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Der Europäischen Kommission kann die Liberalisierung des Eisenbahnsektors gar nicht schnell genug gehen. Bereits das 4. Eisenbahnpaket in nur 15 Jahren hat sie vorgeschlagen, diesmal soll der Personennahverkehr auf der Schiene zwangsweise liberalisiert werden. Warnrufe über die negativen Folgewirkungen für Passagiere und Beschäftigte werden von den zuständigen KommissionsbeamtInnen und KommissarInnen geflissentlich ignoriert. Diese Woche hat der Verkehrsausschuss des Europäischen Parlaments erneut über die Kommissionsvorschläge beraten.
Die Fakten sprechen ein deutliches Bild über den Erfolg der bisherigen Liberalisierungsmaßnahmen im Schienenverkehr. Der bereits zur Gänze geöffnete Güterschienenverkehr verlor seit der Öffnung dramatisch an Marktanteilen. Hatte die Schiene in der Europäischen Union 1998 noch 19 Prozent Marktanteil, so waren es 2010 nur mehr 16,2 Prozent. Das offensichtliche Liebkind des Verkehrskommissars Siim Kallas, der Straßengüterverkehr, konnte im selben Zeitraum von 68,5 auf 72,7 Prozent zulegen.

Nun soll der Personenschienenverkehr folgen. Die Kommission sieht eine Zwangsausschreibung des Personenschienenverkehrs vor, die Gesellschaft, also die öffentliche Hand darf diese Verkehrsleistung nicht mehr so ohne weiteres selber erbringen. Für private Verkehrsunternehmen brechen damit goldene Zeiten an – sie können auf den lukrativen Strecken die Gewinne abschöpfen, während die öffentliche Hand nur mehr die verlustbringenden Linien betreiben wird. Für Passagiere könnte es hingegen deutlich komplizierter werden: Es gibt keinerlei Garantie, dass die Zugfahrpläne der verschiedenen privaten Verkehrsgesellschaften aufeinander abgestimmt sind, dh wenn der Passagier umsteigen muss, könnten lange Wartezeiten die Regel werden. Für die Zugfahrtickets sind derzeit keine Regelungen vorgesehen, dh der Passagier muss sich bei Fahrten, bei denen er die Dienste mehrerer Zugfahrtunternehmen in Anspruch nehmen auch die entsprechenden Zugtickets besorgen – ein einziges Ticket für die ganze Reise ist nicht vorgesehen.

Für die Beschäftigten auf der Schiene zeichnen sich durch den Kommissionsvorschlag ebenfalls Verschlechterungen ab. Bei den Ausschreibung für die Schienenverkehrsstrecken werden jene Unternehmen Vorteile haben, die möglichst niedrige Personalkosten haben, dh die Unternehmen werden versuchen die Löhne und Arbeitsbedingungen auf ein absolutes Mindestmaß zu begrenzen.

Um einen Ausbau des Schienenverkehrsnetzes, mehr Qualität oder günstige Zugtickets geht es bei diesem Paket jedoch nicht.

Zustimmung bei Volkspartei, Konservativen, Liberalen und Grünen

Bei der Diskussion im Europäischen Parlament zeichnet sich dennoch eine Unterstützung für den Vorschlag ab. Vor allem die Europäische Volkspartei, die Liberalen, die Europäischen Konservativen und die Grünen wollen eine Liberalisierung des Personenschienenverkehrs. Bezüglich der Frage von Lohndumping bei den Beschäftigten meinte der deutsche Grüne Abg. Cramer lapidar: In 23 Mitgliedstaaten gibt es ohnehin Regelungen zu Mindestlöhnen für die Beschäftigten oder Branchentarife, daher sieht er für die Beschäftigten überhaupt keine Probleme. Jedoch meinte sogar ein Vertreter der Europäischen Konservativen, dass man auf die Entlohnung der MitarbeiterInnen Rücksicht nehmen müsse.

Kritik von SozialdemokratInnen und Europäischen Linken

Kritik am Vorstoß der Kommission kam hingegen vor allem seitens der Fraktion der Europäischen Linken und der Europäischen SozialdemokratInnen. Sabine Wils von den Linken stellte klar, dass ihre Fraktion den Entwurf der Kommission ablehnen werde. Zudem kritisierte sie den grünen EU-Abgeordneten Cramer zu seiner Aussage über das Nichtbestehen eines Lohndumpings: Das Personal werde mit der Regelung in Zukunft nur mehr den Mindestlohn bekommen, ein höheres Gehalt werde damit de facto in Zukunft ausgeschlossen. Die sozialdemokratischen EU-Abgeordneten El Khadraoui und Ertug fordern die Aufnahme von Sozialstandards und von Tarifverträgen. Darüber hinaus müsse es nach wie vor zumindest ein Kernnetz geben in einem Umfang von 10 bis 100 Millionen Eisenbahnkilometern beziehungsweise einem Drittel des Eisenbahnnetzes geben, das direkt vergeben werden kann. Eine Forderung, der der Berichterstatter Mathieu Grosch von der Europäischen Volkspartei zumindest teilweise entgegenkommt: Er sieht die Möglichkeit zur Direktvergabe von bis zu 35 Millionen Zugkilometern vor. Viele seiner FraktionskollegInnen sehen das jedoch anders.

Ende November soll im Verkehrsausschuss über das 4. Eisenbahnpaket abgestimmt werden. Das Votum im Plenum des Europäischen Parlaments ist im Jänner 2014 vorgesehen.