Nachrichten

Zurück
Die Europäische Kommission und die EZB als Teil der EU-Troika verstoßen gegen geltendes EU-Recht und gegen die Menschenrechte - zu diesem Schluss kommt Andreas Fischer-Lescano, Professor am Zentrum für europäische Rechtspolitik (ZERP) der Universität Bremen, in einem Gutachten, das ÖGB, AK, der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) und das Europäische Gewerkschaftsinstitut (EGI) in Auftrag gaben. Das soeben erschienene Gutachten wurde am 4. März in Brüssel präsentiert. Fischer-Lescanos Hoffnung: „Die beste Reaktion auf diese Studie wäre, wenn es jetzt zu Klagen käme.“
Die Sparpolitik der EU sei rechtswidrig, so der Schluss, zu dem Fischer-Lescano in seinem Gutachten kommt. Die Europäische Kommission und die Europäische Zentralbank würden durch ihre Beteiligung an der Troika gegen das Primärrecht der EU verstoßen, das seit dem Vertrag von Lissabon auch eine Grundrechtscharta umfasst. „Organe der EU sind immer an die Grund- und Menschenrechte gebunden, das darf auch in der Krise nicht umgangen werden“, sagte Fischer-Lescano.

Radikale Zerschlagung der Tarifautonomie

Die Memoranda of Understanding würden dezidierte Pläne enthalten, wo einzusparen sei. Dies jedoch greift direkt in Grundrechte ein, etwa das Menschenrecht auf Wohnung und soziale Sicherheit und das Menschenrecht auf Gesundheit, Fischer-Lescano. Konkrete Beispiele seien Eingriffe in die medizinische Versorgung (Zuschläge zu Medikamentenpreisen) und in die Lohnfindungssysteme der einzelnen Staaten, wo es dann, wie z.B.in Griechenland zu einer radikalen Zerschlagung der Tarifautonomie kommt. Abgesehen von der juristischen Betrachtung fragte sich Fischer-Lescanoauch, „was Mindestlohnsenkungen überhaupt mit Sparpolitik zu tun haben, denn Mindestlöhne sollen ja gerade Transferleistungen der öffentlichen Hand unnötig machen.“

Ein weiteres Problem sei, dass „der Grundsatz der parlamentarischen Überwachung nicht eingehalten wird. Das Europäische Parlament wurde überhaupt nicht eingebunden, wie es bei völkerrechtlichen Verträgen eigentlich vorgesehen wäre“, so Fischer-Lescano. Aber die Memoranda seien formell keine völkerrechtlichen Verträge.

Auch die Tatsache, dass Kommission und EZB über das außerhalb des EU-Rechts bestehende Konstrukt des ESM in die Troika eingebunden sind,, ändert nichts an der Tatsache, dass die Institutionen nicht nur an die Grundrechte gebunden sind, sondern, wie in einem Urteil des EUGH festgehalten, nicht ihren Kompetenzbereich überschreiten dürfen. Die Tatsache, dass mittels der Memoranden in verschiedene sozial- und arbeitsmarktpolitische Bereiche eingegriffen wird, die außerhalb des Kompetenzbereichs der Kommission liegen, verweist aber darauf, dass hier ein Rechtsbruch besteht.

ÖGB: Studie hilft, künftige Spardiktate der Troika zu stoppen

Bernhard Achitz, Leitender Sekretär des ÖGB, betonte: „Sowohl die Europäische Kommission als auch die Zentralbank sind an die Grundrechts-Charta und an die Europäische Menschenrechtskonvention gebunden. Die einzelnen Staaten sind an Normen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) gebunden, die sie ratifiziert haben.“ Auf die Frage, was nun zu tun sei, gebe es mehrere Antworten: „Die rein juristische: Das Parlament könnte vor dem EuGH auf Nichtigkeit der Memoranda klagen.“ Das dürfe aber nicht dazu führen, dass alle bisherigen Hilfszahlungen nichtig und rückabgewickelt würden. Achitz: „Das Ergebnis der Studie kann aber vielleicht dazu beitragen, neue Auflagen an die Krisenländer rechtzeitig zu stoppen. Von drastischen Kürzungen im Sozialbereich, Einschränkungen von gewerkschaftlichen Grundrechten wie das faktische Abschaffen von Kollektivverträgen, Eingriffe in Mindest-Löhne und mehr haben wir genug."

Das Gutachten stärke die Forderung europäischer Gewerkschaften nach einem grundsätzlichen Kurswechsel und nach einem europäischen Investitionsplan, wie ihn der EGB fordere, so Achitz. "Investitionen in den Sozialstaat und in soziale Dienstleistungen müssen an die Stelle kurzsichtiger Kaputtsparpolitik treten, und die Grundrechtecharta darf nicht länger ein Papiertiger bleiben, sie muss endlich auch von der EU-Politik beachtet werden." Mit der Studie liegen nun auch rechtliche Argumente auf dem Tisch. „Das sollte dazu führen, dass derart unmoralische Angebote von der Troika künftig erst gar nicht mehr vorgelegt werden.“

Portugal: Flächentarifvertrag gilt nur mehr für 300.000 Beschäftigte

"Seit Ausbruch der Wirtschaftskrise 2008 haben die Mitgliedsstaaten eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, um die öffentlichen Ausgaben zu kürzen und die Budgetdefizite zu reduzieren", sagte Veronica Nilsson, politische Sekretärin des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB). Diese Sparmaßnahmen hätten auch soziale Rechte betroffen und zur Deregulierung des nationalen Arbeitsrechts und zur Schwächung von Tarifvertragssystemen geführt. Nilsson untermauerte das mit Zahlen aus Portugal: 2008 galt dort noch für 1,9 Millionen Beschäftigte ein Flächentarifvertrag. 2012 waren es gerade noch 300.000. Verständnis zeigte sie dafür, dass die Sozialpartner in manchen Krisenländern gar nicht mehr verhandlungsbereit wären über die Sparpakete: „In Griechenland haben die Regierungen zwar zu Verhandlungen geladen, aber gleichzeitig signalisiert, dass sie unabhängig von deren Ergebnis ohnehin nur das umsetzen werden, was die Troika verlangt.“

Kommission sollte Hüterin der Verträge sein

Der spanische Europa-Abgeordnete und Sozialdemokrat Alejandro Cercas, der das Vorgehen der Troika auch in einem Bericht an das Parlament kritisiert hat, der noch im März im Plenum abgestimmt wird, sagte: „Das Problem der Troika ist, dass sich alles immer nur um die Wirtschaft dreht, aber für das Recht bleibt kein Raum. Alle sozialen Fragen wurden beiseite geschoben. Die Troika weiß entweder nicht, dass Grund- und Menschenrechte existieren, oder aber sie weiß es, aber es ist ihr einfach egal. Doch eigentlich sollte die Europäische Kommission die Hüterin der Verträge sein.“

Die Auswirkungen der Politik der Troika auf die soziale Situation der Menschen in den betroffenen Ländern kritisierte er scharf. Er bezeichnete diese als „Sozialtsunami“

Das Messer am Hals

Dimitrious Droutsas, griechischer EU-Abgeordneter und zur Zeit der ersten Troika-Auflagen Außenminister seines Landes, meinte, sein Land brauche zwar „tiefgreifende Strukturreformen – aber das darf man nicht mit Lohnkürzungen verwechseln.“ „In Griechenland liegen Gesundheits- und Bildungssystem darnieder, dabei sind das die Grundfesten einer Gesellschaft.“ In diesen Bereichen sehe auch das Gutachten von Andreas Fischer-Lescano die besten Chancen, juristisch erfolgreich gegen die Troika vorzugehen.

Die heiße Kartoffel

Dimitrious Droutsas begründete die Umsetzung der schädlichen Maßnahmen durch die sozialdemokratische PASOK Regierung, deren Mitglied er selbst war, damit, dass Griechenland das Messer an den Hals gesetzt wurde und sich intern nicht gegen die mächtige Oligarchie durchsetzen konnte und schob somit die Verantwortung zurück an die Troika und die Eurostaaten.

Obwohl die Kommission offiziell nicht teilnehmen konnte, waren mehrere EU-BeamtInnen aus der zuständigen Generaldirektion Wirtschaft und Währung im Publikum anwesend, die ihre Sache verteidigten. Einerseits schoben sie, wie schon aus der Argumentation der Kommission bekannt die sprichwörtliche „heiße Kartoffel“ zurück an Griechenland und die anderen Krisenländer, da angeblich diese allein für die Politik verantwortlich seien und die Kommission diesen Prozess nur überwacht. Ohne eine rechtliche oder politische Begründung zu liefern, schoben sie auch den Vorwurf der Menschenrechtswidrigkeit von sich, ganz so, als handle es sich dabei um eine unaussprechliche Majestätsbeleidigung. Zugleich stellten sie zynisch fest, dass die betroffenen Staaten ja auch die Möglichkeit gehabt hätten, die Hilfen nicht anzunehmen.

Die Heftigkeit der Reaktionen machte deutlich, dass die Studie hier einen sensiblen Punkt getroffen hat. Auch die Tatsache, dass heute niemand mehr die Verantwortung für die angeblich alternativlose Politik übernehmen will, zeigt deutlich, dass sie als gescheitert zu betrachten ist.

Weiterführende Informationen:

Präsentation von Prof. Andreas Fischer-Lescano

Studie

Fotos