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Nein zu Sozial- und Lohndumping bei den Beschäftigten der Eisenbahn und Sicherung einer hohen Qualität für die Passagiere im Schienenverkehr: Das waren diese Woche die zentralen Forderungen von Sylvia Leodolter von der Bundesarbeitskammer Österreich und Andreas Rauter vom Verkehrsverbund Ostregion bei einer vom Verband der öffentlichen Wirtschaft und Gemeinwirtschaft Österreichs (VÖWG) und der Bundesarbeitskammer Österreich organisierten Diskussionsveranstaltung mit EU-Abgeordneten zu den neuen Liberalisierungsvorschlägen der Europäischen Kommission im Eisenbahnsektor.
AK-Expertin Leodolter: Gesetzesvorschlag ist eine Gefahr für hochqualifizierte Beschäftigte

Die Leiterin der Abteilung für Verkehrs- und Umweltpolitik bei der AK Wien, Sylvia Leodolter, warnte davor, dass die von der Kommission angestrebten Liberalisierungsmaßnahmen im Rahmen des so genannten 4. Eisenbahnpakets zur eine Reihe negativer Auswirkungen führen würde: Verschlechterungen sind sowohl bei den Löhnen und Arbeitsbedingungen bei den Beschäftigten als auch bei den Dienstleistungen für die Passagiere zu erwarten. Darüber hinaus wird mit den Plänen der Kommission die Sicherheit im Eisenbahnverkehr gefährdet und der Wettbewerb im Verkehrsbereich verzerrt. Regelungen für eine Harmonisierung bei sozialen Aspekten suche man in den Vorschlägen der Kommission vergeblich, so Leodolter. Bei den inländischen Schienenpersonenverkehrsdiensten (PSO) gibt es laut der AK-Expertin in Österreich ein gut funktionierendes Schienenverkehrssystem mit hoch qualifizierten MitarbeiterInnen. Eine verpflichtende Ausschreibung aller PSO-Strecken wie die Kommission es will, führe dazu, dass bei den sozialen Aspekten und der Qualifikation der Beschäftigten gespart werde. Sylvia Leodolter fordert daher die Berücksichtigung verpflichtender Sozialkriterien in den Ausschreibungen. Außerdem müsse dafür gesorgt werden, dass MitarbeiterInnen bei einem Betriebsübergang, dh wenn der Betreiber nach erfolgter Ausschreibung wechselt, die Beschäftigten des bisher zuständigen Unternehmens zu den gleichen Bedingungen und Löhnen übernehmen muss.

Rauter, Verkehrsverbund Ostregion: Hohe Zusatzkosten zu erwarten


Welche Auswirkung die vorgeschlagene EU-Gesetzgebung in der Praxis haben würde, schilderte Andreas Rauter, Experte bei der Verkehrsverbund Ostregion, VOR: Bei der Teilnahme an einer Ausschreibung sei mit hohen Kosten zu rechnen, für die Vorarbeiten und die nötige Expertise seien bis zu 1,2 Mio. Euro einzukalkulieren. Nur große Unternehmen wie beispielsweise die Deutsche Bahn oder die französische Bahn SNCF könnten sich die Teilnahme an derartigen Ausschreibungen leisten, denn für kleine Mitbewerber wären die Kosten zu hoch, insbesondere wenn der Bieter dann nicht den Zuschlag erhält. Darüber hinaus würde der Vorschlag der Kommission die Koordinierung des Verkehrsnetzes der VOR erheblich erschweren. Sogar private Busunternehmer sprechen sich gegen die Rechtsvorschläge aus, weil sie hohe Kosten und zu viele Vorgaben bei den Ausschreibungen befürchten. Was Privatbahnen für PendlerInnen bedeuten können, erklärte Rauter anhand eines aktuellen Falles bei der Westbahn: Ab kommenden Montag müssten PendlerInnen je Strecke 2 Euro zusätzlich bezahlen, was im Monat hohe Zusatzkosten bedeutet und daher vermutlich viele KundInnen von der Privatbahn vertreiben wird. Die ÖBB hat allerdings mit einer Fahrplanänderung rasch reagiert um die betroffenen Fahrgäste aufnehmen zu können.

Studie: Kosten für öffentliche Hand seit Liberalisierung der schwedischen Bahn um 700 % gestiegen

Bei der Veranstaltung präsentierte Autor Fjodor Gütermann eine Studie über die volkswirtschaftlichen Effekte der Liberalisierung des Eisenbahnpersonenverkehrs. Die Untersuchung wurde vom VÖWG in Kooperation mit dem Österreichischen Städtebund, der Gewerkschaft der Gemeindebediensteten GdG-KMSfB, der Dienstleistungsgewerkschaft vida und der AK Wien in Auftrag gegeben. Gütermann stellte bei der Präsentation Fallbeispiele aus Schweden und Großbritannien vor, die den Bahnverkehr bereits in den 80er und 90er Jahren liberalisiert haben.

In Schweden sei es zwar gelungen, den Schienenverkehr auszubauen und die Personenkilometer um 58 Prozent zu erhöhen. Allerdings sind die Subventionen durch die öffentliche Hand seit der Liberalisierung im Jahr 1988 explodiert: Die Kosten für den Staat stiegen um 700 Prozent. Zwischen 1988 und 2003 seien zudem die Ticketpreise um 125 Prozent gestiegen, während der Verbraucherpreisindex nur um 57 Prozent angestiegen sei. In Großbritannien wiederum stellt eine für das britische Verkehrsministerium in Auftrag gegebene Studie aus dem Jahr 2011 fest, dass das britische Eisenbahnsystem ineffizient ist. So zahlt die öffentliche Hand in Großbritannien um mindestens 30 Prozent mehr Subventionen als jene in Frankreich, den Niederlanden, von Schweden und der Schweiz. Zudem seien die Ticketpreise im Vergleich zu diesen Ländern um mindestens 30 Prozent höher. Außerdem seien sowohl in Schweden als auch in Großbritannien Defizite bei der Pünktlichkeit und Probleme beim Umsteigen festzustellen, so der Studienautor.

EU-Abgeordnete zeigen sich beeindruckt

Sowohl der EU-Abgeordnete Jörg Leichtfried (SPÖ) als auch Ismail Ertug (SPD) sind alles andere als begeistert vom vorgeschlagenen 4. Eisenbahnpaket. Laut Ertug brauchen wir kein 4. Eisenbahnpaket, das einzig sinnvolle sei, bestehende technische Probleme zu lösen. Leichtfried lehnt das Gesetzespaket ebenfalls ganz klar ab. Die Kommission agiere rein ideologisch. Der Vorschlag nutze nur einigen wenigen Multis, das sei auch vergleichbar mit dem Energiesektor, wo es nach der Liberalisierung ganz ähnliche Entwicklungen gegeben habe. Dass es aber auch bei den Europäischen SozialdemokratInnen durchaus unterschiedliche Meinungen gibt, zeigte die spanische EU-Abgeordnete Ines Ayala-Sender: Die ersten drei Liberalisierungspakete seien erfolgreich gewesen, weil die Pünktlichkeit erhöht wurde. Darüber hinaus werde mit dem neuen Paket nun der grenzüberschreitende Verkehr gefördert.

Dem widersprachen Sylvia Leodolter und Andreas Rauter ganz entschieden: Es gebe in Österreich eine Reihe von grenzüberschreitenden Verkehrsdiensten, so zum Beispiel in die Slowakei oder Slowenien. Das sei möglich, weil man eine gute Kooperation mit den anderen Bahnen habe. Sobald es aber zu Konkurrenz zwischen den Bahnen komme, gebe es keine Kooperation mehr. So wurden eine Reihe von grenzüberschreitenden Direktverbindungen im Schienenverkehr, beispielsweise nach Paris, Brüssel oder Venedig eingestellt, also das Gegenteil von dem erreicht, was sich die EU-Abgeordnete wünscht.

Die Diskussionen im Verkehrsausschuss des Europäischen Parlaments zeigen, dass eine breite Mehrheit der Europäischen Volkspartei das 4. Eisenbahnpaket begrüßt. Eine Ausnahme davon ist jedoch EU-Abgeordneter Georges Bach. Der konservative Luxemburger betonte, dass die grenzübergreifende Kooperation ganz wesentlich sei und das Gesetzespaket sicher nicht weiterhelfe. Bei der Veranstaltung leider nicht anwesend waren VertreterInnen der Liberalen und der Grünen. Beide politische Gruppierungen haben in den Debatten zum Liberalisierungspaket das 4. Eisenbahnpaket wiederholt begrüßt.

Die Abstimmung über das 4. Eisenbahnpaket im Verkehrsausschuss des Europäischen Parlaments ist für Ende November geplant. Im Plenum soll darüber im Jänner 2014 entschieden werden.