten die Rechte der in diesem Bereich tätigen Personen gewährleistet und intransparente Praktiken zum Nachteil der Beschäftigten, der Pflegebedürftigen und ihrer Familien unterbunden werden.
Weiterführende Informationen:
AK EUROPA Policy Brief: Improving Conditions for Health Professionals and Live-in Care Workers
AK EUROPA: Die Stunde Europas: Kommission stellt Wiederaufbauplan vor