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ZurückDie seit 1. Jänner 2019 geltende Anpassung von Familienleistungen für EU-Bürger:innen, die in Österreich arbeiten und deren Kinder im EU-Ausland leben, wurde im Juni 2022 vom EuGH als EU-rechtswidrig eingestuft. Die Indexierung stellt eine ungerechtfertigte Diskriminierung aufgrund der Staatsbürger:innenschaft dar und schränkt die Arbeitnehmer:innenfreizügigkeit ein. Österreich muss die gekürzten Beträge den Betroffenen nun unverzüglich rückerstatten.
Die ÖVP-FPÖ Regierung hatte 2018 mit einer Änderung der gesetzlichen Grundlagen einen viel kritisierten Anpassungsmechanismus durchgesetzt, der bewirkte, dass seit Jahresbeginn 2019 Familienleistungen für EU-Bürger:innen, die in Österreich arbeiten und deren Kinder in einem anderen EU-Mitgliedstaat leben, an das Preisniveau des Wohnsitzlandes des Kindes angepasst werden. „Indexiert“ werden Leistungen wie die Familienbeihilfe und der Kinderabsetzbetrag, Geschwisterstaffelbeträge, Erhöhungsbetrag bei erheblicher Behinderung, aber auch steuerliche Familienleistungen wie der Familienbonus Plus. Die Preisanpassung betrifft hauptsächlich Arbeitnehmer:innen, die aus Ungarn, der Slowakei, Rumänien, Polen und Slowenien stammen und in Österreich arbeiten, da in diesen Ländern das Preisniveau niedriger ist als in Österreich. Für die Beschäftigten, die in gering bezahlten – und gesellschaftlich bedeutsamen – Branchen wie der stationären, mobilen und 24-Stunden-Pflege, dem Einzelhandel usw arbeiten, ist die Indexierung mit hohen finanziellen Einbußen verbunden. Für in Bulgarien, Rumänien, Polen und Ungarn lebende Kinder bedeutet das eine Kürzung um rund 50 %. Von der Indexierung waren 2019 insgesamt 137.100 im EU/EWR-Raum lebende Kinder betroffen, 2021 waren es rund 125.300 Kinder.
Indexierung ist mit dem EU-Recht nicht vereinbar
Der sogenannte Anpassungsmechanismus verstößt laut dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) gegen die Arbeitnehmer:innenfreizügigkeit, einer der Grundpfeiler der Europäischen Rechtsordnung. Grenzüberschreitende Arbeitnehmer:innen sind in ihren sozialen Rechten eingeschränkt, denn sie tragen mit den Steuern und Sozialabgaben zur Finanzierung von Sozialleistungen gleichermaßen wie österreichische Arbeitnehmer:innen bei, erhalten aber nicht die gleichen Beihilfen und steuerlichen Vergünstigungen. Außerdem stellt die Indexierung eine rechtswidrige Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit dar: Der Anpassungsmechanismus trifft vornehmlich Arbeitnehmer:innen anderer Mitgliedstaaten und Nicht-Österreicher:innen. Im Rahmen eines 2019 eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahrens hat die EU-Kommission Österreich im Jahr 2020 vor dem EuGH geklagt, welcher nun festgestellt hat, dass Österreich mit der Indexierung gegen seine unionsrechtlichen Verpflichtungen verstoßen hat. Österreich muss nun Maßnahmen ergreifen, die sicherstellen, dass die Rückerstattung der gekürzten Beträge rasch, unbürokratisch und für alle betroffenen Familien erfolgt.
Die Kosten einer populistischen Maßnahme
Die damalige ÖVP/FPÖ-Regierung hat die Einführung der Indexierung auch mit erwarteten Einsparungen argumentiert, die sich aber nicht realisiert haben. Schwerer wiegt jedoch der administrative Zusatzaufwand, der durch die Indexierung (zB erhöhter Prüfaufwand) entstanden ist und durch die nun erforderliche Rückabwicklung anfallen wird. Das Familienministerium hat bereits nach Einführung der Indexierung begonnen, finanzielle Rücklagen für eventuelle Rückzahlungen bei der Feststellung der EU-Rechtswidrigkeit zu bilden. Der politische Schaden der populistischen Maßnahme ist dabei noch nicht beziffert.
Rückabwicklung der Indexierung für alle betroffenen Familien und alle Familienleistungen
Zwar ist eine automatische Rückzahlung der Kürzungsbeträge bei der Familienbeihilfe vorgesehen. Bezieher:innen, die keinen laufenden Leistungsbezug haben, weil sie zB während der Covid-Pandemie den österreichischen Arbeitsmarkt verlassen haben, müssen allerdings einen Antrag für die Rückzahlung stellen. Von der pandemiebedingten Arbeitsmarktkrise waren insbesondere Beschäftigte mit Migrationshintergrund betroffen, darauf deutet auch der Rückgang der Anzahl der anspruchsberechtigten Kinder im EU/EWR-Ausland hin. Rückerstattet werden müssen auch steuerliche Familienleistungen, wie der Familienbonus Plus. Die von Kürzungen betroffenen Familien sind in Zeiten einer außergewöhnlich hohen Inflation in besonderem Maße auf die Familienleistungen angewiesen. Die Rückabwicklung muss daher rasch, unbürokratisch und für alle betroffenen Familien erfolgen.
Weiterführende Informationen:
Europäischer Gerichtshof: Urteil zur Indexierung österreichischer Familienleistungen vom 16.6.2022
A&W Blog: Familienbeihilfe, National-Populismus und die juristische Realität