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Erschreckende Zahlen hat die europäische Statistikbehörde eurostat diese Woche zur Armut und sozialer Ausgrenzung präsentiert: 2011 waren 27 % der Kinder unter 18 Jahren in den 27 Mitgliedsstaaten entweder von Armut gefährdet, hatten unter erheblichen materiellen Entbehrungen zu leiden und/oder lebten in Haushalten mit sehr geringer Erwerbstätigkeit. In Österreich betrifft dies bereits jedes fünfte Kind, wobei auch hierzulande das Armutsrisiko für Kinder höher ist als in der Gesamtbevölkerung. Auf einer anders gelagerten Ebene war Armut diese Woche ebenfalls Thema: Im Namen der Europäischen Kommission haben die Kommissare Piebalgs (Entwicklung) und Potočnik (Umwelt) Ansätze und Ideen aus den Milleniumsentwicklungszielen der UN und der Rio+20 Konferenz von 2012 zusammengeführt. Erstmals sollen Armutsbekämpfung und nachhaltige Entwicklung zusammengedacht werden. Diese Vorschläge der Kommission für die zukünftige Entwicklungsagenda sollen weltweit ein „menschenwürdiges Leben für alle“ im Jahre 2030 ermöglichen helfen.
Die Frage nach den Ursachen und Auswirkungen von Armut sind medial ähnlich umstritten wie die Messung ebendieser. Für eurostat sind Personen von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht, wenn auf sie mindestens eine der drei folgenden Bedingungen zutrifft: Leben in einem Haushalt, dem weniger als 60 % des nationalen Median-Äquivalenzeinkommens zur Verfügung steht (=armutsgefährdet); ein Leben unter erheblichen materiellen Entbehrungen (zum Beispiel keine angemessene Heizung oder keine Waschmaschine) und/oder ein Leben in einem Haushalt, in dem das mögliche Erwerbspotential weniger als zu 20 % ausgeschöpft wird. Die Daten zu dieser aktuellen Auswertung betreffend Kinderarmut basieren auf der repräsentativen EU-SILC-Umfrage von europäischen Haushalten, die die zentrale Referenzquelle der EU für Statistiken über Einkommensverteilung, Armut und Lebensbedingungen bildet.

Jedes vierte Kind in Europa von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffen

Im Vergleich zu Erwachsenen und Älteren waren Kinder bis 18 Jahren 2011 jene Gruppe, die europaweit am meisten von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht sind (27 %). Insgesamt waren 119,6 Millionen Menschen bzw. 24,2 % der Bevölkerung in den EU27 davon betroffen. In der Mehrzahl der Mitgliedsstaaten sind es die Kinder, die am wahrscheinlichsten unter Armut und Exklusion leiden. Dies trifft auch auf Österreich zu: 19,2 % der Kinder, 16,2 % der Erwachsenen und 17,1 % der Älteren (über 65 Jahre) waren 2011 davon bedroht. Gegenüber 2008 ist das Armutsrisiko für Kinder zwar leicht gesunken, doch hat Österreich gegenüber den nordeuropäischen Staaten mit ihren sozialdemokratisch geprägten Wohlfahrtsstaatsregimen (16 % u.a. in Schweden und Finnland) noch einen erheblichen Aufholbedarf.

Einen wesentlichen Einfluss auf das Armutsrisiko der Kinder haben der Bildungsgrad der Eltern – und damit auch soziale Schichtung – und ein etwaiger Migrationshintergrund: Betrachten wir allein das monetäre Armutsgefährdungsrisiko von Kindern, das heißt die oben erwähnte erste Bedingung, so sind EU-weit fast 50 % der Kinder, deren Eltern einen niedrigen Bildungsstandard haben, davon betroffen. Dem gegenüber sind 22,4 % der Kinder von Eltern mit mittlerem und 7,5 % mit hohem Bildungsstandard von monetärer Armut berührt. Für Österreich sind die Zahlen für 2011 von ähnlicher Deutlichkeit: 42,2 % der Kinder von Eltern mit niedrigem, 15,5 % mit mittlerem und 6,1 % der Kinder mit hohem, elterlichen Bildungsstandard sind dem Risiko monetärer Armutsgefährdung ausgesetzt. Frappierend ist in Österreich die Aufschlüsselung nach Migrationshintergrund: 28 % der Kinder, von denen mindestens ein Elternteil nicht in Österreich geboren wurde, sind von monetärer Armut betroffen – im Gegensatz zu 8,4 % der Kinder, deren Eltern beide in Österreich geboren wurden. Ob ein Kind Migrationshintergrund hat oder nicht beeinflusst Kinderarmut hierzulande signifikant höher als in anderen vergleichbaren EU-Staaten.

Armutsbekämpfung und nachhaltige Entwicklung weltweit: EU-Kommission präsentiert Diskussionsgrundlage

Unabhängig von der Präsentation der Zahlen zur Kinderarmut war Armut und deren Bekämpfung diese Woche ein zentrales Thema in der Kommission. Die beiden EU-Kommissare für Umwelt und Entwicklung haben gemeinsam ein Grundlagenpapier zur Beseitigung von Armut und der Gestaltung einer nachhaltigen Zukunft vorgelegt. Unter dem Titel „Ein menschenwürdiges Leben für alle“ sollen erstmals Diskussions- und Ansatzpunkte aus dem Bereich dem Umweltschutz mit ökonomischer Entwicklung bzw. Armutsbekämpfung zusammengedacht werden. Die „Beseitigung der Armut und die Schaffung einer nachhaltigen Grundlage für Wohlstand und Wohlergehen“ werden weltweit als die dringendsten Aufgaben betrachtet, so diese Mitteilung der Kommission an andere europäische Institutionen. Das Papier, dem erstmals keine legislativen Initiativen folgen, soll als Diskussionsgrundlage dienen, um in den nächsten Monaten zu einer gemeinsamen europäischen Linie hinsichtlich weltweiter Entwicklungspolitik zu finden. Hintergrund ist, dass im Herbst 2013 eine Sonderveranstaltung der UN stattfindet, die die Bemühungen um das Erreichen der Millenniumsentwicklungsziele (MDG) bewerten und einen Gedankenaustausch in Gang setzen soll. Ziel ist die weltweite Ausarbeitung eines übergreifenden Handlungsrahmens für die Zeit nach 2015, wobei hier Ergebnisse der Rio+20 Konferenz letzten Jahres in Richtung inklusiver grüner Wirtschaft ebenso einfließen wie die Erfahrungen mit der Umsetzung der MDG. Während auf UN-Ebene Umwelt und Entwicklung meist getrennt verhandelt werden, legt die Kommission mit dieser Mitteilung Umrisse eines integrativen Ansatzes vor, der den Zusammenhang von Armutsbeseitigung und ökologischer Nachhaltigkeit betont. Der zukünftige, „übergreifende Handlungsrahmen [müsse] als Katalysator für gute Regierungsführung, Transparenz, sozialen Zusammenhalt und Stärkung der Rechte der Frauen - allesamt unverzichtbare Voraussetzungen für Armutsbeseitigung und nachhaltige Entwicklung - in allen Ländern und auf internationaler Ebene wirken“. Die wichtigsten fünf Themenfelder für die Kommission dazu sollen sein: ein Mindestlebensstandard als Grundvoraussetzung für ein menschenwürdiges Leben; Entwicklung von Triebkräften hin zu einer inklusiven grünen Wirtschaft; Nachhaltige Bewirtschaftung natürlicher Ressourcen; Gleichheit, Fairness und Gerechtigkeit sowie Frieden und Sicherheit. Letztverantwortlich für die Implementierung dieses, noch offenen Rahmens werden die nationalen Regierungen sein. Ziel sei bis 2030 ein menschenwürdiges Leben für alle zu erreichen.

Man wird sehen, welche Folgen diese argumentative Verknüpfung von Umwelt und Armutsbekämpfung haben wird, welche gemeinsame europäische Position für die UN-Konferenz letztlich formuliert wird und – was am wichtigsten ist – welche konkreten Politiken darauf aufbauend für spezielle Themengebiete entwickelt und forciert werden. Nicht zuletzt die aktuellen Statistiken zur Kinderarmut in Europa zeigen, wie notwendig eine qualitative Verbesserung der sozialen Verhältnisse ist.

Links:

Eurostat Pressemitteilung zur Kinderarmut


Mitteilung der Kommission: „Ein menschenwürdiges Leben für alle“