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Bereits im Sommer letzten Jahres waren sie angekündigt worden, diese Woche war es dann soweit. Die Kommission legt endlich konkrete Vorschläge vor, wie die immer ausgeklügelteren Steuervermeidungspraktiken internationaler Multis in den Griff bekommen werden sollen

Die europäischen BürgerInnen und ArbeitnehmerInnen schütteln schon seit längerer Zeit den Kopf: Während sie die volle Last der Finanz- und Wirtschaftskrise tragen müssen, die durch Deregulierung und Kontrollversagen auf nationaler und europäischer Ebene erst möglich wurde, mobilisieren Finanzindustrie und Multis alle Kräfte, um die notwendige Regulierung des Bankengeschäfts und die Einführung einer europaweiten Finanztransaktionssteuer zu torpedieren. In den Zentralen internationaler Konzerne wird mit Hilfe von Steuerberatungsgesellschaften und den Finanzministerien mancher Mitgliedsstaaten Tag für Tag an „kreativen“ Ideen gefeilt, wie die Unternehmen ihre Steuerlast in Europa gegen Null drücken können. Die Steuervermeidungspraktiken der Konzerne, die auch zulasten der KMUs in Europa gehen, die sich solche Tricks nicht leisten können (die Kommission schätzt, dass „normale“ Unternehmen aufgrund der Steuervermeidung der Multis bis zu 30% mehr Steuern zahlen), kosten die europäischen SteuerzahlerInnen gemäß einer Studie des Europäischen Parlaments zwischen 50 und 70 Mrd. EUR jährlich. Geld, das für Investitionen, zur Ankurbelung der Wirtschaft und zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit in Europa dringend gebraucht wird.

Es war einer der angekündigten Schwerpunkte der Juncker-Kommission, diese demokratie- und europapolitisch schädliche Fehlentwicklung zu stoppen. Bereits im Juni 2015 stellte die Kommission, aufbauend auf wichtigen Vorarbeiten internationaler Organisationen wie dem „Base Erosion and Profit Shifting (BEPS)“-Projekt der OECD, einen diesbezüglichen Aktionsplan vor. Einige der Initiativen aus diesem Aktionsplan wurden nun diese Woche in Brüssel im Detail vom zuständigen französischen Kommissar Pierre Moscovici präsentiert.

So werden in der heute vorgestellten „Richtlinie zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken“ sechs konkrete Maßnahmen zur Bekämpfung der am weitesten verbreiteten Formen aggressiver Steuertricks vorgestellt. Die in den Dokumenten erläuterten Beispiele werfen ein bezeichnendes Licht auf die „kreative“ Energie der Multis. So gründet beispielsweise eine Versicherungsgesellschaft, die ihren Hauptsitz in einem EU-Mitgliedsland hat, eine Rückversicherungsgesellschaft als Tochterunternehmen in einem Land, in dem keine oder sehr wenige Steuern gezahlt werden müssen. Die Muttergesellschaft überweist dann völlig überzogene Prämienzahlungen an die eigene Tochter. Dadurch verringert sie ihren zu versteuernden Gewinn im EU-Land, und profitiert von der Nichtbesteuerung im Niedrigsteuerland.

Ebenfalls heute vorgestellt wurde eine Initiative zur Erhöhung der Transparenz, nämlich sogenannte „länderspezifische Berichte über das Steuergebaren von multinationalen Konzernen“ („country by country reporting“). In Zukunft sollen Konzernmütter dazu verpflichtet werden, spezifische Informationen (Umsatz, Gewinn, bezahlte Steuern, Anzahl der MitarbeiterInnen etc.) über den gesamten Konzern inklusive seiner Tochtergesellschaften für alle Länder, in denen diese wirtschaftlich aktiv sind, an die Steuerbehörden jenes Landes, in dem der Unternehmenssitz ist, zu melden. Diese Informationen werden dann automatisch einmal im Jahr, beginnend ab 2017, an die Steuerbehörden aller anderen Länder, in denen der Konzern aktiv ist, weitergeleitet. Entscheidender Makel hier: die Öffentlichkeit soll von diesen Informationen vorerst ausgeschlossen bleiben. Denn anders als z.B. im Bankensektor sollen diese länderspezifischen Berichte nicht publiziert werden müssen. Die Kommission untersucht derzeit noch, ob sich das ändern soll, und will bis zum Frühjahr 2016 eine Entscheidung treffen.

Heute nicht vorgestellt wurde die geplante Neuauflage des Vorschlags für eine gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKKB), sie soll erst zu einem späteren Zeitpunkt 2016 kommen. Hinter dem Unwort GKKB verbirgt sich der einfache Gedanke, dass sich die Mitgliedsstaaten endlich europaweit auf eine einheitliche Steuerbasis einigen sollen, auf deren Grundlage dann die Besteuerung von Unternehmen in ganz Europa erfolgt. Damit würde dem unübersichtlichen Wildwuchs an Steuerregeln in 28 Mitgliedsstaaten, der zu Steuerverschiebung und -vermeidung geradezu einlädt, ein wichtiger Riegel vorgeschoben. Allerdings sind die bisherigen Versuche der Kommission in diese Richtung bisher von einigen Mitgliedsstaaten erfolgreich torpediert worden. Für AK und Gewerkschaften ist über die GKKB hinaus eine weitere Kernforderung von zentraler Bedeutung: die Einführung eines europaweit einheitlichen Mindeststeuersatzes für Unternehmen, damit endlich dem Steuerwettlauf nach unten, der allen Mitgliedsstaaten und besonders den Beschäftigten schadet, ein Ende bereitet wird. Dieser wird jedoch von der Kommission, auch in den heute veröffentlichten Dokumenten, derzeit noch ausdrücklich abgelehnt, da die Kommission ideologisch noch immer davon überzeugt zu sein scheint, dass Wettbewerb zwischen den Mitgliedsstaaten bei den Unternehmenssteuern segensreich ist.

Weiterführende Informationen:

Themenseite der Europäischen Kommission

Begleitende Mitteilung zum Maßnahmenpaket zur Bekämpfung der Steuervermeidung und eine Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen (nur Englisch)

Richtlinie mit Vorschriften zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken (nur Englisch)

Vorschlag für eine Richtlinie bezüglich der Verpflichtung zum automatischen Austausch von Informationen im Bereich der Besteuerung

Studie der Kommission über aggressive Steuerplanung (nur Englisch)