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ZurückDas Europäische Gewerkschaftsinstitut (EGI) erforscht das Themenfeld Plattformarbeit und reagiert mit einer Publikation auf die dürftige Datenlage. Zu den Ergebnissen dieser Studie sowie zu anderen Forschungen im Bereich der digitalen Arbeit diskutierte das EGI am 18.02.2020 in einer ExpertInnen-Runde.
Plattformarbeit – also Arbeit, die über Plattformen organisiert wird – nimmt rasant zu. Verschiedene Studien kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen hinsichtlich der Anzahl der für Plattformen Tätigen und identifizieren auch Unterschiede zwischen den Ländern. Selbst wenn der Anteil jener, die regelmäßig dieser Arbeit nachgehen, aktuell noch verhältnismäßig gering geschätzt werden kann beziehungsweise über diese noch wenig bekannt ist, besteht eindeutig ein Handlungsbedarf aufgrund der wachsenden Bedeutung von Plattformarbeit und den dort oftmals vorherrschenden schlechten Arbeitsbedingungen. Umso begrüßenswerter ist, dass sich die Kommission mit dem Thema beschäftigt und im 3. Quartal zu einem Gipfel einlädt, aus dem ein Rechtsakt folgen soll.
Damit bald mehr über diese neue Gruppe von Erwerbstätigen bekannt ist, benötigt es Untersuchungen. Um die Datenlage aufzubessern und ein besseres Verständnis über Plattformarbeit zu erhalten, forschen Agnieszka Piasna und Jan Drahokoupil diesen Themenbereich. Beide sind für das Europäischen Gewerkschaftsinstitut (EGI) tätig und untersuchten Internet- und im speziellen Plattformarbeit in fünf Ländern – Bulgarien, Ungarn, Lettland, Polen und der Slowakei. Ihre Studie zeigt, dass typische PlattformarbeiterInnen sich von anderen Erwerbstätigen in vielen Punkten nur gering unterscheiden. So gibt es etwa kaum Unterschiede in Bezug auf Alter, aufrechtem Studium und Geschlecht. Das Bild der jungen Studierenden, die überdurchschnittlich häufig für Plattformen arbeiten, lässt sich daher nicht bestätigen. Im Vergleich zu den durchschnittlichen Erwerbstätigen zeigte sich jedoch, dass die Prekarität unter den Plattformbeschäftigten höher ist. Die Wahrscheinlichkeit, sich in einer unbefristeten Vollzeitanstellung zu befinden, liegt mit 61,5 % unter dem Durchschnitt von 76,7 % bei anderen Erwerbstätigen. Die Mehrheit der PlattformarbeiterInnen sind auch am nicht-digitalen Arbeitsmarkt aktiv. Es gibt auch keine Hinweise darauf, dass Plattformarbeit zu einer Integration in den Arbeitsmarkt führt.
Irene Mandl, Leiterin der Beschäftigungsabteilung in der Europäischen Stiftung für die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen (Eurofound) und Forschungsleiterin des Projekts Digitale Arbeit. Beschäftigung und Arbeitsbedingungen von ausgewählten Formen der Plattformarbeit, hielt fest, dass die Beschäftigung im Bereich der Plattformarbeit nicht nur in Zahlen zunimmt, sondern sich auch zunehmend diverser gestaltet. Durch diese Heterogenität ist die Fassung unter einem Beschäftigungsstatus nicht möglich, das aktuelle Klassifizieren mit traditionellen Kategorien ist aber auch nicht das Gelbe vom Ei. So sind einige offiziell als Scheinselbstständige für Plattformen tätig, obwohl sie sich eigentlich in einem Anstellungsverhältnis befinden und damit zum Beispiel Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Fall von Urlaub oder Krankheit hätten. Gewerkschaften konnten bereits Erfolge im Kampf gegen solche Falschklassifizierungen erzielen. Obwohl die Vereinzelung von PlattformarbeiterInnen gewerkschaftliche Organisierung grundsätzlich erschwert, kam es bereits zu verschiedenen Protesten und Zusammenschlüssen – der A&W Blog berichtete. Nach der Studie des Eurofound sind nicht nur Risikos, sondern auch Chancen mit Plattformarbeit verbunden. Es bedarf aber neuer Regelungen – unter anderem in Bezug auf eine Einführung von Mindeststandards für Plattformarbeit oder ein Monitoring der Entwicklungen und ein faires, transparentes Ratingsystem.
Justin Nogarede nahm, stellvertretend für die Stiftung für Europäische Progressive Studien (FEPS), ebenfalls an der Diskussion teil und stellte eine Verbindung zwischen Plattformarbeit und Armut her. Wie sich diese Verknüpfung erklären lässt, muss noch genauer erforscht werden. Möglich seien verschiedene Erklärungsmuster. So könnte dies mit Tourismus, einem größeren Anteil von Plattformarbeit in Ländern mit niedrigeren Einkommen oder fehlenden Arbeitsmöglichkeiten für MigrantInnen am traditionellen Arbeitsmarkt in Verbindung stehen. Plattformarbeit zeigt auf, wie wichtig soziale Absicherung von Personen ist, die nicht in einem Normalarbeitsverhältnis sind. Auch Mandl stimmt Nogarede zu, dass sich an aktuellen Diskussionen über Plattformarbeit verschiedene Probleme zeigen, die auch in anderen Beschäftigungssituationen relevant sind. Sie bekräftigt, dass es auf EU-Ebene gute Regelungen für atypische Arbeit im Allgemeinen benötigt.
Auch Ignacio Doreste verweist darauf, wie wichtig es jetzt ist, Druck auf die Kommission aufzubauen. In einzelnen Fällen arbeiteten Gewerkschaften bereits erfolgreich mit Plattformen zusammen. So konnten etwa die österreichischen SozialpartnerInnen den weltweit ersten Kollektivvertrag für FahrradzustellerInnen aushandeln, der mit Beginn des Jahres in Kraft trat. Fraglich ist allerdings, wie viele der ZustellerInnen ab 2020 als Angestellte in diesem Bereich tätig sein werden. Genau solch eine kollektivvertragliche Erfassung ist begrüßenswert und sollte angestrebt werden. Zudem ist nicht nur die Regelung von Plattformarbeit, sondern eine Regelung von allen atypischen Beschäftigungsformen, also Beschäftigungen ohne Vollzeitanstellung, zentral und wichtig. Plattformen sind eine auf die Spitze getriebene Form des Auslagerns von einzelnen Tätigkeiten, bei der die Risiken auf Einzelpersonen verlagert werden. Eine solche Plattformisierung der Arbeit inklusive schlechter Arbeitsbedingungen und fehlender sozialer Absicherung gilt es zu bekämpfen!
Weiterführende Informationen:
AK Europa: Faire Mindestlöhne im Zeitalter der Plattformwirtschaft
A & W Blog: Protest oder Verhandeln? Gewerkschaftliches Handlungspotential im Plattformkapitalismus
Der Standard: WKO und Gewerkschaft einigen sich auf Fahrradzusteller-KV