Nachrichten

Zurück
Diese Woche Montag hat Kommissar Barnier das lang erwartete Grünbuch zur langfristigen Finanzierung der europäischen Wirtschaft vorgelegt. Darin werden Überlegungen zur Diskussion gestellt, wie Regierungen und Unternehmen jeder Größenordnung in Zukunft Zugang zur Finanzierung ihrer Investitionstätigkeiten sichern und vermehrt bekommen können. Nur wenn der große Bedarf an langfristigen Investitionen auch finanziert wird, könne die EU auf die selbst gesteckten Ziele („Europa 2020“) eines intelligenten, nachhaltigen und integrativen Wachstums zurückfinden. Das Angebot an langfristigen Finanzierungen soll verbessert und das System der Finanzvermittlung gestärkt werden. Dabei geht es auch um KMU-Finanzierung, eine effiziente Ausgestaltung der neuen Regulierungen im Finanzsektor und auch alternative Finanzierungsmöglichkeiten. Mit dem Grünbuch startet die Kommission einen dreimonatigen Konsultationsprozess.
Was sind langfristige Investitionen? Darunter versteht die Kommission Ausgaben, die die Produktivitätskapazität einer Wirtschaft erhöhen: Dazu gehören u. a. „Infrastrukturen für Energie, Verkehr und Kommunikation, Industrie- und Serviceeinrichtungen, Technologien für Klimaschutz und Ökoinnovation, aber auch Investitionen in Bildung, Forschung und Entwicklung.“ Darunter wird nun nicht nur materielle Infrastruktur gefasst, sondern auch immaterielle Vermögenswerte, was dieses Grünbuch auch argumentativ anschlussfähig hält für das kürzlich von Andor vorgestellte „Soziale Investitionspaket“. Für die Kommission besteht ein großer Bedarf nach diesen Investitionen, die die Basis für nachhaltiges Wachstum legen. Diese Investitionen müssen aber auch finanziert werden, was – so die Argumentation der Kommission – seit der Wirtschafts- und Finanzkrise nur mehr unzureichend funktioniere. Die zentrale Frage sei daher, wie man es schaffen könne, existierende Ersparnisse in der EU für diese Finanzierungen besser verfügbar zu machen. Die Fähigkeit der Wirtschaft zur Finanzierung dieser Investitionen hänge davon ab, wie gut das Finanzsystem in der Lage ist, Mittel effizient und wirksam zu kanalisieren, „so dass diese über offene, wettbewerbsorientierte Märkte bei den richtigen Nutzern und Verwendungszwecken ankommen.“ Dieser Vermittlungsprozess von Angebot und Nachfrage kann über direkten Zugang zu den Finanzmärkten vonstattengehen oder über „Zwischenhändler“ wie Banken, Versicherungen oder auch Pensionsfonds abgewickelt werden. Das betrifft sowohl Unternehmen als auch Regierungen, womit das Grünbuch öffentliche und private Investitionen anspricht. Eine der wichtigen Fragen des Grünbuchs ist, ob Europa bei der Finanzierung seiner Investitionen die traditionell sehr starke Abhängigkeit von der Vermittlungstätigkeit der Banken (75%) vermindern soll und sich zu einem stärker diversifizierten System (höhere Anteil an direkter Kapitalmarktfinanzierung, stärkeres Engagement von institutionellen Anlegern, aber auch „Crowd Funding“) hin eventuell entwickeln solle. Ein Hauptaugenmerk liegt auch auf der Finanzierung von KMUs, da diese im Zuge der Finanzkrise oftmals Schwierigkeiten hatten – und auch noch haben – an Bankkredite zu kommen. Das Grünbuch umkreist daher einige wichtige Themenfelder: Bankenreform, Rolle von Entwicklungsbanken, Effizienz und Überwachung der Finanzmärkten, mögliche Projektanleihen, ein EU-Sparbuch, Steuersysteme, Rechnungslegungsgrundsätze, Corporate-Governance-Vereinbarungen und die bereits erwähnte Finanzierungsproblematik von KMUs.

Wie geht es weiter

Die im Grünbuch angesprochenen Themen sind umfangreich und komplex. Die 30 Fragen, die die Kommission den Stakeholdern zur Beantwortung innerhalb der nächsten drei Monate vorlegt, sollen ermitteln helfen, welche Hindernisse aktuell für langfristige Finanzierungen bestehen und welche Möglichkeiten es gebe, ebendiese zu überwinden. Die Debatte ist damit eröffnet und es liegt nun an den sozialen und politischen AkteurInnen, in welche Richtung sich die aus dem Grünbuch resultierenden politischen Vorschläge entwickeln. Während für Wirtschafts- und Währungskommissar Olli Rehn die erwähnten langfristigen Investitionen und Finanzierungen flexibel genug sein sollen, um Finanzmärkte verstärkt in die Lage zu versetzen – wie es in einem Statement heißt –, den „sich beschleunigenden Strukturwandel zu unterstützen“, besteht durchaus die Möglichkeit zu politischen Initiativen, die auf eine Senkung der Abhängigkeit staatlicher Budgets von den Finanzmärkten oder deren verstärkte Regulierung abzielen. Der argumentative Fokus des Grünbuchs auf Langfristigkeit könnte diesbezügliche Vorschläge anstoßen.

Weiterführende Information:

Grünbuch langfristige Finanzierung der Europäischen Wirtschaft (vorläufige Fassung)